Die Internationale Energieagentur (IEA) veröffentlichte im Oktober 2020 ihr jährliches Flaggschiff, den World Energy Outlook (WEO) 2020. Analysten und Politiker beobachten und nutzen die Szenarien der IEA als Ausblick auf den Energiemarkt von morgen. Lesen Sie mehr über die wichtigsten Themen und Aspekte des diesjährigen WEO in unserer Serie. Im ersten Beitrag ordnen wir den WEO 2020 ein und erklären die wichtigsten Erkenntnisse.

Die IEA modelliert in ihrem jährlichen WEO die langfristigen Entwicklungen an den globalen Commodity- und Energiemärkten bis ins Jahr 2070. Der Schwerpunkt des diesjährigen WEO liegt auf dem nächsten Jahrzehnt. Besonders stehen die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Energiebranche im Fokus der Analysten.

WEO 2020 modelliert vier Szenarien

Der WEO 2020 enthält in diesem Jahr sogar vier Szenarien, deren jeweilige Besonderheiten unten kurz zusammengefasst sind:

  • COVID-19 wird im „Stated Policies Scenario“ (STEPS) nächstes Jahr unter Kontrolle gebracht und die Weltwirtschaft erreicht Vorkrisenniveau.
  • Im Gegensatz dazu geht das „Delayed Recovery Scenario“ (DRS) davon aus, dass die Pandemie erst ab dem Jahr 2023 keine Auswirkungen mehr haben wird. Dadurch würde dieses Jahrzehnt, das mit der niedrigsten Wachstumsrate der Energienachfrage seit den 1930er-Jahren darstellen.
  • Der Fokus im „Sustainable Development Scenario“ (SDS) ist die Einhaltung des Pariser Abkommen bis 2050.
  • Der neue „Net Zero Emissions by 2050 case“ (NZE2050) übertrifft sogar das SDS. Es beschreibt, welche Änderungen in den kommenden zehnJahren notwendig sind, um das Ziel von Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.

Abbildung 1 stellt den Verlauf der CO2-Emissionen aus Energienutzung und Industrie sowie unterschiedliche Reduktionshebel für drei Szenarien bis 2030 dar.

Abbildung 1: CO2-Emissionen von Energie und Industrieprozessen und Reduktionshebel in WEO 2020-Szenarien, 2015-2030 (Quelle: IEA), Energy Brainpool, WEO

Abbildung 1: CO2-Emissionen von Energie und Industrieprozessen und Reduktionshebel in WEO 2020-Szenarien, 2015-2030 (Quelle: IEA)

Interessanterweise enthält der diesjährige WEO kein „Current Policies Scenario“ (CPS) mehr, welchen normalerweise den Business-As-Usual-Fall modellierte und keine weiteren Anstrengungen in der Klima- und Energiepolitik zusätzlich zu den bestehenden annahm. Die IEA argumentiert, dass die heutigen Umstände kein Business-As-Usual mehr erlauben (Quelle: IEA).

Die Corona-Krise dominiert das Jahr 2020

Die Corona-Krise hat erhebliche Folgen für den Energiesektor, wie Abbildung 2 eindrücklich belegt. Bedingt durch den weltweiten Rückgang der Energienachfrage um fünf Prozent ist der Anteil der konventionellen Energieträger am Energiemix auch gefallen. Da der Flugverkehr und der Personentransport gesunken sind, ist besonders die Ölnachfrage zurückgegangen. Dahingegen gehen die erneuerbaren Energien als Sieger aus der Krise hervor. Ihr Anteil ist als einziger Energieträger im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Abbildung 2: Schlüsselindikatoren für den geschätzten Energiebedarf, CO2-Emissionen und Investitionen, 2020 relativ zu 2019 (Quelle: IEA), Energy Brainpool, WEO

Abbildung 2: Schlüsselindikatoren für den geschätzten Energiebedarf, CO2-Emissionen und Investitionen, 2020 relativ zu 2019 (Quelle: IEA)

Die Investitionen in Energie haben einen starken Rückgang von 18 Prozent erlitten. Doch insbesondere um die Technologien bei den erneuerbaren Energien voranzubringen, braucht es Investitionen. Investitionen in Solar- und Windenergie zeigen sich vergleichsweise beständiger. Beispielsweise haben sich Investitionen in Windenergieanlagen auf See im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht (Quelle: Handelsblatt).

Erneuerbare Energien decken Großteil des zusätzlichen Energieverbrauchs

In allen vier Szenarien des WEO 2020 sinkt die Kohlenachfrage kontinuierlich, aber nur im SDS und NZE2050 sinkt die Kohleverstromung erheblich. Dies geht auch aus Abbildung 3 hervor. Besonders für Europa und die USA wird prognostiziert, dass die Nachfrage nach Kohle stark zurückgeht.

Abbildung 3: Veränderung des globalen Primärenergiebedarfs nach Brennstoffen und Szenario, 2030 im Vergleich zu 2019 (Quelle: IEA), Energy Brainpool, WEO

Abbildung 3: Veränderung des globalen Primärenergiebedarfs nach Brennstoffen und Szenario, 2030 im Vergleich zu 2019 (Quelle: IEA)

Der Anteil der Kohle am weltweiten Stromerzeugungsmix fällt von 37 Prozent im Jahr 2019 auf 28 Prozent im Jahr 2030 im STEPS und auf 15 Prozent im SDS. Ausgeglichen wird dies durch einen erhöhten Anteil von Nuklearenergie und durch erheblichen Einsatz von erneuerbaren Energien.

