Energie-Crunch in Europa? Die Energiepreise brechen seit einigen Wochen einen Rekord nach dem anderen. Woher kommt der extreme Anstieg bei den Preisen für Strom, Kohle und Gas? Ist die Preisrally ein kurzfristiger Ausreißer oder ein Anzeichen für höhere Energiepreise in der Zukunft? In diesem Beitrag erläutern wir die wichtigsten globalen und regionalen Ursachen der derzeitigen Preisbewegungen an den Energiemärkten.

„Energieversorger melden Konkurs an“, oder: „Knappheit von Treibstoff in Großbritannien“ – derartige Schlagzeilen machen seit wenigen Wochen die Runde. Die Preise für Strom, Gas und Kohle sind in den vergangenen Wochen teilweise auf die höchsten Werte seit Beginn des liberalisierten Energiemarkts oder zumindest innerhalb der letzten 15 Jahre gestiegen.

Eine Preisrally, die ihresgleichen sucht

So erreichte der Preis für die Lieferung von Strom im deutschen Marktgebiet für das Jahr 2022 Anfang Oktober über 150 EUR/MWh. Die Preise für den Gas-Frontmonat am niederländischen Handelspunkt TTF lagen am 5. Oktober 2021 bei bis zu 120 EUR/MWh und auch die Kohlepreise für die Lieferung im November legten auf über 260 USD/Tonne zu.

Jeden Tag, so scheint es, werden höhere Preise erreicht, die noch vor wenigen Monaten ins Reich der Fantasie gehörten. Abbildung 1 stellt zur Verdeutlichung die prozentuale Preisbewegung für Strom, Gas, Kohle und CO2 seit Beginn 2021 dar (Quelle: Montel). Am 6. Oktober 2021 brachen die Preise am Energiemarkt ein. Die hohe Volatilität der Preise birgt demnach sichtbar große Unsicherheiten und Risiken.

Prozentuale Preisentwicklung des deutschen Stromfrontjahres (candle sticks), der CO2-Zertifikate mit Lieferung Dezember 2022 (rote Linie), des Frontjahres Gas am TTF (grüne Linie) und des Frontjahres Kohle (gelbe Linie) von Anfang 2021 bis zum 11. Oktober 2021 (Quelle: Montel)

Abbildung 1: Prozentuale Preisentwicklung des deutschen Stromfrontjahres (candle sticks), der CO2-Zertifikate mit Lieferung Dezember 2022 (rote Linie), des Frontjahres Gas am TTF (grüne Linie) und des Frontjahres Kohle (gelbe Linie) von Anfang 2021 bis zum 11. Oktober 2021 (Quelle: Montel)

Steigende Preise für Energierohstoffe

Seit Anfang September gab es bei den Energierohstoffen nur noch den Weg nach oben. Klar erkennbar ist in Abbildung 1, dass die CO2-Zertifikate (rote Linie) die Rolle als hauptsächlichen Preistreiber für Strom lediglich bis Juli innehatten. Die Rekordpreise, zu denen heute Strom an den Energiebörsen gehandelt wird, ist jedoch vor allem auf den beispiellosen Anstieg der Preise für Gas (grüne Linie) und Kohle (gelbe Linie) zurückzuführen. So verwundert es kaum, dass sich die Strompreise auch im langjährigen Vergleich auf einem Höchstniveau befinden (vgl. Abbildung 2). Die Preisspitze, die vor der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 erreicht wurde, ist heute weit übertroffen. Die Strompreise für die Grundlastlieferung 2022 lag Anfang Oktober 2021 fast doppelt so hoch wie vor 13 Jahren.

Frontjahrespreise für die Lieferung von Grundlaststrom für Deutschland, Stand 5. Oktober 2021 (Quelle: Energy Brainpool)

Abbildung 2: Frontjahrespreise für die Lieferung von Grundlaststrom für Deutschland, Stand 5. Oktober 2021 (Quelle: Energy Brainpool)

Woher kommt der extreme Anstieg bei den Preisen für Strom, Kohle und Gas?

Global betrachtet, führten unterschiedliche Ereignisse zu den derzeit sehr hohen Energiepreisen in Europa. Eine geringe Einspeisung aus erneuerbaren Energien im Jahr 2021, die hohen CO2-Preise im europäischen Emissionshandelssystem aufgrund verstärkter Klimaschutzanstrengungen oder die Diskussionen um die Gaspipeline Nord Stream 2 sind als einzelne und einfache Gründe kaum verantwortlich für die heutige Preissituation. Vielmehr kann von einem perfekten Sturm, also dem Zusammentreffen von verschiedenen, teilweise voneinander abhängigen, aber auch unabhängigen Faktoren, gesprochen werden, die im Endergebnis diese sehr hohen Preise verursachen. Die verschiedenen Gründe werden nachfolgend eingeordnet.

Die wichtigsten globalen und regionalen Ursachen der derzeitigen Preisbewegungen

Besonders die Einspeisung von Windenergie in Deutschland war im Jahr 2021 bislang stark unterdurchschnittlich. Infolge der ansteigenden Nachfrage während der Coronavirus-Pandemie, mussten konventionelle Kraftwerke mehr Strom erzeugen. Dadurch stieg der Bedarf nach Gas und Kohle und trieb die Preise der beiden Rohstoffe an.

