Derzeit steigen die Großhandelspreise für Strom. Diese Entwicklung ist besonders stark in Polen ausgeprägt. Hier zeigte sich der alte polnische Kraftwerkspark schon in der Vergangenheit (z. B. August 2015) in Situationen der Knappheit  nicht in der Lage, die ganze Stromnachfrage zu decken. Wo die Nachfrage hoch ist, da folgt der Preis.

Die Strompreise am Terminmarkt liegen derzeit bei 66 EUR/MWh für 2019, was auch mit den Preisen für Kohle und CO2 zusammenhängt. Windkraftanlagen können in Polen zu diesem Preis bereits ohne finanzielle Förderung betrieben werden, brauchen für die Finanzierung jedoch eine langfristige Preisgarantie.

Diese könnten durch PPAs (Power Purchase Agreement) mit Verbrauchern oder Energieversorgungunternehmen realisiert werden. VSB und Mercedes Benz haben für eine Bestandsanlage  erst kürzlich ein PPA abgeschlossen. Dass die beiden deutschen Unternehmen auf dem polnischen Markt zusammenfinden, ist nach Meinung von Energy Brainpool kein Zufall.

Zustandsanalyse der Stromsystems in Polen

Im Dezember 2014 und im August 2015 sendete das polnische Stromsystem sehr deutliche Knappheitssignale aus. Stündliche Strompreise lagen jenseits von 300 EUR/MWh.

Im August 2015 konnte die Stromnachfrage nicht gedeckt werden. Man spricht von Brown-Outs, in denen industrielle Verbraucher ihre elektrische Leistung reduzieren müssen[1].

stündliche Stromerzeugung nach Technologie und Strompreise, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 1: stündliche Stromerzeugung nach Technologie und Strompreise, Quelle: Energy Brainpool

Die Situation hat sich seitdem nur bedingt entspannt: Im vorigen November 2017 zeigten sich gegen 16 Uhr regelmäßig Strompreise von über 100 EUR/MWh. Zum Großteil traten diese Knappheitspreise nicht gleichzeitig mit europäischen Knappheitspreisen auf oder lagen in ihrer Größe darüber.

Die stündlichen polnischen Strompreise im Day-Ahead-Markt und die Stromerzeugung gemäß ENTSO-E-Daten je Kraftwerkstyp zeigen: Bei geringer Windeinspeisung ruft der Strommarkt die konventionelle steuerbare Erzeugungskapazität nachmittags regelmäßig vollständig ab. In dieser Zeit setzen Stromproduzenten im gegenseitigen Wettbewerb Mark-Ups und bieten über ihren Grenzkosten – die Folge sind zum Teil hohe Strompreisspitzen.

Weitere Details zur Zustandsanalyse finden Sie in unserer Studie zur europäischen Strommarktintegration in Polen aus dem Jahr 2016.

Terminmarkt setzt europäisch Impulse, das polnische Stromsystem verstärkt sie

Die hohen historischen Strompreise am Spotmarkt werden auch für die Zukunft erwartet und im heutigen Terminmarkt eingepreist. Blicken wir auf die Preiserwartung für das vierte Quartal 2018[2]:

Preiserwartung für das vierte Quartal 2018 Peak und Base, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 2: Preiserwartung für das vierte Quartal 2018 Peak und Base, Quelle: Energy Brainpool

Einzelne Spekulationen auf Knappheitssituation im Juni 2018 führten zu Peak-Preisen von kurzfristig über 90 EUR/MWh für eine Stromlieferung in den Monaten Oktober bis Dezember.

Mittlerweile bewegt sich der Terminmarkt wieder auf dieses Preisniveau zu. Die Differenz zwischen Base- und Peakpreisen schwankt zwischen 10 und 20 EUR/MWh. Die Preisspitzen werden vermehrt im Peak-Zeitraum Mo bis Fr von 8 bis 20 Uhr erwartet.

Der allgemeine Aufwärtstrend der Strompreise hingegen ist kein polnisches Phänomen, sondern eine durch Kohle- und CO2-Preise getriebene europäische Preisbewegung. Eine detaillierte Analyse dieses Effektes hat Angela Pietroni 2017 erstellt. Freilich trifft die auf Braun- und Steinkohle beruhende polnische Stromerzeugung diese Preisentwicklung besonders.

Der Fuel-Switch hat hier besonders hohe Auswirkungen auf die Einnahmen von Steinkohlekraftwerken. Gaskraftwerke haben im polnischen Stromsystem, das nach Energieautarkie strebt, keinen hohen Stellenwert. Das hat historische Gründe, da Polen unabhängig sein möchte von Importen, besonders von russischen Gasimporten.

