Das europäische Energiesystem wird sich in den kommenden Jahrzehnten stark verändern, um vor dem Hintergrund des Klimawandels weiterhin eine sichere Versorgung gewährleisten zu können. Europa strebt im Zuge des EU Green Deals das Ziel an, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden. Die Umsetzung dieser Pläne würde eine signifikante Umstellung der Versorgungs- und Verbrauchsstruktur der energieintensiven Wirtschaftssektoren bedeuten. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Strompreise, Erlöspotenziale und Risiken für Photovoltaik und Wind? Im aktuellen „EU Energy Outlook 2060“ zeigen wir langfristige Trends in Europa auf.

Für einen Eindruck über die mögliche Entwicklung des Energiemarktes in der Zukunft veranschaulicht der „EU Energy Outlook 2060“ von Energy Brainpool die Rohstoffpreise, den Kraftwerkszubau und die Stromnachfrage und zeigt als Ergebnis dieser Faktoren die Strompreise bis zum Jahr 2060. Der „EU Energy Outlook 2060“ erklärt und vergleicht die Entwicklungen in Energy Brainpools Strompreisszenarien „Central“ und „GoHydrogen“ für die EU 27, inklusive Norwegen, der Schweiz und Großbritannien. Jedoch können die tatsächlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern deutlich variieren. Um fundiert entscheiden zu können, sind detaillierte Modellierungen der einzelnen nationalen Märkte und der länderspezifischen Einflussfaktoren inklusive Sensitivitätsanalysen unerlässlich.

Energy Brainpools Strompreisszenarien

Energy Brainpool bietet aktuell drei Strompreisszenarien an. Abbildung 1 zeigt die unterschiedlichen Trends der Szenarien. Die Schwankungen betreffen die Annahmen zur Entwicklung der Commodity-Preise sowie des Kraftwerksparks und der flexiblen Stromnachfrage. Für das aktuelle Update ist besonders hervorzuheben, dass der neue World Energy Outlook 2023 mit den drei Commodity-Preisszenarien „Stated Policy“, „Announced Pledges“ und „Net Zero Emissions“ von International Energy Agency veröffentlicht wurde, welche wir als Quelle für die langfristige Commodity-Preisannahmen unserer Strompreisszenarien heranziehen.

Trends in den unterschiedlichen Szenarien

Abbildung 1: Trends in den unterschiedlichen Szenarien (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Das „Central“-Szenario

Im „Central“-Szenario wird angenommen, dass Europa als Folge der aktuellen Spannungen mit Russland den Import von russischem Pipeline-Gas bis spätestens 2027 vollständig beendet. Der Erdgaspreis in Europa orientiert sich in der Folge am Weltmarktpreis für LNG. Langfristig wird fossiles Erdgas durch den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen und insbesondere „grünem“ Wasserstoff ersetzt. Insofern Erdgas nach 2040 noch für die Stromerzeugung genutzt wird, muss der Preis bei steigendem CO2-Preis entsprechend sinken, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Das Szenario geht von einem künftig stark dezentralisierten Energiesystem mit einem deutlichen Ausbau der Erneuerbaren aus, um die allgemeine Importabhängigkeit bei den fossilen Energieträgern mittelfristig zu reduzieren und so schnell wie möglich zu beenden. Dies geht einher mit einem Anstieg der flexiblen Stromnachfrage: Neben der zunehmenden Produktion von Wasserstoff durch Elektrolyseure wird bis 2060 der Wärmesektor über einen weiteren Ausbau der Wärmepumpen vollständig dekarbonisiert. Der Anteil der Elektromobilität in Europa bei Personen- und Lastkraftwagen steigt bis 2060 auf 95 Prozent.

Das „Tensions“-Szenario

Das Szenario „Tensions“ geht davon aus, dass sich die aktuellen Spannungen zwischen Russland und dem Westen in den kommenden Jahren fortsetzen und weiter verschärfen. Infolgedessen beendet Europa den Import von russischem Pipeline-Gas so früh wie möglich. Der Erdgaspreis orientiert sich anschließend am Weltmarktpreis für LNG. Dabei befinden sich die europäischen Verbraucher:innen in einem Wettbewerb um LNG mit den asiatischen Märkten, was auch mittelfristig zu einem hohen Erdgas-Preisniveau führt.

Gleichzeitig kommt es im Vergleich zum „Central“-Szenario zu einem Anstieg der CO2-Preise. Dieser soll zusätzliche Einnahmen zur Refinanzierung von Staatsschulden generieren und die technologische Entwicklung beim Einsatz von Wasserstoff fördern. In einzelnen Ländern, beispielsweise in Deutschland, geht der Ausbau von Erneuerbaren unter anderem durch einen Fachkräftemangel und unzureichende politische Förderung langsamer voran als im „Central“-Szenario.

