Wer sich auf die Suche nach einer eindeutigen klaren Definition des Begriffs Geopolitik macht, findet da leider keine umfassende Beschreibung, die sich eindeutig niederschreiben lässt. Die Eckpfeiler der geschichtlichen Entwicklung des Begriffes geben einem jedoch die Möglichkeit einer Einordnung.

Eine erste Entwicklung eines Wissensgebietes, welches sich als Geopolitik bezeichnen ließ, entstand im Zuge der Großmachtbestrebungen von europäischen Kolonialmächten gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Insbesondere in Deutschland begann während der Euphorie der deutschen Reichsgründung 1871 eine imperiale Expansion und eine Erweiterung des Nationalstaats durch Kolonien in Übersee.

Zur argumentativen Unterstützung im Heimatland und zur Rechtfertigung der teils militärischen Expansion, bildeten sich „imperialistische Institutionen und Vereine in Politik und Gesellschaft, deren Propaganda […] Wahlberechtigte überzeugen sollte, dass Koloniale Expansion im allgemeinen Interesse liegt“[1]

Fokus dabei lag auf der Erklärung einer Außenpolitik, deren Einfluss durch die Geografie eines Landes und dessen Einwirken auf die soziale Entwicklung des Staates im Sinne eines eigenständigen Organismus geprägt wurde. Im deutschsprachigen Raum haben sich dabei insbesondere Friedrich Ratzel und Karl Haushofer hervorgetan.

Pioniere des geopolitischen Denkens: Ratzels organisches Konzept

Friedrich Ratzel (1844 -1904) war der erste deutschsprachige Autor, der eine wissenschaftliche Methode für die Geopolitik zu entwickeln versuchte, die er sich aus der Naturgeschichte und der Zoologie herleiten konnte. Ratzel hat die Behauptung aufgestellt, dass „wir es im Staate mit einem organischen Wesen zu tun haben. Der Natur des Organischen widerspricht aber nichts mehr als eine starre Umgrenzung.“[2] In den von Ratzel aufgestellten sieben Gesetzen sind einige Naturgesetze mit chauvinistischen Gedankengut enthalten, wie z.B. „Die Größe des Staates wächst mit seinem Kulturniveau“ oder auch „das Wachstum eines Staates vollzieht sich mit der Annexion kleinerer durch größere Gebilde“2.  Da der Organismus sich im Konkurrenzkampf mit anderen befinde, muss jeder große Staat mit wachsender Bevölkerung mehr Raum beanspruchen, um den eigenen Zivilisationsstatus aufrecht zu erhalten[3], so Ratzel. Diese Verräumlichung wurde dann von Karl Haushofer übernommen und ausgeweitet.

Erweiterung der geopolitischen Horizonte: Karl Haushofers Beitrag

Mit Karl Haushofer (1896 -1946) wurde die Disziplin der Geopolitik in Deutschland mit einem Raumbegriff versehen und bei der die „Geopolitik die Lehre von der Erdgebundenheit der politischen Vorgänge sei“[4], bei der die Geopolitik auf der Geographie und den damit verbundene Erdräumen fußt. Haushofer versuchte mittels der Geopolitik die geographische eingeengte deutsche Nation zu erweitern. Er prägte den Begriff „Lebensraum“, welcher von dem nationalsozialistischen Regime bereitwillig übernommen und entsprechend ideologisch und politisch missbraucht wurde. Zudem hat Haushofer die Geopolitik auch sehr stark in ein politisches System einbetten wollen „Die Geopolitik will und muss zum geographischen Gewissen eines Staates werden“[4].

Geopolitik im Schatten des Zweiten Weltkriegs

Nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Herrschaft der Nationalsozialisten mit dem gleichzeitigen Missbrauch und der Nutzung der bisherigen geopolitischen Definitionen ist nicht nur der Begriff Geopolitik in Verruf geraten, sondern auch die weitere Forschung um das Thema zumindest im deutschsprachigen Raum ist weitestgehend eingeschlafen. Dies hatte insbesondere damit zu tun, dass eine klare Abgrenzung der Ideen von Ratzel und Haushofer auch nach dem zweiten Weltkrieg und in den Nürnberger Prozessen nicht stattgefunden hat.