Für das ganze nächste Jahr wird Strom aktuell (11.09.2018) zu 66 EUR/MWh abgerechnet (Base). Der Peakzeitraum wird mit 89 EUR/MWh bepreist.

Lohnt sich ein PPA als Hedge?

Die oben beschriebene Preisdynamik ist in Polen besonders ausgeprägt. Das liegt am gleichzeitigen Auftreten von Knappheitssituationen (bisher ohne sichtbare langfristige Lösungsstrategie) und der vom Rohstoffpreis getriebenen Aufwärtsbewegung von Strompreisen. Das birgt einige Risiken für Stromverbraucher.

Dass diese als Absicherung gegen hohe Strompreise grundsätzlich dazu bereit sind, Stromerzeugern auch langfristige Preisgarantien auszusprechen, zeigt folgendes Beispiel:

Ende Juli 2018 schlossen VSB und Mercedes Benz ein Power Purchase Agreement (PPA) für eine Strombelieferung aus 22 Windrädern mit einer Leistung von 45 MW. Die Windräder sind 2013 im Windpark Taczalin entstanden und befinden sich zehn Kilometer  vom neuen Motorenwerk von Mercedes Benz entfernt. Die Strombelieferung beginnt 2019 und beinhaltet eine langfristige Bindung – mehr ist nicht bekannt.

Grundlegendes Wissen zum Thema PPA haben wir für Sie in unserem White Paper zu dem Thema zusammengefasst.

Sichtweise Windenergieanlagen:

Grundsätzlich ist in Polen beim aktuellen Strompreisniveau die Marktparität für einige Windenergieanlagen (WEA) erreicht. Folgende Kalkulation ist abhängig von den Finanzierungsbedingungen (ohne einer gesetzlichen Förderung erhöhen sich der Eigenkapitalanteil und die Zinsen) und Standortfragen.

Wind onshore durchschnittliche versus progressive Markteinschätzung, Quelle: Energy Brainpool

Tabelle 1: Wind onshore durchschnittliche versus progressive Markteinschätzung, Quelle: Energy Brainpool

Der Vermarktungswert von Windstrom schwankte in den vergangenen Jahren durch den Merit-Order-Effekt zwischen 90 und 92 Prozent des durchschnittlichen Strompreises. Im Mittel lag er bei 91,2 Prozent. Übertragen auf das heutige Terminpreisniveau für 2019 von 66 EUR/MWh bedeutet das einen Vermarktungswert von 60 EUR/MWh – bei heutigem Hedge für 2019.

Unter günstigen Finanzierungs- und Windbedingungen liegen die Stromgestehungskosten zwischen 44 EUR/MWh bei 53 EUR/MWh. Für solche Finanzierungsbedingungen (WACC von 5 Prozent) fehlt jedoch eine langfristige Preisgarantie – aktuell versichern Marktteilnehmer eine Stromabnahme zum Preisniveau von 2019 nicht für einen langen Zeitraum.

Die internationalen Rahmenbedingungen für einen steigenden Anteil von Windstrom sind gut: Die Preisdynamik bisheriger Ausschreibungsrunden hat gezeigt, dass bei günstigem regulatorischem Umfeld und einem hohen Wettbewerb um Windprojekte die Stromgestehungskosten noch deutlich fallen können. Viele Windprojekte in Polen sollen bereits vorentwickelt sein und könnten künftig für einen hohen Wettbewerb sorgen.

Politische Unsicherheit

Wichtigster Grund für die Nichtrealisierung von Projekte ist das Risiko, wie der Gesetzgeber agieren wird. Viele Marktteilnehmer empfinden die polnische Gesetzgebung als unsicher, was die Förderung erneuerbarer Energien anbelangt. Damit fehlt eine sichere  Zukunftsstrategie für die polnische Stromerzeugung.

Hinzu kommt: Strommärkte mit einem höheren Zubau von fluktuierenden erneuerbaren Energien (feE) haben gezeigt, dass die Anforderungen an die Flexibilität der bestehenden Stromerzeuger hoch sind. Höhere Lastrampen, mehr Start-Stop-Zyklen und geringere Vollbenutzungsstunden sind Flexibilitätsanforderungen, denen der alte polnische Kraftwerkspark nicht in jedem Umfang genügen kann. Daraus wachsen Zweifel: Was passiert, wenn die polnische Exekutive den  Windenergie-/Solarzubau regulatorisch ausbremst?

Eine Auswertung, in wie fern mit Power-to-Gas-Technologien flexibilitätshungrige feE steuerbar werden, finden Sie in unsere Studie zum Thema steuerbare erneuerbare Energien.

