Die Preise an den europäischen Gasmärkten sind seit August 2022 stark gesunken und die Gasspeicher Europas sind fast voll. Entspannt sich also die Lage am Gasmarkt? Die wichtigsten Antworten und Entwicklungen im Überblick.

Gaspreise seit August im Sinkflug

Ende August 2022 lag der Gaspreis für den Winterkontrakt 2022/2023 am niederländischen Handelspunkt TTF bei über 340 EUR/MWh und auch die Preise für das Frontjahr 2023 bei mehr als 310 EUR/MWh. Seitdem sind die Preise für Gas an den europäischen Märkten jedoch um 50-70 Prozent gesunken. Die starken Preisrückgänge dürfen jedoch nicht davon ablenken, dass die langfristigen Gaspreise im Vergleich zu den Vorjahren weiterhin auf Rekordniveau liegen. Am europäischen Leitmarkt TTF wurde der Monatskontrakt für Januar 2023 am 26. Oktober immer noch bei etwa 137 EUR/MWh gehandelt. Auch die Preise im deutschen Marktgebiet THE folgten dieser Entwicklung. Gegenüber dem Vorjahr entspricht dies einer Preissteigerung von fast 400 Prozent und einer Verdopplung im Vergleich zum Jahresbeginn 2022 (Abbildung 1).

Abbildung 1: Gaspreise am Terminmarkt für das deutsche Marktgebiet (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 1: Gaspreise am Terminmarkt für das deutsche Marktgebiet (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Die wichtigsten Gründe für die sinkenden Preise in den vergangenen Wochen bis Ende Oktober 2022 sind:

  • Weiterhin hohe Gasimporte nach Europa trotz drastischem Importrückgang aus Russland
  • Gasspeicherstände von 95 Prozent in der EU und 98 Prozent in Deutschland
  • Rückgang des Gasverbrauchs insbesondere in der europäischen Industrie um 30 Prozent
  • Der überdurchschnittlich warme Oktober reduzierte die Heiznachfrage

Gasimporte nach Europa bleiben hoch

Nachdem ein Großteil der russischen Lieferungen ausfiel (derzeit nur noch etwa 10 Prozent der EU-Gasimporte), wurde der Import von Flüssiggas über die europäischen LNG-Terminals zum Rettungsanker. Abbildung 2 stellt die Entwicklung der LNG-Importe nach Europa dar. Hier wird vor allem deutlich, dass die LNG-Importe schon seit Ende 2021 nach oben schnellten, nach Kriegsbeginn einen weiteren Satz um fast 2000 GWh/Tag machen und den gesamten Sommer des Jahres 2022 auf Rekordniveau lagen. Etwa 40 Prozent der importieren Gasmengen in die EU kommt derzeit aus LNG.

Abbildung 2: LNG-Importe in die EU von 2017 bis Oktober 2022 (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 2: LNG-Importe in die EU von 2017 bis Oktober 2022 (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Neben den hohen LNG-Importen hat auch Norwegen die Gasproduktion erhöht und steuert derzeit etwa ein Drittel der Gasimporte in die EU bei. Die stark gestiegenen Gasimporte aus anderen Ländern haben es Europa ermöglicht, seine Gasspeicher im Sommer und Herbst zu füllen.

Hohe Gasspeicherstände zeigen Wirkung

Seit Anfang April wurden die europäischen Gasspeicher von ihren Betreibern und oft auch im Auftrag der jeweiligen Nationalstaaten konsequent befüllt, um die europäischen oder nationalen Mindestspeicherständer zu erreichen. Dies ist ebenfalls ein Grund, warum die Gaspreise in den Sommermonaten derart hoch ausfielen. EU-weit sollte bis zum 1. November 2022 ein Speicherlevel von 80 Prozent erreicht werden, in Deutschland sogar von 95 Prozent. Diese Speicherziele wurden in vielen Ländern übertroffen (Abbildung 3).

Abbildung 3: Gasspeicherstände in verschiedenen EU-Ländern Ende Oktober 2022 (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 3: Gasspeicherstände in verschiedenen EU-Ländern Ende Oktober 2022 (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Die hohen Speicherstände haben einen psychologischen Effekt auf die Händler und sorgen ebenfalls für sinkende Gaspreise an den Märkten. Dennoch reichen beispielsweise die deutschen Gasspeicher im vollen Zustand nur für eine Versorgung der Verbraucher:innen im Winter für etwa zwei bis zweieinhalb Monate. Weitere Einsparmaßnahmen und kontinuierliche Importe sind daher notwendig, um die Nachfrage in den Monaten Februar bis April zu decken. Außerdem gilt: Je höher die Speicherstände am Ende dieses Winters, desto einfacher und sicherer wird die Befüllung für den Winter 2023/2024. Daher sollte Deutschland 40 Prozent der Speicherfüllstände zum 1. Februar 2023 erzielen. Ob diese Marke erreicht wird, hängt neben den weiter nötigen Importen in die EU auch stark vom Rückgang des Verbrauchs durch Einsparungen ab.

