Im zweiten Teil der Blogserie zum World Energy Outlook 2020 geben wir einen detaillierten Überblick zu den deutlich angepassten Entwicklungserwartungen für die globalen Öl-, Gas- und Kohlemärkte. Dazu nutzen wir unser Fundamentalmodell Power2Sim. Das Modell erlaubt uns, die langfristigen Auswirkungen auf europäische Strompreise bis 2040 sowie die Vermarktungserlöse erneuerbarer Energien quantitativ abzuschätzen.

© IEA

Während zu Beginn der Corona Pandemie noch darüber spekuliert wurde, wann die Energie-Welt zu ihrem Status quo zurückkehrt, drängt sich mit fortschreitendem Jahr die Frage auf, ob dies überhaupt geschehen wird. Der neu veröffentlichte World Energy Outlook 2020 der Internationalen Energie Agentur (IEA) prognostiziert vor allem strukturelle Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten. Von denen werden sich die klassischen Primärenergieträger-Preise auch langfristig nicht erholen.

Der WEO 2020 und die Neubewertung der Commodity-Märkte

Mit ihrem World Energy Outlook veröffentlicht die Internationale Energie Agentur jedes Jahr eine umfassende Einschätzung über den aktuellen Stand der Energiewelt. Die vorgegebenen Szenariopfade gelten weithin als maßgebliche Quelle für mittel- und langfristige Prognosen für die Entwicklung von Angebots-, Nachfrage- und Preisentwicklungen auf dem globalen Energiemarkt.

Besondere Aufmerksamkeit bekommen im World Energy Outlook 2020 dabei die Öl-, Gas- und Kohlemärkte. Im Standardszenario “Stated Policies” (STEPS) haben die Analysten den Barwert der Öl- und Gasproduktion bis zum Jahr 2040, im Vergleich zur Vorkriseneinschätzung im WEO 2019, um 20 % nach unten korrigiert. Demgegenüber gehen die Analysten im progressiveren “Sustainable Development” (SDS) Szenario sogar von einer Kürzung des Barwertes um 50 % . Die IEA argumentiert diesen Paradigmenwechsel im Wesentlichen mit drei zeitlich separierten Wirkungskanälen.

1. Der historische Demand-Side-Schock der letzten neun Monate führt zum geringsten Wachstum des Energieverbrauchs seit den 1930er-Jahren. Diese Entwicklung legt den Grundstein für die aktuellen Rahmenbedingungen.

Besonders zwei Faktoren beeinflussen den Ölpreis:  der Rückgang der Mobilität sowie eine verzögerte Reaktion der OPEC. Demgegenüber leidet der Kohlepreis vor allem unter dem deutlichen Rückgang der Stromnachfrage in vielen Ländern, der die vormals oft preissetzenden Steinkohlekraftwerke aus dem Markt drängt. Der Gaspreis zeigte sich von den direkten Auswirkungen der Pandemie am wenigsten betroffen. Allerdings befand er sich schon zu Beginn des Jahres auf historischem Tiefstand – aufgrund eines starken globalen Angebots sowie milden klimatischen Bedingungen. Durch das negative Nachfragewachstum und die unelastische Produktion sind Überkapazitäten entstanden, die nach Einschätzung der IEA erst in einigen Jahren abgebaut sein werden.

2. Kurz- bis mittelfristig ist aufgrund mehrerer Unsicherheiten auf der Angebots- und Nachfrageseite nur mit einer langsamen Erholung zu rechnen.

Wie lange die Corona-Pandemie noch einen Einfluss auf die Weltwirtschaft nehmen wird, ist auch im WEO eines der größten Fragezeichen. Für eine Rückkehr des Ölverbrauchs zurück zum Vorkrisenlevel spannt die IEA ein Zeitfenster von 2023 bis 2030 für Europa. Große Unsicherheit ist bekanntlich Gift für Investitionen. Überhänge in Kapazitäten und neu gewürfelte Marktverhältnisse, wie das Coal-to-Gas-Switching, verstärken die Volatilität. Mittelfristig bleiben damit, nach Einschätzung der IEA, Effizienzsteigerungen aus.

3. Langfristig führt dieser Rückstand zu einer schlechteren Wettbewerbsposition gegenüber immer kompetitiveren erneuerbaren Energien.

Steigende Skepsis gegenüber fossilen Energiequellen als profitables Geschäftsmodell, sowie der Vorstoß vieler Akteure die aktuelle Krise als Chance für die Energiewende zu begreifen, bestimmen schließlich wie stark sich der Ausblick für Öl-, Gas und Kohle bis zum Jahr 2040 verschlechtert. Die künstliche Verknappung von CO2-Zertifikaten und das damit einhergehende Erstarken des EUA-Preises ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich dieses Ungleichgewicht langfristig ausspielen kann. Der Einfluss dieses regulatorischen Faktors wird vor allem beim Betrachten der Unterschiede des STEPS und SDS Szenario deutlich.