Sichtweise Verbraucher:

Die Marktwertigkeit des durchschnittlichen polnischen Verbrauchsprofils lag in den letzten Jahren bei 103 bis 104 Prozent des Basepreises. Der durchschnittliche polnische Stromverbrauch hat bei Fortschreibung dieser Werte aus heutiger Sicht für 2019 Beschaffungskosten in der Höhe von 66 EUR/MWh * 103,3 % = 68 EUR/MWh. Dieses Strompreisniveau ist gerade im europäischen Vergleich zu einem Risiko geworden.

Der Unterschied zwischen Stromgestehungskosten von Windenergieanlagen und aktuellen Strombeschaffungskosten lässt Spielraum für eine langfristige Preisgarantie, zum Beispiel mit einem Preisminimum in der Nähe der Stromgestehungskosten.

Einige Hürden hindern aktuell den Abschluss solcher PPAs. Obwohl fluktuierende erneuerbare Energien (feE) das Preisrisiko langfristig absichern können, sind sie jedoch keine Absicherung gegen drohende Kapazitätslücken und weitere Brown-Outs.

In Zeiten stark schwankender Strompreise hindert eine langfristige Preisbindung Stromverbraucher auch daran, bei fallenden Strompreisen in vollem Umfang zu partizipieren. Ein langfristiges Portfoliomanagement ist oft noch nicht etabliert.

Wie könnte ein PPA aussehen?

Beispiel 1: Corporate PPA

Risiken & Chancen für Erzeuger und Verbraucher sind entgegensetzt verteilt. Während Verbraucher sich vor konstant hohen oder weiter steigenden Strompreisen absichern möchten, befürchten die Betreiber von Windenergieanlagen (WEA) fallende Strompreise – denn WEA müssen sich über viele Jahre refinanzieren. Beide Akteursgruppen können miteinander langfristige Stromlieferverträge abschließen.

Einen Vorschlag dafür sind PPAs, in denen für einen langen Zeitraum Preisunter- und Preisobergrenzen festgelegt werden. Rollierend wird dann nach einer zu definierenden Preisformel beispielsweise immer für drei Jahre im Voraus ein Preis festgelegt. Die  Unterschiede aus Winderzeugungs- und Verbrauchsprofil werden am Strommarkt ausgeglichen.

Die zu prognostizierenden Kosten dafür finden Einfluss in den PPA-Preis und in der abgedeckten Strommenge. Für den Stromverbraucher entsteht ein zusätzlicher Marketingmehrwert aus der Grünstromeigenschaft.

Beispiel 2: hybrider Merchant PPA

Hierbei nimmt ein Mittler eine zentrale Rolle ein, häufig ein Energieversorgungsunternehmen (EVU). Das könnten polnische Energieversorger wie PGE sein. Denn diese haben durch den hohen Anteil fossilen Stroms im Portfolio ein hohes Risiko durch die derzeit steigenden CO2-Preise. Eine gute Option für EVU im Sinne der Diversifizierung ist es, den Anteil erneuerbarer Energien im Portfolio zu erhöhen.

Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Einerseits kann der Strom aus Windkraftanlagen  durch physische Lieferung in das EVU-Portfolio integriert werden. Andererseits erweitert der „grüne Strom“ mittels entsprechender langfristiger Preisgarantien als finanzielle Absicherung das Portfolio.

Für die Gegenposition einer solchen ausgesprochenen Preisgarantie kommen zwei Strategien in Frage: Zunächst kann Verbrauchern gegenüber eine langfristige Preisgarantie ausgesprochen werden und diese perspektivisch vertrieblich mit einer Grünstrombelieferung verknüpft werden.

Durch die unklare Langfristplanung für die polnische Stromversorgung ist das Risiko von langfristig hohen Strompreisen und zeitweiser Stromknappheit überproportional groß. In Nachbarmärkten ist dieses Risikobewusstsein von Verbrauchern heute nicht so stark ausgeprägt, was aber die Grundlage für langfristige Preisgarantien von Verbrauchern bildet.

Zweitens kann eine dem PPA-Volumen entsprechende Gegenposition im Terminmarkt durch den Verkauf von z. B. Futures und Forwards aufgebaut werden. Ein wertneutraler rollierender Hedge mit den jeweils handelbaren Frontkontrakten wäre ein gängiges Absicherungsinstrument.

[1] https://www.reuters.com/article/poland-energy-heatwave/update-2-polish-heatwave-cuts-power-supply-to-industry-idUSL5N10L2QJ20150810

[2] Daten: TGE Polish Power, in EUR mit Wechselkurs vom 11. September 2018