Bemerkbarer Rückgang des industriellen Gasverbrauchs

Die europäische Industrie hat aufgrund der hohen Gaspreise schon in diesem Jahr Einsparmaßnahmen, Brennstoffwechsel oder im schlimmsten Fall Produktionseinschränkungen (Demand Destruction) vorgenommen. Da die Marktpreise von Gas direkter an Industriekunden weitergegeben werden, konnte bereits im Sommer eine Einsparung beobachtet werden. Zu sehen ist diese in Abbildung 4, welche die Gasnachfrage in Deutschland nach RLM (registrierende Leistungsmessung)- und SLP (Standardlastprofil)-Kunden aufteilt. Der industrielle Verbrauch (RLM) ging besonders in den energieintensiven und gasabhängigen Industrien, wie Aluminium und Chemie um bis zu 30 Prozent zurück. Teilweise ging dies mit drastischen wirtschaftlichen Auswirkungen aufgrund von Einschränkungen der Produktion einher. EU und Nationalstaaten versuchen, die wirtschaftlichen Auswirkungen mit milliardenschweren Hilfspaketen, wie etwa der Gaspreisbremse. abzumildern.

Abbildung 4: Gasnachfrage im Jahresverlauf in Deutschland nach Kundengruppe (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 4: Gasnachfrage im Jahresverlauf in Deutschland nach Kundengruppe (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Gasverbrauch der Kleinkunden und Haushalte

Während der Verbrauch der großen Industriekunden tagesscharf gemessen wird, ist die Datenlage bei kleineren Kunden, inklusive der Haushalte, schwieriger. Dennoch können anhand Daten der Marktgebietsverantwortlichen für Gas auch Abschätzungen des Verbrauchs der Nicht-Industriekunden getroffen werden. Bei diesen Kundengruppen hängt der Verbrauch vor allem von der Witterung ab. Das heißt: Je kälter die Außentemperatur, desto höher der Verbrauch. Abbildung 5 stellt die Verbrauchszahlen der deutschen SLP-Kunden im Vergleich zum Vorjahr und dem Durchschnitt seit 2017 dar. Die Einsparungen im Haushaltsbereich sind bislang nur bedingt auf Einsparkurs. Die hohen Temperaturen im Oktober haben jedoch zu einem geringeren Verbrauch geführt (Abbildung 5).

Abbildung 5: Wöchentlicher Gasverbrauch der SLP-Kunden in Deutschland (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Abbildung 5: Wöchentlicher Gasverbrauch der SLP-Kunden in Deutschland (Quelle: Energy Brainpool, 2022)

Ausblick Winter 2023/2024: Preisunterschiede am kurzen und am langen Ende

Die in den letzten Wochen gesunkenen Verbräuche führen in Kombination mit den hohen Gasspeicherfüllständen derzeit zu einer interessanten Preisdifferenz zwischen den kurz- und langfristigen Gaspreisen. Besonders die hohen Füllstände der Gasspeicher erlauben kaum mehr hohe Einspeicherungen und die ankommenden LNG-Lieferungen sorgen für eine gute kurzfristige Versorgung. Da diese Lieferungen nun auch auf einen Oktober mit Temperaturen von drei bis fünf Grad über der Norm treffen, sanken die Day-Ahead-Preise für Gas im Oktober dramatisch. Mit teilweise weniger als 40 EUR/MWh fielen sie sogar unter das Niveau vor dem Winter 2021/2022 und dem Krieg in der Ukraine (Abbildung 6).

Abbildung 6: Gaspreise am THE mit steigender Differenz zwischen Frontmonat und Day-Ahead (Quelle: BNetzA, 2022)

Abbildung 6: Gaspreise am THE mit steigender Differenz zwischen Frontmonat und Day-Ahead (Quelle: BNetzA, 2022)

Die Preise für die langfristigen Kontrakte im speziellen in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar liegen mit 130-140 EUR/MWh jedoch immer noch weit über den Day-Ahead-Preisen von Ende Oktober 2022. Dies bedeutet, dass Marktteilnehmer im Winter wieder mit höheren Preisen rechnen müssen. Mit sinkenden Temperaturen wird auch bei Einsparungen im Heizverbrauch muss Gas aus den Speichern entnommen werden, um einen Ausgleich zwischen Verbrauch und Importen bzw. Gasproduktion zu gewährleisten. Spätestens in einer Kälteperiode dürften auch die Day-Ahead-Preise wieder hohe Werte erreichen.

Die Lage der Gasversorgung bleibt folglich trotz hoher Speicherstände angespannt, insbesondere sobald die Temperaturen sinken. Trotz hoher Importe aus anderen Länder muss über alle Verbrauchsgruppen hinweg weiter Gas eingespart werden, um in einer längeren Kälteperiode eine Mangellage zu vermeiden. Ebenso sollten die Gasspeicher im kommenden Frühjahr nicht zu leer sein, damit sie vor dem Winter 2023/2024 wieder gefüllt werden können. Die Situation am Gasmarkt hat sich tatsächlich etwas beruhigt, Entwarnung kann jedoch noch lange nicht gegeben werden.

 

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