Das „GoHydrogen”-Szenario: Eine Wasserstoff-Energiewelt

Mit dem EU Green Deal gibt es erstmals auf europäischer Ebene eine klare Zielvorgabe zur Erreichung der europaweiten Klimaneutralität bis 2050. Während das Ziel damit gegeben ist, sind die Wege dahin noch unklar. Mit „GoHydrogen“ haben wir ein Szenario entwickelt, wie sich die gravierende Umwandlung des Energiesystems vor diesem Hintergrund gestalten lässt.

Das Szenario „GoHydrogen“ beschreibt eine zukünftige Energieversorgung Europas, in der langfristig fossiles Erdgas durch Wasserstoff substituiert wird. Das Nutzungspotential von Wasserstoff wird in den Hauptenergiesektoren voll ausgeschöpft, so dass Wasserstoff zu einem der Hauptenergieträger avanciert. Brennstoffzellen-LKWs, klimaneutraler Stahl aus dem Direktreduktionsverfahren, stoffliche Nutzung in der chemischen Industrie und wasserstoffbasierte Heizsysteme zum Energieeintrag in bestimmte Wärmenetze sind Anwendungen, bei denen Wasserstofftechnologien eine Schlüsselrolle spielen werden. In 2050 ergibt sich somit ein europaweiter Wasserstoffbedarf von über 2.200 TWhBrennwert, welcher zu 50 % durch die heimische (europäische) Wasserstofferzeugung (überwiegend durch Elektrolyseure) gedeckt werden kann.

Für bestimmte Anwendungen wie privater Verkehr, Bereitstellung von industrieller Prozesswärme und Wärmeversorgung im Gebäudebereich wird auch eine Elektrifizierungsrate angenommen, sodass die gesamte Stromnachfrage inklusive des Stromverbrauchs der Elektrolyseure signifikant steigen wird. Bis 2050 wird eine jährliche europaweite Stromnachfrage von über 5.700 TWh angenommen, was knapp eine Verdopplung des heutigen Stromverbrauchs darstellt. Dieser Anstieg der Stromnachfrage wird vor allem durch den starken Zubau von erneuerbaren Erzeugungsanlagen wie Onshore- und Offshore-Windkraftanlagen sowie Solaranlagen, aber auch durch den Zubau von „H2-fähigen“ Gasturbinen ausgeglichen. Bezüglich des Wasserstoffimports bieten Regionen wie MENA, Subsahara-Afrika, Australien sowie Süd- und Nordamerika großes Exportpotential. Die MENA-Länder befinden sich aufgrund umrüstbarer Erdgaspipelines und der geografischen Nähe zu Europa in einer Schlüssel-Position. Weitere Informationen zum „GoHydrogen“-Szenario finden Sie in unserem Whitepaper, dass sie sich auf unserer Website kostenfrei herunterladen können.

Die Entwicklung der Rohstoffpreise

Kurzfristig werden für die Brennstoff- und CO2-Preise die aktuellen Entwicklungen auf den Terminmärkten berücksichtigt. Im Vergleich zu den Rekordhöhen Mitte 2022 sind insbesondere die Erdgaspreise in den letzten Monaten wieder deutlich gesunken. Im Vergleich zu ihrem langfristigen Durchschnitt bleiben sie dennoch auf einem hohen Niveau. Abbildung 2 zeigt exemplarisch den Verlauf des Future-Preises für Erdgas (TTF) für das Lieferjahr 2024. Für die kommenden Jahre erwartet der Terminmarkt einen weiteren Rückgang der Gas- und Steinkohlepreise, während bei den CO2-Preisen (EUA und UKA) von leicht steigenden Preisen ausgegangen wird.

Future-Preise Gas-TTF

Abbildung 2: Future-Preise Gas-TTF (Quelle: ICE, 2023)

Für Erdgas wird in den Strompreisszenarien mittelfristig angenommen, dass sich der europäische Erdgaspreis am Weltmarktpreis für LNG orientiert. Als voraussichtlich wichtigste Importquelle für Europa kann dafür US-amerikanisches LNG als preissetzend angenommen werden. Der Exportpreis für US-LNG entspricht historisch dem amerikanischen Benchmark-Preis für Erdgas am Handelsplatz Henry Hub. Hinzu kommt ein nachfragebedingter Aufschlag für den Transport innerhalb der USA sowie für die Verflüssigung von Erdgas zum Transport als LNG.

