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Blog by Energy Brainpool GmbH & Co. KG

Krieg, Gasknappheit und Extrempreise: 2022 wirft Energiemärkte aus der Bahn

Das Jahr 2022 steht vorrangig unter dem Eindruck des Russisch-Ukrainischen Krieges. Die dadurch verursachten geopolitischen Veränderungen sorgten in diesem Jahr für einen Ausnahmezustand an den Energiemärkten. Die Rahmenbedingungen für die Energiewirtschaft werden aber auch in Zukunft nicht mehr dieselben sein: Energiesicherheit, Diversifikation sowie Effizienz- und Einsparmaßnahmen rücken in den Vordergrund. Kurzfristig sind die Energiepreise in der EU auf Rekordhöhe gestiegen. Der Verbrauch von Erdgas in Deutschland konnte im Jahresvergleich schon reduziert werden. Auch in den kommenden Monaten wird der Blick auf die Gasimportmengen und die Füllständer der Speicher wichtig bleiben.

Geopolitische Zäsur bringt Ausnahmesituation

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine Ende Februar 2022 herrscht eine Zäsur in Europa. Neben den Tragödien vor Ort verursacht der anhaltende Krieg weltweit geopolitische und ökonomische Verwerfungen. Steigende Lebensmittelpreise und teure Energierohstoffe sind unmittelbare Auswirkung, die vor allem ärmere Regionen treffen. Die Sabotage und teilweise Zerstörung der Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 im September 2022 brachte auch die Sicherheit und den Schutz physischer Energieinfrastrukturen in den Vordergrund.

Die europäischen Länder, welche vor dem Krieg etwa 50 Prozent ihrer Gasimporte von Gazprom aus Russland bezogen haben, schwenken nun um. Teilweise aufgrund der Entscheidung der Importländer, teilweise aufgrund des Lieferstopps des russischen Gaskonzerns. Die Liefermengen von Gazprom nach Europa sind in den ersten elf Monaten des Jahres 2022 um 45 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum gefallen (Quelle: Montel). Ähnliches gilt für die Importe von Steinkohle und Erdöl aus Russland in die EU. Mittel- und langfristig verliert Russland mit der EU seinen wichtigsten Abnehmer von Rohstoffen. Andere Länder nehmen die Mengen jedoch zum Teil auf, wie Abbildung 1 zeigt (Quelle: CREA).

Abbildung 1: Exporte fossiler Energieträger aus Russland in Mio. EUR/Tag im 30-Tagesdurchschnitt (Quelle: CREA, 2022) [1]

Abbildung 1: Exporte fossiler Energieträger aus Russland in Mio. EUR/Tag im 30-Tagesdurchschnitt (Quelle: CREA, 2022) [1]

Preisextreme bei Strom und Gas

Die Preise für Strom und Gas in Europa zogen schon seit Ende 2021 an. Dies lag unter anderem an den relativ geringen Lieferungen Gazproms und an den niedrigen Füllständen der von Gazprom bewirtschafteten Speicher. Hierüber berichten wir ausführlicher in unserem Beitrag zur Preisrally an den Energiemärkten. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gingen die Gaspreise in Europa durch die Decke. Über den Sommer hinweg stoppte Russland schrittweise seine Gaslieferungen über die Gaspipeline Nord Stream 1. Das Ergebnis: Die Preise stiegen auf das mehr als Zehnfache des Vorkriegslevels. In einigen Blogbeiträgen haben wir die Entwicklungen der Gas- und Strompreise im Detail analysiert (Themen: Speicherziele, Spotmarktpreise Strom und Gasmarktentwicklung).

Abbildung 2 zeigt die Preisentwicklung der wichtigsten Energierohstoffe und der Emissionszertifikate im europäischen Emissionshandel von Oktober 2021 bis Anfang Dezember 2022. Die extremen Preisausschläge bis August 2022 sind klar erkennbar. Ebenso sind der Rückgang und die Stabilisierung der Gas- und Strompreise auf einem hohen Niveau im Herbst 2022 ersichtlich.