Die Nachfrage nach Öl ist wie bereits beschrieben in der Krisenzeit stark zurückgegangen. Allerdings könnte sie sich nach der Pandemie erholen und auf Vorkrisenniveau zurückkehren. Der Rückgang der Ölnachfrage muss deshalb durch politische Regulierungen und neue Transporttechnologien angetrieben werden.

Auch die Akteure der Gasindustrie müssen sich der Herausforderung stellen und sich für die Energiewende umrüsten. Dies wird mithilfe alternativer Gase wie Biomethan und kohlenstoffarmen Wasserstoff oder durch neue Technologien möglich werden (Quelle: IEA). Weitere Informationen zum Multitalent Wasserstoff erhalten Sie in unserem Live-Online-Training im November.

Erneuerbare Energien als Sieger der Krisenzeit

Während sich die Prognosen für die konventionellen Kraftwerke in der Krisenzeit verschlechtert haben, sieht es für die erneuerbaren Energien deutlich besser aus. Das Wachstum wurde durch die Krise nur kurzfristig ausgebremst und wird nach Meinung der Experten anschließend in vollem Tempo voranschreiten. Das liegt zum Teil an verschärften Rahmenbedingungen in der Politik. So hat das Europaparlament das EU-Klimaziel bis 2030 verschärft. Dabei soll der Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 60 Prozent sinken.

Im STEPS decken die erneuerbaren Energien bis 2030 80 Prozent des Wachstums der weltweiten Stromnachfrage. Wasserkraft wird auch in Zukunft nach wie vor die größte erneuerbare Stromquelle sein. Solarenergie wird im nächsten Jahrzehnt jedoch das größte Wachstum erleben und ist heute schon in fast allen Ländern auf der Welt günstiger als Strom aus einem neuen Kohle- oder Gaskraftwerk. Auch Windenergie an Land und auf See erleben ein stetiges Wachstum. Mit

zunehmendem Anteil der erneuerbaren Energien, spielt die Frage nach der Speicherung eine immer wichtigere Rolle bei der Gewährleistung der Netzstabilität (Quelle: IEA).

Fossile Energien dominieren auch noch in 2040

Zu dem zukünftigen Primärenergiebedarf liegen die Pfade der Szenarien STEPS und SDS weit auseinander. Dies ist in Abbildung 4 dargestellt. Bei beiden Szenarien wird 2040 der Bedarf größtenteils durch Öl und Gas abgedeckt. Wobei im STEPS die Nachfrage nach beiden Energieträgern auch in Zukunft weiterhin zunehmen wird. Im SDS hingegen erkennt man einen stark rückläufigen Verlauf. In beiden Szenarien geht die Kohleverstromung zurück – im SDS allerdings mit einem Rückgang von Zweidrittel um einiges drastischer. Das liegt daran, dass im SDS bestehende Anlagen nachgerüstet, umgerüstet oder stillgelegt werden.

Abbildung 4: Weltweiter Primärenergiebedarf nach Brennstoffen, Millionen Tonnen Öläquivalente, zwischen 1990 und 2040. Die zukünftige Nachfrage basiert auf dem STEPS (durchgezogene Linien) und SDS (gestrichelt) (Quelle: CarbonBrief), Energy Brainpool, WEO

Abbildung 4: Weltweiter Primärenergiebedarf nach Brennstoffen, Millionen Tonnen Öläquivalente, zwischen 1990 und 2040. Die zukünftige Nachfrage basiert auf dem STEPS (durchgezogene Linien) und SDS (gestrichelt) (Quelle: CarbonBrief)

Zusammen würden im SDS emissionsarme Quellen im Jahr 2040 44 Prozent des globalen Energiemix ausmachen. Demgegenüber stehen 19 Prozent im Jahr 2019. Trotz des starken Rückgangs fossiler Energieträger werden globale Netto-Null-Emissionen erst 2070 erreicht. Damit würde das Ziel verfehlt, die Erderwärmung unter 1,5 °C zu halten. Dies bedeutet folglich, dass großskalige Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) in beiden Szenarien unvermeidlich sind (Quelle: CarbonBrief).

Fazit

Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Je nachdem wie schnell sich die Weltwirtschaft von der Krise erholt, wird sich das auf zukünftige Entwicklungen im Energiemix auswirken. Um wie angestrebt 2050 weltweit Netto-Null-Emissionen zu erreichen (wie im NZE2050 case) muss eine Reihe von drastischeren zusätzlichen Maßnahmen in den nächsten zehn Jahren getroffen werden.

Um die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken, ist es beispielsweise erforderlich, dass 2030 fast 75 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus emissionsarmen Quellen stammt und dass mehr als 50 Prozent der weltweit verkauften Personenkraftwagen elektrisch betrieben werden (gegenüber 2,5 Prozent im Jahr 2019).

Der Fokus muss dann auf Elektrifizierung, massiven Effizienzsteigerungen und Verhaltensänderungen liegen. Genauso wichtig ist die Innovation in einem breiten Spektrum von Technologien, von Wasserstoff-Elektrolyseuren bis hin zu kleinen modularen Kernreaktoren. Das bedeutet, dass ein erheblicher Einsatz von Regierungen, Energieunternehmen, Investoren und Bürgern notwendig ist.

Im zweiten Beitrag zu unserer Serie zum WEO 2020 vertiefen wir unsere Analyse und betrachten, welche Auswirkungen die getroffenen Annahmen der IEA auf die Commodity- und Strompreise haben.

 

Autoren: Simon Göß und Sila Akat