Um den Preis für US-LNG auf dem europäischen Markt zu schätzen, müssen zudem Kosten für Fracht und Regasifizierung in Europa berücksichtigt werden. Abbildung 3 zeigt die Zusammensetzung der Kostenkomponenten auf Basis der Henry Hub „Price Forward Curve“ sowie die mittleren Annahmen zu Verflüssigungs-, Fracht- und Regasifizierungskosten. Unter Berücksichtigung von Wechselkurs- und Inflationsannahmen ergibt sich für Central ein Erdgaspreis von 22,30 EUR2022/MWh. Dieser Preis wird im Szenario als Annahme für das Jahr 2030 genutzt.

Im Vergleich zum aktuellen World Energy Outlook 2023 der IEA (IEA, 2023) [1] liegt er um ca. 3 EUR/MWh über dem Wert, der im „Announced Pledges Scenario“ (APS) für den Erdgaspreis in Europa für 2030 angenommen wird. Im APS werden nur die Emissionsreduktionen realisiert, zu denen sich die Regierungen in Form von „Pledges“ bereits verpflichtet haben. Dies deckt sich mit der Grundannahme von unserem Referenzszenario „Central“, dass die festgelegten gesetzlichen Ziele für den erneuerbaren Zubau und Emissionsreduktion als Annahmen übernommen werden.

 Kostenkomponenten am Weltmarkt LNG (Quellen: US Office of Fossil Energy and Carbon Management,

Abbildung 3: Kostenkomponenten am Weltmarkt LNG (Quellen: US Office of Fossil Energy and Carbon Management, 2023)

Für die Szenarien „Tensions“ und „GoHydrogen“ ist das Vorgehen analog, nur mit den über die letzten vier Jahre maximalen bzw. minimalen Aufschlägen für Transport und Verflüssigung auf den aktuellen Future-Preis für amerikanisches Erdgas.

Abbildung 4 zeigt die daraus resultierenden Szenariopunkte für den Erdgaspreis in den Jahren 2030 und 2050. Zum Vergleich sind die Annahmen aus den Szenarien des World Energy Outlook 2023 – neben APS außerdem noch das „Stated Policies Scenario“ (STEPS) und das „Net Zero Emissions by 2050“ (NZE) – gegenübergestellt. In allen drei Strompreisszenarien wird für 2030 ein höherer Erdgas-Preis angenommen als von der IEA; konkret wird für 2030 für die drei Szenarien vom durchschnittlichen, minimalen bzw. maximalen Niveau des prognostizierten LNG-Weltmarktpreises ausgegangen. Im Zeitverlauf folgen die Preisannahmen im „Central“- und „GoHydrogen“-Szenario bis 2040 in der Tendenz dem „Announced Pledges“-Szenario. Im „Tensions“-Szenario verharrt der Erdgaspreis hingegen bis 2040 auf einem konstanten Niveau.

Langfristig wird fossiles Erdgas in seinen Endanwendungen durch Wasserstoff ersetzt. Konkret wird dieser entweder mittels Elektrolyse aus Strom produziert oder von außereuropäischen Regionen wie MENA, Amerikas und Ozeanien importiert. Wir nehmen an, dass solch „grüner“ Wasserstoff auf dem Weltmarkt gehandelt wird und spätestens ab 2040 mit dem „Clean Gas Price“ im Wettbewerb steht. Der „Clean Gas Price“ setzt sich zusammen aus dem Preis für Erdgas bzw. vergleichbare gasförmige Brennstoffe plus dem EUA-Preis, multipliziert mit dem Erdgas-Emissionsfaktor von 0,2 tCO2/MWhth. Dies erhöht den Preisdruck auf Erdgas nach 2040. Eine sukzessive Verdrängung von Erdgas durch Wasserstoff findet statt.

Im Ergebnis nähert sich der Erdgaspreis bis 2050 im „Tensions“-Szenario an das Preisniveau im „Stated Policies“-Szenario an, und der Erdgaspreis im „Central“-Szenario kommt dem Niveau im „Announced Pledges“-Szenario nahe. Im „GoHydrogen“-Szenario wird von einem deutlich höheren Angebot für Wasserstoff auf dem Weltmarkt und damit einem niedrigeren Preisniveau ausgegangen als in den anderen beiden Szenarien. Als Folge sinkt der langfristig nach 2040 der Preis für gasförmige Brennstoffe noch unter das Niveau des „Net-Zero-Emissions“-Szenarios im WEO.

