In einer neuen Studie im Auftrag der EWS Elektrizitätswerke Schönau eG haben wir untersucht, wie sich eine vollständige Ausschöpfung des Zubaupotenzials von PV-Kleinanlagen bis 2030 auf Klimaziele und Strommarkt auswirken würde. Wie ist groß dieses Potenzial? Um welche Maßnahmen muss man die aktuelle EEG-Novelle ergänzen, um dieses Potenzial auszuschöpfen? Mehr dazu lesen Sie in diesem Blogbeitrag.

© Justin Lim/Unsplash

Möchte Deutschland seinen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens leisten, muss es bis spätestens 2050 klimaneutral werden. Auf dem Weg dorthin gilt es, die Etappenziele des nationalen Klimaschutzplans zu erreichen. Für die Energiewirtschaft bedeutet das: Erneuerbare Energien (EE) sollen bis 2030 auf einen Anteil von 65 Prozent am Bruttostromverbrauch ausgebaut werden, damit die jährlichen Treibhausgasemissionen des Sektors auf 175 bis 183 Mt CO2-Äquivalente sinken.

Warum PV-Kleinanlagen?

Mangelnde politische Entschlossenheit, Genehmigungsstau und projektbezogene Akzeptanzprobleme verzögern den EE-Zubau jedoch erheblich und gefährden die Erreichung der Ziele für 2030. Ein ambitionierter Zubau gebäudeintegrierter Photovoltaik(PV)-Kleinanlagen unter 100 kW kann hier Teil der Lösung sein: So könnten die Bürger wieder stärker an der Energiewende partizipieren, der Ausbau von EE-Kapazitäten wäre mit weniger zusätzlichem Flächenverbrauch möglich. Insbesondere Deutschlands Städte könnten einen essenziellen Beitrag zur Energiewende leisten, die dadurch zudem verbrauchsnäher ausgestaltet würde.

Wie groß ist das Potenzial bis 2030?

Abbildung 1 zeigt: Potenzial ist nicht gleich Potenzial. Während das theoretische Potenzial lediglich angibt, „wie viel Sonne auf Deutschlands Dächer scheint“, werden im technischen Potenzial auch Rahmenbedingungen wie Dachbeschaffenheit (Art, Neigung, Ausrichtung, Statik) oder Nutzungskonkurrenzen (Solarthermie) berücksichtigt.

Abbildung 1: Unterscheidung der Ausbau-Potenziale im Kontext der EWS-Studie, Energy Brainpool, PV-Kleinanlagen

Abbildung 1: Unterscheidung der Ausbau-Potenziale im Kontext der EWS-Studie (Quelle: Energy Brainpool)

Hindernisse in der Praxis

In der Praxis ergeben sich jedoch weitere Beschränkungen, die eine Bebauung aller technisch verfügbarer Dachflächen mit PV-Anlagen erschweren. Dazu zählen etwa Dachsanierungen, die bis 2030 anstehen, oder das Alter mancher privater Haus(-dach)besitzer – im fortgeschrittenen Seniorenalter bleibt eine Investition mit Amortisationszeit von 15 bis 20 Jahren gegebenenfalls manchmal aus.

Andere, heute existierende praktische Herausforderungen betreffen die Wirtschaftlichkeit einer Investition oder die vorherrschenden Besitzverhältnisse (z. B. fehlender regulatorischer Anreiz zum Eigenverbrauch bei Personenungleichheit zwischen PV-Stromverbraucher und Dachbesitzer). Hier können Politik und Markt jedoch gemeinsam ansetzen und die Rahmenbedingungen insofern verbessern, dass diese Herausforderungen überwunden und das sich somit erschließende Dachpotenzial genutzt werden können.

Ausgehend von den Berechnungen des technischen Potenzials von Quaschning (2000)[1] und unter lediglicher Berücksichtigung unüberwindbarer praktischer Einschränkungen ergibt sich so ein PV-Kleinanlagenpotenzial von 140 GW bis 2030.

Zum Vergleich: Wird das Ziel der Bundesregierung von 100 GW PV-Anlagen bis 2030 erreicht und verbleibt der Kleinanlagenanteil wie heute bei rund 70 %, so würde die installierte Leistung der Kleinanlagen rund 70 GW betragen. Das Potenzial liegt mit 140 GW jedoch um 70 GW darüber.

Strommarkt 2030: der Effekt von 70 GW zusätzlicher PV-Kleinanlagen

So wirken sich diese zusätzlichen 70 GW auf den Strommarkt in 2030 aus:

  • Der Anteil der PV-Kleinanlagen am deutschen Strommix würde sich auf knapp 20 Prozent verdreifachen.
  • Zusammen mit einem hohen CO2-Preis im Stromsektor (rund 80 EUR/t in 2030) sorgen die PV-Kleinanlagen für ein deutliches Übertreffen des CO2-Reduktionsziels des deutschen Energiesektors (157 Mt in 2030).
  • Durch die Verdrängung von Graustromimporten werden im europäischen Ausland in 2030 zusätzlich rund 19 Mt gespart.
  • Das EE-Anteilsziel von 65 Prozent am deutschen Bruttostromverbrauch (BSV) wird mit 67 Prozent sogar übertroffen, die viel beschworene „Ökostromlücke“ verhindert.
  • Die Energiewende wird endlich in die Städte getragen und ermöglicht die aktive Teilhabe der dort ansässigen Bürger.
  • Alle vorgenannten Ziele für 2030 werden ohne zusätzlichen Flächenverbrauch erreicht.
Annahme zur Entwicklung der Stromnachfrage bis 2030 und resultierende Ökostromlücke, Energy Brainpool, PV-Kleinanlagen

Abbildung 2: Annahme zur Entwicklung der Stromnachfrage bis 2030 und resultierende Ökostromlücke (Quelle: Energy Brainpool)

Zum Stichpunkt „Ökostromlücke“ eine kurze Erklärung: Diese ergibt sich, geht man für das Jahr 2030 von einem Erreichen der Ausbauziele des Klimaschutzpakets sowie von einer Steigerung der Gesamtstromnachfrage auf rund 670 TWh aus.

