Die Preise an den europäischen Spotmärkten für Strom sind auf den höchsten Ständen seit Beginn des Börsenhandels. Die Börsen mussten höhere Preisgrenzen einführen, um auf die Situation zu reagieren. Was passiert derzeit an den kurzfristigen Märkten und wie geht es im Winter 2022 weiter?
In den meisten europäischen Ländern bilden sich die kurzfristigen Preise für die physische Lieferung von Strom über Spotmärkte an Energiebörsen. Der Day-Ahead-Markt spielt mit etwa 80 Prozent des börslich gehandelten Volumens die größte Rolle. Hierbei werden täglich die stündlichen Strompreise des nächsten Tages (Day-Ahead) durch eine Auktion mit Erzeugern und Abnehmern bestimmt. Generell beeinflussen also sowohl die Anbieter als auch die Nachfrage durch ihre Gebote und Mengen die Höhe der Preise.
Day-Ahead als Leitmarkt
Auf der Erzeugerseite bestimmen die kurzfristigen Erzeugungskosten des letzten Kraftwerks, welches die Nachfrage deckt, den Preis. Alle Erzeuger erhalten diesen Preis und alle Abnehmer von Strom müssen diesen Preis zahlen. Die Preiselastizität auf Stromkäuferseite ist sehr gering. Dies bedeutet, dass die Nachfrage nach Strom nur gering auf Preisveränderungen reagiert.
Energieversorger müssen auch bei hohen Preisen am Spotmarkt Strom für ihre Kunden kaufen, um diese weiterhin beliefern zu können. Dennoch wirkt sich ein geringerer Strombedarf durch Effizienzmaßnahmen in der Industrie oder Einsparungen in Haushalten auf die Nachfrage aus und wirkt preissenkend.
Fossile Energieträger treiben Preise
Thermische Kraftwerke wie Kohle- und Gaskraftwerke sind in vielen Stunden am Day-Ahead-Markt preissetzend. Wobei deren spezifische Stromerzeugungskosten stark von fossilen Energieträgern abhängen. Ein Anstieg von Kohle- und Gaspreisen schlägt sich auch in den Strompreisen nieder. Abbildung 1 zeigt die durchschnittlichen Grenzkostenbestandteile von Gas- und Steinkohlekraftwerken seit Q4 2021.
Hierbei wird deutlich, dass die fossilen Energierohstoffe und nicht die Kosten für CO2-Zertifikate die Preistreiber sind. Der Kostenanteil der CO2-Zertifikate ist im Zeitverlauf gesunken. Außerdem zeigt sich ebenfalls, dass Kohleverstromung gegenüber Gasverstromung kostengünstiger ist: Die Gaspreise sind sehr viel stärker gestiegen als die Kohlepreise. Insbesondere der Gaspreis ist aufgrund der Liefereinschränkungen Russlands im Vergleich zu Beginn 2021 um mehr als 1000 Prozent gestiegen. So gehen die derzeitigen Preisausschläge am Spotmarkt vor allem auf die sehr hohen Preise fossiler Primärenergieträger wie Kohle und Erdgas zurück.
Abbildung 2 zeigt die Day-Ahead-Preise an der EPEX SPOT für Deutschland seit 2019. Es ist ersichtlich, dass die Strompreise schon seit Mitte 2021 vom langjährigen Mittel abweichen und nach oben gehen.
Entwicklung in anderen EU-Ländern
Die kurzfristigen Strompreise liegen auch in anderen europäischen Ländern auf Rekordniveau. Im speziellen sind Frankreich, Italien und die baltische Region betroffen. In Frankreich liegen die Strompreise höher als in Deutschland. Die geringe Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke aufgrund wetter- und reparaturbedingter Ausfälle macht sich im Nachbarland bemerkbar. Derzeit erzeugen nur etwa 40 Prozent der Kernkraftkapazitäten in Frankreich auch Strom: ein 30-Jahres-Negativrekord (Quelle: Montel).
Der europäische Stromhandel wird an der EPEX SPOT auch grenzübergreifend abgewickelt. Deshalb floss in diesem Jahr häufiger Strom aus Deutschland nach Frankreich, da der dortige Verbrauch nicht vollständig durch eigene französische Erzeugung gedeckt werden konnte, beziehungsweise noch teurer gewesen wäre als die Erzeugung in und der Import aus Deutschland. Die Stromexporte von Deutschland nach Frankreich haben sich im zweiten Quartal 2022 gegenüber dem Vorjahr versechsfacht (Quelle: Montel). Auch durch die geringe Stromerzeugung der französischen Kernkraftwerke haben sich die deutschen Day-Ahead-Strompreise insbesondere seit Mai 2022 erhöht. Abbildung 3 zeigt den monatlichen Durchschnitt der Day-Ahead-Preise für ausgewählte europäische Länder seit Beginn des Jahres und verdeutlicht den Anstieg in fast allen Ländern.