Erdgas-Preis im World Energy Outlook und in den EBP Strompreisszenarien

Abbildung 4: Erdgas-Preis im World Energy Outlook und in den EBP Strompreisszenarien (Quelle: IEA World Energy Outlook, 2023; Energy Brainpool, 2023)

Die Entwicklung der mittel- und langfristigen Commodity-Preise für Steinkohle, Erdöl und CO2-Zertifikaten von 2030 bis 2060 basiert auf den Annahmen des aktuellen World Energy Outlook. Diese sind für Steinkohle und EUAs in den Abbildungen 5 und 6 dargestellt. Für Kohle geht der WEO dabei in allen Szenarien von höheren Preisen als im letzten Jahr aus, was an Angebotsrückgängen durch die russische Invasion der Ukraine sowie fortgesetzt hoher Nachfrage vor allem in Indien und China liegt. Bei CO2-Preisen gibt es für die Szenarien „Announced-Pledges“ und „Net-Zero-Emissions“ keine Veränderungen. Im Zeitverlauf sinkt der Kohlepreis in allen drei Szenarien bis 2050, während der CO2-Preis kontinuierlich ansteigt.

Steinkohle-Preis im World Energy Outlook

Abbildung 5: Steinkohle-Preis im World Energy Outlook (Quelle: IEA World Energy Outlook, 2023)

CO2-Preis im World Energy Outlook

Abbildung 6: CO2-Preis im World Energy Outlook (Quelle: IEA World Energy Outlook, 2023)

Wie sieht der europäische Kraftwerkspark der Zukunft aus?

Der Kraftwerkspark in Europa war in der Vergangenheit besonders von fossilen Erzeugungskapazitäten dominiert. Vielfach haben die im Markt befindlichen Kraftwerke bereits ein hohes Alter erreicht und müssen bis 2050 ersetzt werden. Ausgenommen hiervon sind nur die bereits im Bau befindlichen Kraftwerke.

Auch die Ergebnisse der europäischen Klimapolitik werden bei der Entwicklung des europäischen Kraftwerkparks berücksichtigt. Mittlerweile haben sich nahezu alle EU-Staaten, in denen heute noch Strom aus Kohle erzeugt wird, zu einem Kohleausstieg entschlossen, um negative Auswirkungen der hohen CO2-Emissionen zu begrenzen. Für die Zukunft stehen bekannte wie auch erprobte Technologien bereit: Gaskraftwerke, erneuerbare Energien und in einigen Märkten Kernkraftwerke.

Vor allem Windkraft und Photovoltaik haben weiterhin ein großes Wachstumspotenzial. Diese Technologien sind heute dank der stark gesunkenen Kosten wettbewerbsfähig. Dies ist auch ersichtlich durch die ansteigende Anzahl PPA-basierter Projekte, insbesondere für Solaranlagen. Durch den starken Zubau bis zur Mitte des Jahrhunderts geraten die Erneuerbaren durch den Kannibalisierungseffekt der Anlagen jedoch zunehmend wirtschaftlich unter Druck.

Im „Central“-Szenario steigt der Anteil der fluktuierenden erneuerbaren Energien (feE) bis in das Jahr 2050 auf rund 77 Prozent der gesamten Angebotsleistung (vgl. Abbildung 7). Zudem senkt ihre oft gleichzeitige Stromerzeugung den stündlichen Strompreis immer öfter und immer stärker. Alle erneuerbaren Technologien (ohne mit Wasserstoff betriebene Gasturbinen) zusammen haben einen Anteil von 86 Prozent am Kraftwerkspark.

 Installierte Erzeugungskapazitäten nach Energieträger im „Central“- und im „GoHydrogen“-Szenario in EU 27

Abbildung 7: Installierte Erzeugungskapazitäten nach Energieträger im „Central“- und im „GoHydrogen“-Szenario in EU 27, zzgl. NO, CH und UK (Quellen: Energy Brainpool, 2023; EU Reference Scenario, 2021; entso-e, 2022)

An steuerbaren, fossilen Erzeugungskapazitäten werden auf europäischer Ebene in Zukunft vor allem Gaskraftwerke zugebaut. Sie weisen geringere Emissionen im Vergleich zu Kohlekraftwerken auf. Letztere verlieren selbst mit Carbon Capture and Storage (CCS) weiter an Bedeutung. Gleichzeitig können in modernen, „H2-fähigen“ Gasturbinenkraftwerken statt fossilem Erdgas auch Wasserstoff und andere synthetische gasförmige Brennstoffe verbrannt werden. Durch diesen Wechsel gelten Gasturbinen und GuD-Kraftwerke langfristig nicht mehr als fossile Stromerzeuger, sondern werden zumindest teilweise zu den „emissionsfreien“ Kraftwerken gerechnet. Daher ist davon auszugehen, dass Gaskraftwerke auch auf lange Sicht eine wichtige Technologie bei der Stromerzeugung bleiben. Mit Gas- und Kernkraftwerken erhöht sich der Anteil der emissionsfreien Erzeugungskapazitäten in 2050 auf 99 Prozent.