Gegenüber 2019 ist dies ein Anstieg um 16 Prozent, der maßgeblich auf die zunehmende Stromnachfrage aus anderen Sektoren (z. B. Verkehr, Wärme oder Wasserstoffindustrie) zurückgeht. Die Bundesregierung geht für 2030 jedoch von einem BSV auf dem heutigen Niveau aus (unter 600 TWh).

Unter dieser Annahme reichen die aktuellen Ausbauziele für Wind und Solar aus, um 65 Prozent EE-Anteil zu erreichen. Bei einer erhöhten Nachfrageentwicklung droht jedoch eine Lücke bei der Erreichung des Ökostromziels, würden die Ausbauziele nicht angehoben (vgl. Abbildung 2).

Unsere Modellierung zeigt, dass bereits die alleinige Potenzialausschöpfung bei den PV-Kleinanlagen diese Lücke schließen könnte.

Wie könnte ein solcher Zubau bis 2030 erreicht werden?

Um das PV-Kleinanlagenpotenzial bis 2030 vollständig heben zu können, ist ein ambitionierter Ausbaupfad notwendig (vgl. Abbildung 3). Dieser ist mithilfe der aktuell diskutierten EEG-Novelle nicht zu erreichen. Stattdessen braucht es zusätzliche Impulse aus der Politik.

Skizze des zur Potenzialausschöpfung erforderlichen PV-Zubaupfads bis 2030 in Deutschland, Energy Brainpool, PV-Kleinanlagen

Abbildung 3: Skizze des zur Potenzialausschöpfung erforderlichen PV-Zubaupfads bis 2030 in Deutschland

Diese haben wir in drei Säulen zusammengefasst:

Säule 1: Planungssicherheit für die gesamte PV-Wertschöpfungskette gewährleisten

Zunächst einmal muss die Planungssicherheit entlang der gesamten Wertschöpfungskette gewährleistet sein. Beispielsweise müssen sich Installateurbetriebe frühzeitig auf die zusätzliche Nachfrage einstellen und entsprechende Fachkräfte ausbilden.

Säule 2: Marktintegration der PV vorantreiben

PV-Anlagen sollten zunehmend marktnäher vermarktet werden. Im Bereich der Großanlagen könnte beispielsweise ein CO2-Mindestpreis auch im Stromsektor dafür sorgen, dass PV-Parks zunehmend ohne Förderung errichtet werden können. Für kleine Altanlagen würde nach Auslaufen ihrer EEG-Förderung wiederum ein vereinfachter Zugang zum Herkunftsnachweisregister die Erlösmöglichkeiten in der sonstigen Direktvermarktung verbessern, die Integration dieser Anlagen in das eigene Portfolio für privatwirtschaftliche Direktvermarkter würde attraktiver. Ineffizientere Auffangmöglichkeiten wie aktuell diskutierte Marktwertdurchleitung durch den Netzbetreiber könnten damit weiter an Bedeutung verlieren.

Säule 3: Mehr Anwendungsfälle für PV-Kleinanlagen

Bisher sind PV-Kleinanlagen vor allem auf den Dächern privater Ein- oder Zweifamilienhäuser installiert. Um die Anwendungsfälle zu erweitern, könnte zum Beispiel eine Erweiterung der PV-Neubaupflicht, wie sie in Bundesländern wie Hamburg oder Baden-Württemberg geplant ist, auf alle Bundesländer übertragen werden. Auch könnte das Mieterstrommodell von Wohn- auf Gewerbegebäude ausgeweitet werden. Streichen müsste man dafür die Klausel des § 21 Abs. 3 EEG, wonach mindestens 40 Prozent der Fläche des Gebäudes dem Wohnen dienen müssen.

Über die PV-Stromlieferung innerhalb des eigenen Gebäudes hinaus hat die EU in ihrer Erneuerbare-Energien-Richtlinie „RED II“ zudem ein Bürgerrecht auf die Teilhabe an einer Erneuerbare-Energien-Gemeinschaft geschaffen. Demnach soll es beispielsweise auch möglich sein, EE-Strom innerhalb der Nachbarschaft gemeinsam zu erzeugen und zu verbrauchen. Einen konkreten Konzeptvorschlag für ein solches Energy-Sharing-Modell haben wir bereits für das Bündnis Bürgerenergie erstellt. Im Entwurf für das EEG 2021 wird diese Thematik bisher jedoch noch nicht einmal aufgegriffen.

Die vorgenannten Maßnahmen stellen nur einen kleinen Ausschnitt des vollständigen Pakets dar, das zur Zielerreichung notwendig wäre. In unserer Studie finden Sie hierzu weitergehende Details.

[1] https://www.volker-quaschning.de/downloads/Klima2000.pdf