Abbildung 2: Prozentuale Entwicklung von Commodity-Preisen von Oktober 2021 bis Dezember 2022 – Strom Frontjahr 2023 Deutschland (candle sticks), Gasfrontjahr 2023 TTF (gelbe Linie), Kohlefronjahr 2023 (rote Linie), Rohöl Brent Q2 2023 (grüne Linie) und EUA Lieferung Dez 2023 (orangenfarbene Linie) (Quelle: Montel, 2022) [2]

Abbildung 2: Prozentuale Entwicklung von Commodity-Preisen von Oktober 2021 bis Dezember 2022 – Strom Frontjahr 2023 Deutschland (candle sticks), Gasfrontjahr 2023 TTF (gelbe Linie), Kohlefronjahr 2023 (rote Linie), Rohöl Brent Q2 2023 (grüne Linie) und EUA Lieferung Dez 2023 (orangenfarbene Linie) (Quelle: Montel, 2022) [2]

Treiber für die sinkenden und stabilen Preise gegen Ende des Jahres waren einerseits die hohen Speicherfüllstände für Erdgas in Deutschland und Europa. Andererseits spielten die Gaseinsparungen besonders aufseiten der Industrie und die hohen Temperaturen eine zentrale Rolle.

Weitere energiepolitische Entwicklungen

Neben der unmittelbaren Bewältigung der Auswirkungen des Ukrainekriegs wurden in 2022 weitere wichtige Entscheidungen für die Energiewirtschaft getroffen. Die Details übersteigen den Rahmen dieses Artikels, jedoch soll die untenstehende Auflistung einen Überblick geben:

  • Abschaffung der EEG-Umlage als Bestandteil des Strompreises von Endverbraucher:innen
  • Änderung der Förderbedingungen für Elektrofahrzeuge und energieeffiziente Gebäude
  • Ambitionierte Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland (80 Prozent bis 2030) im EEG 2023 und auf EU-Ebene durch REPowerEU
  • Energiesicherheits- und Energiespargesetz mit Verordnungen zur Abwendung einer Gasmangellage
  • Start des Baus von LNG-Importterminals zur Sicherung der Gasversorgung (mehr dazu im Beitrag über LNG-Terminals)
  • Rückkehr von (Kohle-)Reservekraftwerken in den Strommarkt (Versorgungsreserve)
  • Verlängerung der Stromerzeugung aus Kernkraftwerken in Deutschland bis Mitte April 2023
  • Teilweise Verstaatlichung von bzw. Einstieg des Staates bei Gasspeicherbetreiber (SEFE) und Gasimporteuren (Uniper)
  • Umfangreiche Entlastungspakete für Endverbraucher:innen (Strom- und Gaspreisbremse)
  • Abschöpfung von „Übergewinnen“ bei Stromerzeugern zur Finanzierung der Preisbremsen

Rückgang des Gasverbrauchs, Anstieg bei Kohle und Erneuerbaren

In den ersten neun Monaten ging der Primärenergieverbrauch in Deutschland witterungsbereinigt um 2,2 Prozent zurück. Ein Großteil davon ist auf die hohen Energieträgerpreise zurückzuführen. Insbesondere die Anstrengungen, um den Gasverbrauch zu reduzieren, haben sich schon in der Statistik niedergeschlagen, wie die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen zeigt (Quelle: AGEB). Der Erdgasverbrauch nahm in Vergleich zu den ersten drei Quartalen im Jahr 2021 um 12 Prozent ab. Der Einsatz von Kernenergie ging aufgrund der Abschaltung von drei Kraftwerken zum Ende des Jahres 2021 um fast 50 Prozent zurück. Der Anteil der Kernenergie am Primärenergieverbrauch lag im Betrachtungszeitraum bei knapp über 3 Prozent.