Die Kapazitäten von Kohlekraftwerken verringern sich um über 82 Prozent bis 2050, und um knapp 93 Prozent bis 2060. Bei der Kernkraft ist nach dem Abschalten der deutschen Kraftwerke ein Rückgang der aktuell installierten Leistung um rund 19 Prozent bis zum Jahr 2050 zu beobachten. In der Gesamtbetrachtung reduziert sich der Anteil der Erzeugungskapazität steuerbarer, thermischer Kraftwerke (inklusive Gas) von aktuell rund 40 Prozent auf etwa 14 Prozent bis zum Jahr 2050. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf die Struktur der Strompreise, welche zunehmend durch feE geprägt sind.

Im Szenario „GoHydrogen“ wird ein verstärkter Zubau an erneuerbaren Anlagen erwartet, sodass die installierten Erzeugungskapazitäten in Europa hier bis 2060 deutlich über 3500 GW liegen werden. Dabei werden vor allem Solar- und Windkraftanlagen in einem größeren Umfang ausgebaut als im „Central“-Szenario, sodass sie bis 2050 einen Anteil von über 80 Prozent der gesamten Erzeugungskapazitäten stellen werden.

Auch hier bleiben moderne, „H2-fähige“ Gasturbinenkraftwerke relevant, welche neben fossilem Erdgas vor allem auch Wasserstoff und andere synthetische gasförmige Brennstoffe verbrennen. Diese gelten somit nicht mehr notwendigerweise als fossile Stromerzeuger, sondern werden zumindest teilweise zu den „emissionsfreien“ Kraftwerken gerechnet. So werden bis 2050 praktisch alle Erzeugungskapazitäten in diesem Szenario emissionsfrei sein.

Im „GoHydrogen“-Szenario werden Kern- und Kohlekraftwerke auf dem gleichen Pfad wie im „Central“-Szenario zurückgebaut. Im Zuge des starken Zubaus erneuerbarer Anlagen reduziert sich der Anteil der Erzeugungskapazität steuerbarer, thermischer Kraftwerke (inklusive Gas) im „GoHydrogen“-Szenario von aktuell rund 40 Prozent auf etwa 12 Prozent bis zum Jahr 2050. Dadurch werden die Strompreise in diesem Szenario noch stärker durch die fluktuierenden erneuerbaren Energien geprägt als im „Central“-Szenario.

Steigende Stromnachfrage und Veränderungen in der Stromerzeugung bis 2060

Die gesamte Stromnachfrage steigt im „Central“-Szenario bis 2050 um circa 64 Prozent und bis 2060 um circa 71 Prozent, wie in Abbildung 8 dargestellt ist. Der Strombedarf erhöht sich vor allem durch:

  • die nationalen Wasserstoffstrategien und die Ausweitung der Wasserstoffanwendungen (Verbreitung der Brennstoffzellentechnologie im Transportbereich und vermehrte Nutzung von Wasserstoff in der Stahlerzeugung und in der chemischen Industrie),
  • die vermehrte Elektrifizierung von diversen Energiedienstleistungen in den Haushalten (insbesondere durch die Verbreitung von Wärmepumpen und sonstigen elektrischen Wärmeanwendungen für die Bereitstellung von Warmwasser und Raumwärme),
  • sowie den Anstieg der Elektromobilität.

Der Großteil des Wirtschaftswachstums findet laut Plänen der Europäischen Kommission im tertiären Sektor statt, welcher ebenfalls mehr Strom benötigt. Im Industriesektor kann durch eine höhere Effizienz verhindert werden, dass der Stromverbrauch deutlich steigt.

Im „GoHydrogen“-Szenario wird ein größerer Anteil der Haushaltsanwendungen und des Verkehrs elektrifiziert als im „Central“-Szenario, was eine höhere Stromnachfrage nach sich zieht. Zudem wird Wasserstoff hier noch mehr in der Industrie und im Verkehr eingesetzt, sodass mehr Elektrolyseure benötigt werden, was vor allem die flexible Stromnachfrage erhöht. Insgesamt wird die Stromnachfrage des „GoHydrogen“-Szenarios also die des „Central“-Szenarios im Jahr 2050 um rund 1000 GW übersteigen.