Da die iberische Halbinsel weniger stark ins europäische Verbundnetz integriert ist, ziehen die mitteleuropäischen Märkte mit hohen Preisen den spanischen Day-Ahead weniger stark mit nach oben. Weitere Gründe für die rückläufigen Strompreise in Spanien seit Juni 2022 sind die eigenständige Versorgung Spaniens durch Flüssigerdgas und somit geringere Energieträgerpreise als in anderen EU-Staaten, sowie ein staatlich verordneter Höchstpreis für Erdgas, welches in Gaskraftwerken zur Erzeugung verwendet wird (Quelle: EU Kommission). Der Preis von Erdgas für die Stromerzeugung wurde durch die spanische Regierung auf 48,8 EUR/MWh beschränkt. Im Vergleich dazu liegen die Gaspreise am Spotmarkt in Mitteleuropa Stand Ende August bei über 240 EUR/MWh.
Auch in den baltischen Staaten sind derzeit Spotpreise für Strom von über 1000 EUR/MWh keine Seltenheit. Am 16. August 2022 erreichte der Spotpreis für eine Stunde sogar die Marke von 4000 EUR/MWh, da nicht genügend Erzeugungskapazitäten bereitstanden. Der litauische Übertragungsnetzbetreiber Litgrid aktivierte daraufhin 50 MW an Spitzenlastkapazitäten, um die Fehlmenge bereitzustellen (Quelle: Montel). Hintergrund für die Verhältnisse in den baltischen Staaten ist die möglichst schnelle Auflösung der Netzverflechtung von Russland.
Strombörsen müssen Maximalpreis erhöhen
Tatsächlich sind der minimale und der maximale Strompreis in der Day-Ahead-Auktion gedeckelt. So konnten lange Zeit nur Gebote zwischen -500 EUR/MWh und +3000 EUR/MWh abgegeben werden. Jedoch haben die Betreiber der europäischen Strombörsen schon im Jahr 2017 festgelegt, dass der maximal mögliche Preis um 1000 EUR/MWh erhöht werden muss, wenn der Preis in einem Strommarkt über 60 Prozent des vorherigen Maximums lag. Diese angepassten Gebotshöhen sollen es ermöglichen, dass der Stromhandel auch in Extremsituation weiterhin funktioniert.
Schon im Frühjahr 2022 haben die Strombörsen eine Erhöhung des Maximalpreises auf 4000 EUR/MWh implementiert. Der Auslöser war ein Preis von 2987,88 EUR/MWh für die Stunde von 8 bis 9 Uhr am 4. April 2022 in Frankreich (Quelle: Montel). Ende August haben die Strombörsen festgelegt, dass der Maximalpreis aufgrund des Erreichens des Grenzwertes in den baltischen Staaten europaweit auf 5000 EUR/MWh angehoben wird. Die Umsetzung soll am 20. September erfolgen.
Ausblick auf den Winter
Die Strompreise an den Spotmärkten sind im Winter aufgrund des höheren Stromverbrauchs generell höher als im Frühjahr und Sommer. In diesem Jahr kommt zusätzlich die Angst vor einer Gasknappheit hinzu. Da zu Spitzenzeiten des Strombedarfs oft Gaskraftwerke den Preis am Day-Ahead-Markt bestimmen, ist davon auszugehen, dass geringe Gasimporte im Winter sowohl die Gas- als auch die Strompreise auf neue Rekorde heben werden.
Folgende Hauptrisiken können die Knappheitssituation verstärken:
- ein kalter Winter,
- ein verringertes Angebot von LNG aufgrund steigender Preise in Asien,
- eine nicht ausreichend starke Reduktion der Gasnachfrage in Europa,
- ein völliges Ausbleiben von russischen Gaslieferungen und
- weiterhin geringe Verfügbarkeit der französischen Kernkraftflotte.
Einen Ausblick auf die Marktpreise ermöglicht der Terminmarkt. Händler können dort einen Lieferzeitraum in der Zukunft handeln. Die heutigen Preise am Terminmarkt spiegeln also den erwarteten durchschnittlichen Strompreis der Lieferperiode des jeweiligen Produktes wider. Ende August 2022 lag der Preis für die Grundlastlieferung Strom für das vierte Quartal für Deutschland bei über 1000 EUR/MWh. Auch hier stiegen die Preise seit der 60-prozentigen Reduktion der russischen Gaslieferung durch die Pipeline Nord Stream 1 Mitte Juni 2022.
Ende August stiegen die Preise extrem an. Hintergrund dafür war die weitere Ankündigung von Gazprom, die Gaslieferung über Nord Stream 1 für die ersten Septembertage zu unterbrechen. Demgegenüber fielen die Preise Anfang September aufgrund der hohen Füllstände der deutschen Gasspeicher und den Ankündigungen der EU, in die Preisbildung an den Spotmärkten für Strom einzugreifen (Abbildung 4).
Es bleibt sehr spannend, wie und ob sich die politischen Ankündigungen zu Eingriffen in die Preisbildung an den Strommärkten realisieren. Generell gilt nach heutiger Marktlage noch immer: höhere Spotmarktpreise für die letzten drei Monate des Jahres 2022 als jemals zuvor. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle Verbraucher, vom Industrie- bis zum Haushaltskunden, auf höhere Preise durch verstärkte Energieeinsparung und dem Heben von Effizienzmaßnahmen vorbereiten.
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