Lediglich in den USA und auch in Frankreich wurde die wissenschaftliche Disziplin der Geopolitics bzw. geopolitique weiter fortgeführt. In den 1970er Jahren hat sich eine neue postmoderne Geopolitik in den USA entwickelt, die bis heute Bestand hat.

Moderne Auslöser: Ölkrisen und die Neubewertung der Geopolitik

Auslöser einer Neubetrachtung der Geopolitik war laut Harvey[5] die gemeinsame Förderquotenreduktion der erdölproduzierenden Länder (OPEC) in den beiden Ölpreiskrisen in den 1970er Jahren, mit dem Ziel politische aber insbesondere auch anti-israelische Ziele zu erreichen.

Die Entkoppelung von der territorialen Expansion mit einem Innen und Außen in der traditionellen Geopolitik hin zu einer stark auf vielen Ebenen in Verkehr, Kommunikation und Gütertransporten vernetzten Gesellschaft führt zu einer erhöhten Abhängigkeit und Verwundbarkeit von Gesellschaften gegenüber jeglichen globalen Risiken, die die enge Vernetzung stören könnten.

Geopolitik Karte

Geopolitik in einer Risikogesellschaft neu denken

Für hochindustrialisierten Staaten und deren Gesellschaften wurde von Beck[6] in den 1980er Jahren der Begriff der Risikogesellschaft geprägt. Hierin beschreibt Beck eine neue Form der Moderne, in der die Gesellschaft versucht, mit unbekannten und unvorhersehbaren Risiken fertig zu werden. Für diese Risikogesellschaft, die grenzenlos und global ist, sind aufgrund der komplexen Vernetzung existenzielle Gefahren nicht mehr durch feste Grenzen eingeschränkt. Daher muss sich insbesondere die Vernetzung der Gesellschaft durch physische und virtuelle Leitungen in der Definition der Geopolitik wiederfinden.

Die zeitgenössische Geopolitik definieren: Ein vielschichtiger Ansatz

Unter dem Aspekt der postmodernen Geopolitik und der Risikogesellschaft, kann die folgende aber vereinfachte Definition der Geopolitik benutzt werden:
Geopolitik ist die Ausrichtung der Außenpolitik einer Nation unter der Betrachtung der eigenen Geografie, der die Grenzen des Nationalstaates umfassenden, vorhanden sowie benötigten Ressourcen und der grenzüberschreitenden Transportwege dieser Ressourcen.

Wie die Außenpolitik eines Staates im Detail gestaltet ist, dass hängt von dem politischen System des Staates, von dessen Selbstverständnis und soziokulturellen sowie religiösen Ausrichtung ab. Zudem ist dabei auch zu beachten, ob sich der Staat als globale Großmacht versteht oder das Ziel hat, sich in diese Richtung zu bewegen. Die Ziele der Außenpolitik beziehen sich auch auf Energie und Energieträger. Somit kann getrost gesagt werden, dass es unabhängig von dem politischen System eines Staates immer das Ziel der Außenpolitik ist, Risiko vom eigenen Nationalstaat abzuwehren oder zu minimieren.

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Quellen:

[1] Georóid Ó Tuathail: Geopolitik – zur Entstehung einer Disziplin in Geopolitik – Kritische Geographie 14; 2001, S. 9

[2] Friedrich Ratzel: Die Gesetze des räumlichen Wachstums der Staaten in Petermanns Mittelungen 42, S. 97-107, 1896

[3]  Siehe: Friedrich Ratzel: Politische Geographie, Nachdruck der dritten Auflage von 1923, Osnabrück 1974

[4] Haushofer, K., E. Obst, H.Lautensach, O. Maull: Bausteine zur Geopolitik, Berlin 1928

[5] Harvey, D.: The Conditions of Postmodernity, Oxfort, Blackwell Verlag, 1989

[6] Beck, U. : Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1986