Bruttostromerzeugung und -nachfrage nach Energieträgern im „Central“- und im „GoHydrogen“-Szenario in EU 27

Abbildung 8: Bruttostromerzeugung und -nachfrage nach Energieträgern im „Central“- und im „GoHydrogen“-Szenario in EU 27, zzgl. NO, CH und UK (Quellen: Energy Brainpool, 2023; EU Reference Scenario, 2021; entso-e, 2022)

Die produzierte Strommenge aus Kohlekraftwerken ist für beide Szenarien stark rückläufig. So nimmt sie bis 2030 um rund 73 Prozent und bis 2050 um rund 92 Prozent (Central) bzw. 95 Prozent (GoHydrogen) ab. Die Stromproduktion aus Gaskraftwerken bleibt indes bis zum Jahr 2050 nahezu konstant.

Im „Central“-Szenario beträgt der Anteil erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung im Jahr 2050 über 76 Prozent. Dabei machen Wind- und Solaranlagen mit rund 62 Prozent den größten Anteil aus. Diese Anteile sind im „GoHydrogen“-Szenario noch höher, wo 2050 82 Prozent des Stroms von erneuerbaren Anlagen bereitgestellt werden wird, davon 70 Prozent von Wind- und Solaranlagen. Die restlichen Strommengen werden durch steuerbare, erneuerbare Energien produziert, wie zum Beispiel Biomassekraftwerke oder Speicherseen.

Weitere 18 Prozent des erzeugten Stroms werden im „Central“-Szenario ebenfalls emissionsfrei produziert, entweder in Kernkraftwerken (11 Prozent) oder in Gaskraftwerken durch die Verbrennung von grünem Wasserstoff (7 Prozent). Damit beträgt in diesem Szenario der Anteil der emissionsfreien Erzeugung in 2050 über 94 Prozent. Kernkraftwerke stellen im „GoHydrogen“-Szenario zwar absolut gesehen gleich viel Strom zur Verfügung wie im „Central“-Szenario, aber durch die höhere gesamte Erzeugungskapazität stellen sie einen niedrigeren prozentualen Anteil an der Stromerzeugung. Bei den Gasturbinen unterscheidet sich zwischen den Szenarien der Anteil emissionsfreier Produktion aus Wasserstoff. So lässt sich für das „GoHydrogen“-Szenario im Jahr 2050 ein Anteil von nahezu 100 Prozent an emissionsfrei erzeugtem Strom beobachten.

Entwicklung der durchschnittlichen Strompreise

Welche Faktoren beeinflussen die Entwicklung des Baseload-Preises – also des ungewichteten Durchschnittspreises für Strom am Day-Ahead-Spotmarkt über alle Stunden eines Jahres – in den Jahren 2023 bis 2050? Besonders relevant dafür sind die Rohstoff- und CO2-Preise sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Entwicklung der Stromnachfrage. Die Entwicklung der durchschnittlichen Strompreise in den verschiedenen Szenarien ist in Abbildung 9 dargestellt.

Entwicklung der Strompreise in den jeweiligen Szenarien

Abbildung 9: Entwicklung der Strompreise in den jeweiligen Szenarien (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

 

In den nächsten Jahren sind die Strompreise vom aktuell immer noch hohen Preisniveau an den Terminmärkten geprägt, wo aber bereits eine Entspannung begonnen hat. Zudem werden die Preise durch die immer höheren Einspeisungen aus Wind- und Photovoltaik-Kraftwerken gedrückt. Hierdurch gibt es zunehmend Stunden mit geringen und – in Ländern mit Fördersystemen für erneuerbare Energien oder ausgeprägten „Must Run“-Kapazitäten – häufig auch negativen Strompreisen. Im Ergebnis nehmen die realen Strompreise im „Central“-Szenario zwischen 2030 und 2060 nur leicht ab, mit einem deutlicheren Rückgang und einem anschließenden Anstieg um das Jahr 2040.

Das „GoHydrogen“-Szenario zeigt hingegen einen deutlicheren Rückgang der Strompreise ab 2035, woraufhin sich der Preis mit gewissen Schwankungen bis 2060 auf einem dauerhaft niedrigeren Niveau einpendelt als im „Central“-Szenario. In diesem Szenario sind höhere Einspeisungen aus Wind- und Solaranlagen zu beobachten, die zu mehr Stunden mit geringen und negativen Preisen führen als im „Central“-Szenario.