Demgegenüber nahm jedoch der Verbrauch von Kohle besonders in der Stromerzeugung um etwa 10 Prozent zu. Grund hierfür sind die sehr hohen Gaspreise, welche den Einsatz von Kohlekraftwerken lukrativer machen, und die höheren Stromexporte Deutschlands an Nachbarländer wie Frankreich. Der Einsatz von erneuerbaren Energien stieg um mehr als 4 Prozent. Von Januar bis Ende September 2022 deckte er 17,3 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs. Abbildung 3 stellt die prozentualen Änderungen des Primärenergieverbrauchs der ersten drei Quartale gegenüber dem Vorjahreszeitraum dar.

Abbildung 3: Veränderung des Primärenergieverbrauchs verschiedener Energieträger in Q1–Q3 2022 im Vorjahresvergleich (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 3: Veränderung des Primärenergieverbrauchs verschiedener Energieträger in Q1–Q3 2022 im Vorjahresvergleich (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Im Betrachtungszeitraum nahmen die energiebedingten CO2-Emissionen aufgrund der höheren Kohleverstromung gegenüber dem Vorjahr um 2 Prozent zu. Die Treibhausgasemissionen Deutschland sind also auch im Jahr 2022 nicht auf dem Zielpfad. So sind weitere Anstrengungen notwendig, um die im Klimaschutzgesetz festgeschriebenen Sektorziele zu erreichen.

Was wird in 2023 wichtig?

Die Gaskrise ist mit dem Jahresende noch lange nicht ausgestanden. Besonders die Temperaturen von Januar bis April 2023 bestimmen, ob trotz der sehr hohen Füllstände zu Anfang Dezember 2022 und der Einsparungen in Haushalten sowie Industrie doch kurzzeitige Mangellagen auftreten. Bei mittleren Wintertemperaturen sollten die Gasspeicher den gesetzlichen Wert von 40 Prozent zum 1. Februar 2023 einhalten können. Damit würde auch die Wiederbefüllung im nächsten Jahr unter den erschwerten Bedingungen (deutlich weniger russischen Gasimporten) vereinfacht werden. Zusammengefasst bedeutet das: Auch in 2023 werden uns die Gasspeicherfüllstände und die nach Deutschland gelieferten LNG-Importmengen verfolgen.

Weiterhin wegweisend sind die mittel- und langfristigen Änderungen, die auf EU-Ebene, aber auch in Deutschland, bezüglich des Strommarktdesign diskutiert werden. Eine Arbeitsgruppe aus wichtigen Stakeholdern soll im kommenden Jahr Vorschläge für Deutschland vorstellen. Die Einführung eines Kapazitätsmarkts oder handelbarer Versorgungssicherheitsbeiträge in Deutschland ist dabei auf der Tagesordnung.

Neben den akuten Problemen der Energiewirtschaft aufgrund des Kriegs in der Ukraine, darf der Fokus auf Emissionsminderungen nicht nachlassen. Wichtige Entscheidungen dazu stehen in den Trilogen der EU zum „Fit for 55“-Paket auch noch in 2023 an. Maßgeblich wird außerdem sein, wie stark der Ausbau der erneuerbaren Energien tatsächlich voranschreitend und ob Genehmigungsverfahren beschleunigt werden können. Nur wenn die Weichen dafür im nächsten Jahr gestellt werden, kann das Ziel von 80 Prozent erneuerbaren Stroms in erreichbare Nähe kommen.

 

Weiterlesen?

Sie möchten mehr über die Lage am Gasmarkt erfahren? Ein Review dazu finden Sie hier: Alles entspannt am Gasmarkt? Eine Einordnung der derzeitigen Entwicklungen

Hier geht es zu unserem letzten Blogartikel: EU Energy Outlook 2060: Wie entwickelt sich der europäische Strommarkt in den nächsten 37 Jahren?

 

Quellenangaben der Abbildungen:

[1] CREA, 2022

[2] Montel, 2022

Kommentare

  1. Ein sehr gut recherchierter Text;)

    LG

    Milian

    • Lydia Bischof

      9. Januar 2023

      Hallo Milian,

      vielen Dank für Ihr Lob und Ihr Interesse an unserem Blog.

      Viele Grüße

      Das Team von Energy Brainpool

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