Zudem veröffentlichte die EU-Kommission im Juli 2021 ihr „Fit for 55-Paket“ zur Umsetzung verstärkter Klimaambitionen. Schon im Vorlauf der Veröffentlichung der Vorschläge zur Anpassung des europäischen Emissionshandelssystems stiegen die Preise für CO2-Zertifikate. Marktteilnehmende nahmen die potenzielle zukünftige Verknappung von Emissionszertifikaten in den Preisen schon seit Anfang des Jahres vorweg. Die höheren CO2-Preise führten als Aufschlag bei den Stromerzeugungskosten der fossilen Kraftwerke ebenfalls zu steigenden Strompreisen.

Auf Seite der Brennstoffe kam es im Verlauf von 2021 bei der am Weltmarkt gehandelten Steinkohle zu häufigen Liefereinschränkungen. Diese entstanden durch Streiks und Naturkatastrophen in wichtigen Förderländern, wie Kolumbien und Südafrika. Gleichzeitig zog auch der globale Stromverbrauch in 2021 gegenüber 2020 wieder an. Ursache hierfür war neben einer wiedererstarkten Wirtschaft auch der Bedarf nach Strom für Kühlanlagen durch den sehr heißen Sommer in Asien. Eine eingeschränkte Liefersituation traf also auf eine höhere Nachfrage nach Kohle und beflügelte die Preise.

Auch bei den Gaspreisen traf eine höhere Nachfrage auf ein mäßiges Angebot. Eine sehr lange Heizperiode in Europa bis in den Mai hinein, wurde von der starken Nutzung der Klimaanlagen in Asien über den gesamten Sommer 2021 abgelöst und trieb den weltweiten Bedarf nach Gas an. Daher startete die Befüllung der europäischen Gasspeicher im Vergleich zu den Vorjahren erst gegen Juni. Der geringe Speicherstand wird auch in Abbildung 3 ersichtlich, welche den Füllstand der deutschen Gasspeicher zu Beginn jeden Monats von 2016 bis 2021 zeigt.

 Füllstand der deutschen Gasspeicher zu Beginn des Monats 2016-2021 in TWh (Quelle: Energy Brainpool)

Abbildung 3: Füllstand der deutschen Gasspeicher zu Beginn des Monats 2016-2021 in TWh (Quelle: Energy Brainpool)

Die Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG) gingen den Sommer über in den asiatischen Raum, da die Kunden eine größere Zahlungsbereitschaft aufwiesen. Ebenfalls höhere Importe von LNG verbuchte Südamerika, welches aufgrund von Dürren und niedrigere Wasserständen die geringe Stromerzeugung aus Wasserkraft durch Gaskraftwerke ausgleichen musste (Quelle: Timera). Auch die geopolitische Debatte um die neue Gaspipeline Nord Stream 2 und Russland als Gaslieferant spitzte sich zu: Gazprom nahm trotz der hohen Preise in Europa keine über die bestehenden Verträge hinausgehende Kapazitätsbuchungen an Gaspipelines über die Ukraine und Polen vor.

Wie geht es weiter?

Größter Treiber für den Strompreis sind Stand Anfang Oktober die Gaspreise. Sollte ein milder Winter vor der Tür stehen und sich die Füllstände der Gasspeicher weiter dem langjährigen Mittel annähern, ist mit einer Reduktion oder zumindest einer Stabilisierung der Gas- und somit auch der Strompreise zu rechnen.

Dennoch scheinen stattliche Preise für diesen Winter gesetzt zu sein. Erst im Frühjahr 2022 zeigt die Preis-Forward-Kurve der Frontprodukte für die Grundlastlieferung Strom wieder nach unten (siehe Abbildung 4). Auf Marktseite ist mit einer Normalisierung der Preise somit ab Mitte des nächsten Jahres zu rechnen.

 Price-Forward-Kurve für Grundlastlieferung Strom Deutschland an der EEX in EUR/MWh von Ende September 2021 (Quelle: Energy Brainpool)

Abbildung 4: Price-Forward-Kurve für Grundlastlieferung Strom Deutschland an der EEX in EUR/MWh von Ende September 2021 (Quelle: Energy Brainpool)

In jedem Fall werden Energieversorger durch die Hochpreisphase gezwungen, sich mit ihren Beschaffungs- und Vertriebsstrategien zu beschäftigen und diese eventuell umzustellen. Eine Betrachtung der geopolitischen Zusammenhänge wie auch Strategien zur Absicherung von Preisrisiken sind in dieser volatilen Phase unumgänglich und werden durch global weiter zusammenwachsende Gasmärkte von immer größerer Bedeutung.

Doch auch für Betreiber von EEG-Anlagen bietet diese Marktentwicklung neue Chancen auf Zusatzerlöse. Als Alternativen zum marktwertbasierten Vergütungsmodell stehen ergänzende Fixpreisregelungen innerhalb des Marktprämienmodells sowie der kurzzeitige Wechsel in die sonstige Direktvermarktung zur Verfügung. Eine datenbasierte Bewertung dieser Alternativen inklusive Diskussion der Handlungsoptionen ist Teil unseres PPA-Intensivseminars XL vom 7. bis 9. Dezember 2021.