Im Vergleich zur letzten Ausgabe des EU Energy Outlooks vom April 2023 ist der Durchschnitt der Strompreise zwischen 2030 und 2050 für beide Szenarien leicht gesunken, bedingt durch den verstärkten Zubau von Wind- und PV-Anlagen (PV) in einigen Ländern.

Zwischen den einzelnen europäischen Ländern sind große Abweichungen sichtbar. Dies zeigen die dargestellten Schwankungsbreiten in Abbildung 10. Aufgrund der Entwicklung der Commodity-Preise verzeichnen insbesondere Länder mit einem geringen Ausbau von erneuerbaren Energien einen stärkeren Anstieg der Strompreise.

 

Jährliche Baseload-Preise und Schwankungsbreite nationaler Einzelmärkte ausgewählter Staaten in Europa im Durchschnitt

Abbildung 10: Jährliche Baseload-Preise und Schwankungsbreite nationaler Einzelmärkte ausgewählter Staaten in Europa im Durchschnitt (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Betrachten wir die Strompreise auf monatlicher Basis, wird deutlich, dass der Strommarkt saisonalen Schwankungen unterliegt (siehe Abbildung 11). Für den Winter zeigen die Analysen steigende Preise, bedingt durch die Temperatursensitivität der Stromnachfrage. Die Strompreise im Sommer liegen meist deutlich niedriger. Dieser Effekt wird durch den steigenden Anteil solarer Stromerzeugung verstärkt, so dass die saisonalen Preisunterschiede in der Zukunft zunehmen. Dieser Effekt zeigt sich im „GoHydrogen“-Szenario noch deutlicher, da der Ausbau von solarer Stromerzeugung in größerem Ausmaß stattfindet. Zudem wird sich hier eine höhere Nachfrage durch die verstärkte Nutzung von Wärmepumpen im Winter zeigen, welche zu einer größeren Saisonalität als im „Central“-Szenario führt.

Monatliche Baseload-Preise im Durchschnitt

Abbildung 11: Monatliche Baseload-Preise im Durchschnitt (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Welche Erlöse können Windkraftanlagen erzielen?

Der Vermarktungswert ist der durchschnittliche mengengewichtete Strompreis, den Wind- und PV-Anlagen über das Jahr gerechnet am Spotmarkt erzielen können. Bei der Berechnung werden nur Erzeugungsstunden mit nicht-negativen Strompreisen berücksichtigt (inklusive 0 EUR/MWh). Die Vermarktungsmenge gibt den Anteil der erzeugten Strommengen in diesen Stunden an der gesamten Erzeugungsmenge an. Das Produkt aus Vermarktungswert und Vermarktungsmenge ergibt den Capture-Preis. Im Gegensatz zum Vermarktungswert ist der Capture-Preis der durchschnittliche Jahreserlös am Strommarkt für die gesamte Erzeugungsmenge. Diese Kennzahlen ermöglichen es, die Erlöspotenziale von fluktuierenden, erneuerbaren Energien am Strommarkt realistisch einzuschätzen. Siehe auch White Paper „Bewertung der Strommarkterlöse von Anlagen fluktuierender erneuerbarer Energien“ welches auf unserer Website zum kostenlosen Download zur Verfügung steht.

Wie Abbildung 12 zeigt, gehen die Capture-Preise für Windanlagen ab dem Jahr 2025 merklich zurück. Der Grund dafür sind steigende Kapazitäten. Die parallele Erzeugung durch eine höhere Anzahl von Anlagen verringert die Strompreise in diesen Stunden (Kannibalisierungseffekt). Dieser Rückgang setzt sich für das „Central“-Szenario bis 2040 langsamer fort, bis es ab 2040 wieder zu einem moderaten Anstieg bedingt durch die zunehmende flexible Stromnachfrage kommt. Im „GoHydrogen“-Szenario lässt sich hingegen ein stärkerer Rückgang zwischen 2035 und 2040 beobachten, bevor sich die Capture-Preise ab 2040 mit leichten Schwankungen auf einem Niveau einfinden. Hier ergeben sich insgesamt niedrigere Preise, weil die Kapazitäten durch einen verstärkten Zubau erneuerbarer Anlagen mehr wachsen als im „Central“-Szenario.

Capture-Preise für Wind in ausgewählten europäischen Staaten im Durchschnitt

Abbildung 12: Capture-Preise für Wind in ausgewählten europäischen Staaten im Durchschnitt (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Die vielen Stunden, in denen steuerbare, fossile Kraftwerke den Preis setzen, trotz des hohen Anteils von erneuerbaren Energien, ermöglichen positive Erlösströme. Die Schwankungsbreite der Märkte zeigt, wie unterschiedlich die landesspezifischen durchschnittlichen Erlösmöglichkeiten von Windenergieanlagen in Europa sind.