Abbildung 1: Kausalität der Einflüsse auf Rohstoff- und Strompreise (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 1: Kausalität der Einflüsse auf Rohstoff- und Strompreise (Quelle: Energy Brainpool)

Gaspreis soll langfristig dreimal so stark sinken wie Öl- und Kohlepreis

Abbildung 2: prognostizierte zukünftige Preise fossiler Brennstoffe in 2040 im STEPS im Vergleich zu 2019 (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 2: prognostizierte zukünftige Preise fossiler Brennstoffe in 2040 im STEPS im Vergleich zu 2019 (Quelle: Energy Brainpool)

Das Stated Policies Szenario (STEPS) prognostiziert die Auswirkungen von bereits beschlossenen Maßnahmen und Zielen, solange für diese detaillierten Pläne zur Erreichung existieren. Annahme hierbei ist, dass die Covid-19-Pandemie 2021 unter Kontrolle gebracht wird, und die Weltwirtschaft zurück zu Prä-Pandemie-Niveaus kehrt.

Abbildung 3: prognostizierte zukünftige Preise fossiler Brennstoffe in 2040 im SDS im Vergleich zu 2019 (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 3: prognostizierte zukünftige Preise fossiler Brennstoffe in 2040 im SDS im Vergleich zu 2019 (Quelle: Energy Brainpool)

Im Sustainable Development Szenario (SDS) gehen die Analysten von dem vollständigen Erreichen aller Nachhaltigkeitsziele aus, unter anderem dem Paris-Abkommen, und modellieren den dafür nötigen Policy-Pfad. Die Annahmen an die Wirtschaft und an die öffentliche Gesundheit sind identisch zu denen im STEPS.

Aus Abbildung 2 & 3 ist zu entnehmen, dass sowohl im STEPS als auch im SDS die im WEO 2020 prognostizierten Preise aller Commodities für das Jahr 2040 im Vergleich zu denen aus dem WEO 2019 gesunken sind. Hierbei sticht besonders die Entwicklung des Gaspreises im SDS von 21,86 €/MWh auf 14,28 €/MWh heraus. Ein Preisabfall von knapp 35 %, im Vergleich zur Prognose aus dem Vorjahr ein mehr als dreifach so starker Abfall wie bei Öl und Kohle. Es drängt sich die Frage auf, warum gerade bei Gas und auch nur im SDS eine so drastische Korrektur der Prognosen vorgenommen wurde.

Drei Einflüsse auf die Gaspreisentwicklung

Die Begründung hierfür lässt sich in drei Aspekte aufteilen, wobei alle ein negatives Preissignal an die globalen Rohstoffmärkte senden.

Reduktion der Emissionen

Zunächst wird von einem verstärkten Bekenntnis Emissionen zu reduzieren in allen Sektoren ausgegangen. Dies wurde bisher unterschätzt. Dazu gehört die vollständige Durchsetzung des European Green Deal und somit weitere Schritte in Richtung der CO2-Neutralität. Diese Maßnahmen, sowie ein im SDS nach wie vor hoher CO2-Preis, verschlechtern das Klima für die fossilen Brennstoffe und somit auch für die Gasindustrie.

Besonders die Marktposition von Low-Carbon Gasen, wie Wasserstoff oder Biogas, welche in direkter Konkurrenz zu Erdgas stehen, wird nun langfristig deutlich stärker eingeschätzt. Zusätzlich legen auch Finanzakteure wie die Europäische Investment Bank vermehrt Wert auf Konformität der Investments mit Nachhaltigkeitsstandards.

Rückgang der Gasnachfrage

Diese Einschätzungen der Experten der IEA haben negative Auswirkungen auf die Gasnachfrage, den zweiten Teil der Begründung. Sowohl kurz- als auch langfristig wird ein sukzessiver Rückgang der Nachfrage nach Gas im europäischen Raum erwartet. In der kurzen Frist liegt dies vor allem an den direkten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und macht sich primär durch stark gesunkene Preise bemerkbar.

Effekte hiervon sind zum einen eine wachsende Skepsis von Investoren und zum anderen die Ermöglichung des Coal-to-Gas-Switchings. Das Potenzial zur Nachfragesteigerung hiervon ist allerdings begrenzt.

Langfristig wird für die EU bis 2040 im SDS ein Rückgang der Nachfrage um über 50 % im Vergleich zu dem Niveau von 2019 prognostiziert. Im Gegensatz dazu liegt der weltweite Wert bei nur -12 %, da eine wachsende Gasnachfrage vor allem im asiatischen Markt erwartet wird.

Anpassung von Ressourcen und Reserven

Der dritte Teil der Begründung bezieht sich auf eine veränderte Grundannahme was das Angebot, die existierenden Reserven und Ressourcen, angeht. Im WEO 2020 passen die Analysten die US Shale Gas Ressourcen um 16 % nach oben an auf 50 tcm statt 43.1 tcm.

Es bleibt festzuhalten, dass zum einen eine vollständige Erholung vom Nachfrage-Schock, initiiert durch die Corona-Pandemie, vorerst ausbleibt, und zum anderen die Gaspreise davon langfristig am stärksten betroffen sein werden. Weiterhin ist anzunehmen, dass CO2-Preise aufgrund ihrer regulatorischen Natur von den oben beschriebenen Einflüssen weitestgehend unberührt bleiben.