Welche Erlöse können Photovoltaik-Anlagen (Solar) erzielen?

Die Entwicklung des durchschnittlichen Vermarktungswerts und Capture-Preises von Photovoltaik-Anlagen fällt im Vergleich zu Wind sowohl im „Central“- als auch im „GoHydrogen“-Szenario stärker ab (vgl. Abbildung 13). Grund hierfür ist der deutliche Zubau von Photovoltaik-Kapazitäten, unter anderem in Deutschland, in Verbindung mit dem stark ausgeprägten Kannibalisierungseffekt bei PV. In Stunden, in denen viel Solarstrom erzeugt wird – insbesondere in den Tagesstunden im Sommer – sinken die Strompreise und damit die Erlöse. Im „GoHydrogen“-Szenario ergeben sich ab 2035 niedrigere Capture-Preise für Solaranlagen als im „Central“-Szenario, weil die erhöhten Kapazitäten in den Windkraftanlagen für allgemein niedrigere Strompreise sorgen, die auch die Erlöse von Photovoltaik-Anlagen beeinflussen.

Capture-Preise für Solar in ausgewählten europäischen Staaten im Durchschnitt

Abbildung 13: Capture-Preise für Solar in ausgewählten europäischen Staaten im Durchschnitt (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Die große Schwankungsbreite der Solar-Vermarktungswerte in den Einzelstaaten zeigt, wie stark die Erlösmöglichkeiten variieren. Hier gilt es jedoch zu beachten, dass in einem sonnenreichen Land auch mit geringen Vermarktungswerten hohe Erlöse möglich sind. Das liegt daran, dass die Anlagen besser ausgelastet sind.

Zunahme der Preisvolatilität im Detail

Im „Central“-Szenario führen viele Faktoren zu einem deutlichen Anstieg der Preisvolatilität. In der Abbildung 14 wird die Preisvolatilität mithilfe von Boxplots dargestellt. Konkret beschreiben sie die jährlichen Baseload-Preise und die Quantile der Stundenpreise im jeweiligen Jahr.

Entwicklung der nachfragegewichteten Baseload-Preise und Quantile der Stundenpreise ausgewählter EU-Staaten im „Central“-Szenario

Abbildung 14: Entwicklung der nachfragegewichteten Baseload-Preise und Quantile der Stundenpreise ausgewählter EU-Staaten im „Central“-Szenario (Quelle: Energy Brainpool, 2023)

Durch den Ausstieg aus der Kohlekraft und den verstärkten Ausbau von Erneuerbaren wird die Preissetzung im Merit-Order zunehmend von binärer Natur sein – entweder werden die steuerbaren H2-fähigen Gaskraftwerke in Zeiten hoher Stromnachfrage oder die fluktuierenden Erneuerbaren Anlagen in Zeiten niedriger Stromnachfrage preisbestimmend. Im Ergebnis treten extreme Preise häufiger auf und werden zu einem normalen Bestandteil der Strompreisstruktur des Day-Ahead-Marktes. Dadurch steigt das Erlöspotenzial für Speicheranlagen, insbesondere Batteriespeicher werden wirtschaftlich immer attraktiver. Die Schwankungen zeigen sich im „GoHydrogen“-Szenario häufiger und in einem größeren Ausmaß als im „Central“-Szenario.

Autoren: Huangluolun Zhou, Elena Dahlem, Dr. Alex Schmitt

Teaser Brainreport 2.0

Quellen:

[1] EU, 2021: EU reference scenario 2020: Energy, transport and GHG emissions – trends to 2050 [online] https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/96c2ca82-e85e-11eb-93a8-01aa75ed71a1/language-en/format-PDF/source-219903975 [zuletzt abgerufen am 13.11.2023].

[2] IEA, 2023: World Energy Outlook [online] https://iea.blob.core.windows.net/assets/66b8f989-971c-4a8d-82b0-4735834de594/WorldEnergyOutlook2023.pdf [zuletzt abgerufen am 10.11.2023].

[3] entso-e, 2022 [online] https://tyndp.entsoe.eu/ [zuletzt abgerufen am 13.11.2023].

[4] US Office of Fossil Energy and Carbon Management, 2023 [online] https://www.energy.gov/fecm/listings/lng-reports [zuletzt abgerufen am 13.11.2023].