Einfluss des WEO 2020 auf die Strompreisszenarien

Unsere Strompreisszenarien ähneln sich denen des WEO darin, dass sie auf aktuellen politischen Entscheidungen und Gesetzen, Preisen und Ereignissen basieren. Hierbei beruhen die Annahmen für Commodity-Preise unseres Energy-Brainpool-Szenarios (EBP) auf dem Sustainable-Development-Szenario und das Business as usual Szenario (BAU) auf dem Stated Policies Szenario des WEO.

Im Folgenden erläutern wir, wie sich die veränderten Prognosen des WEO 2020 gegenüber des WEO 2019 auf die Strompreise in unseren Szenarien auswirken.

Abbildung 4: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Baseloadpreise (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 4: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Baseloadpreise (Quelle: Energy Brainpool)

Wie sich Grafik 4 entnehmen lässt, werden sich besonders die progressiven Annahmen aus dem SDS-Szenario auf die durchschnittlichen europäischen Baseloadpreise niederschlagen. Zeitweise ist eine negative Korrektur von bis zu 15 % im Jahr 2030 durch die veränderten Annahmen zu erwarten.

Für die zukünftige Entwicklung der Strompreise sind hauptsächlich die erwarteten Gas- und CO2-Preise von Relevanz. Da nahezu alle europäischen Länder einen Ausstieg aus der Kohleverstromung planen, spielen Kohlepreise langfristig keine Rolle mehr. Auch Ölpreise haben keinen direkten Einfluss, da die Anzahl an Ölkraftwerken zu vernachlässigen ist. Durch die Ölpreisbindung nimmt der Ölpreis jedoch indirekt auf den Gas-, und somit den Strompreis Einfluss. Die Bedeutung davon wird zukünftig immer geringer.

Entwicklung der Gas- und Strompreise nicht identisch

Allerdings ist die Entwicklung der Gas- (-35 %)- und Strompreise (bis zu -15 %) nicht identisch. Je stärker der Ausbau von Erneuerbaren und im Zweifel der Kernenergie voranschreitet, desto geringer der Einfluss der Gaspreise. Das erkennt man an der abnehmenden Veränderung der Strompreise und Vermarktungserlöse auf rund -10 % im Jahr 2040. Hingegen ist im BAU-Szenario eine weniger drastische Korrektur der Baseloadpreise nach oben zu erwarten. Dies liegt vor allem an der Annahme eines höheren CO2-Preises im Vergleich zum WEO 2019.

Abbildung 5: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Vermarktungserlöse im EBP-Szenario (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 5: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Vermarktungserlöse im EBP-Szenario (Quelle: Energy Brainpool)

Abbildung 6: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Vermarktungserlöse im BAU Szenario (Quelle: Energy Brainpool), World Energy Outlook

Abbildung 6: Einfluss des WEO 2020 auf die durchschnittlichen europäischen Vermarktungserlöse im BAU Szenario (Quelle: Energy Brainpool)

Den vorangegangenen Grafiken ist eine ähnliche Entwicklung der durchschnittlichen europäischen Vermarktungserlöse von Solar und Onshore-Wind zu entnehmen. Allerdings sind die Vermarktungserlöse von den Veränderungen im WEO 2020 etwas weniger betroffen. Der Grund hierfür liegt in der Struktur dieser.

Vermarktungserlöse sind erzeugungsgewichtete durchschnittliche Erlöse. Dies bedeutet, dass dort, wo die Erzeugung durch Wind und PV am größten ist, durchschnittlich weniger Gas verbraucht wird. Somit schrumpft der Einfluss von Gas und CO2-Preisen .

Fazit

Basierend auf unserer Auswertung wird deutlich, dass die strukturellen Veränderungen auf den Commodity-Märkten, die sich aus der IEA-Einschätzung ergeben, einen substanziellen Effekt auf die langfristige Entwicklung von Strompreisen haben werden. Die Vermarktungserlöse erneuerbarer Energien sind davon in ähnlichem Maße betroffen.

Für die Stärke des Effekts sind zwei Sensitivitäten besonders entscheidend. In der Mittelfrist-Perspektive steht die weitere Dauer des Einflusses der Corona-Pandemie und die daraus resultierende Unsicherheit auf den globalen Energiemärkten. Langfristig geht es besonders um die Progressivität der Maßnahmen zum Erreichen von Emissionszielen und damit im Kern um ein Stärken des Wettbewerbsvorteils von erneuerbaren Energien und low-carbon Gasen wie Wasserstoff.

Unsere Szenarien haben wir auf den aktuellen World Energy Outlook 2020 angepasst. Sie stehen ab KW 45 zum Versand bereit. Anfragen dazu können Sie gern an Carlos Perez Linkenheil richten.

Autoren: Naemi Schink, Calvin Triems, Carlos Perez Linkenheil