„Jamaika im Kohle-Dilemma“, „Schwarz-Grüner Krach um Kohle“, „Kohleausstieg ist das Tabuwort der Jamaika-Debatte“. Während der Sondierungsgespräche zu einer möglichen Jamaika-Koalition war der von den Grünen geforderte Kohleausstieg ein zentraler Punkt. Wie hat der Strommarkt darauf reagiert? Lässt sich das Ringen um (nicht) stillzulegende Kohlekapazitäten am Strompreis ablesen? Und was sagt das über den Energy-Only-Market aus?
Schauen wir uns zunächst für das Handelsjahr 2017 die Preise des an der EEX gehandelten deutschen Strom-Futures für die Lieferjahre 2019 und 2020 [1] an. Der Indikator Strom-Futures spiegelt den aktuellen Erwartungswert je Handelstag von Stromhändlern über den künftigen durchschnittlichen Strompreis wider.
Hier fällt dem Betrachter die Preisentwicklung Mitte Oktober bis Ende November 2017 ins Auge: Die Preiskurven der Lieferjahre 2019 und 2020 gehen auffallend auseinander. Im entsprechenden Zeitraum erwarteten die Stromhändler offenbar einen Preissprung von einem Lieferjahr auf das andere. Die jeweiligen Peak-Preise, die Erwartungswerte für künftige Strompreise in den verbrauchsstarken Stunden, zeigen für den gleichen Handelszeitraum sogar noch größere Abweichungen. Dies sehen Sie in Abbildung 2. Lassen Sie uns versuchen, diesen Abweichungen auf die Spur zu kommen.
Beim Strompreis kommt’s auf den Kohlepreis an
Im Artikel „Beim Strompreis kommt’s auf den Kohlepreis an“ erläuterte die Autorin, dass der Base-Preis sensibel auf einen sich ändernden Steinkohlepreis reagiert. Auch der CO2-Zertifikatpreis hat einen großen Einfluss auf die Terminmarktpreise für Strom. Mit einer sich verkürzenden Merit-Order im Zuge des Kernkraftausstiegs bestimmen zunehmend auch Kapazitäten mit höheren Grenzkosten (z. B. Importstrom, Gaskraftwerke) den Preis. Hier haben wir den ersten Ansatzpunkt: Lag die beobachtete Strompreisentwicklung vielleicht an diesen typischen Parametern? Wie Abbildung 2 zeigt, sind die Preisdifferenzen der Lieferjahren 2019 und 2020 für Clean Coal und Clean Gas [2] vermutlich nicht ursächlich für die Preisverwerfungen der Stromlieferungen in 2019 und 2020.
Kohle-, Gas- und CO2-Preise erklären die Strompreisentwicklung nicht
Es trifft sich, dass zu dieser Zeit die Sondierungsgespräche für eine mögliche Jamaika-Koalition liefen. Schon vor Beginn der Gespräche haben die Grünen das Zieljahr 2020 für das Abschalten von 20 Kraftwerksblöcken ins Spiel gebracht. Sie bezeichneten einen Kohleausstieg als „Schlüsselfrage“, um die Klimaziele zu erreichen. Die FDP auf der anderen Seite machte deutlich, dass sie an marktwirtschaftlichen Prinzipien festhalten. Sie wollen, statt durch einen staatlich verordneten Kohleausstieg, durch den Emissionshandel die CO2-Emissionen senken [3].
Während der Sondierungsgespräche diskutierten die Teilnehmer mal mehr, mal weniger hitzig über das Thema. Damit wurde den Marktakteuren zwei Optionen in Aussicht gestellt, die Erzeugungskosten zu steigern: entweder über eine Verknappung der Erzeugungskapazitäten durch das Abschalten von Kohlekapazitäten oder eine CO2-Steuer/-Mindestpreise. Lassen sich diese neuen Perspektiven im Strompreisverlauf für 2019 und 2020 wiederfinden? Hier lohnt sich ein näherer Blick auf den Fortgang der Koalitionsgespräche. Nachfolgend werden die einzelnen Zwischenstände der Sondierungsgespräche und der Preisverlauf gegenübergestellt (vgl. Abbildung 3):
Was sagt diese Reaktion über das Funktionieren des Energy-Only-Market aus?
Im Zuge der Diskussionen über die Kohlekommission, die rasch einen Mechanismus zum Kohleaussteig entwickeln soll, wacht auch der deutsche Diskurs über Kapazitätsmärkte aus dem Dornröschenschlaf auf. Die Branche beschäftigt sich wieder mit der Frage: Wie sollen in der nächsten Dekade anfallende Investitionen in neue und emissionsärmere Erzeugungstechnologien finanziert werden?
Die Entwicklung der Strom-Terminpreise während der Sondierungsgespräche ist ein Beispiel dafür, wie der Energy-Only-Market langfristige Preissignale sendet. Allein die Spekulation über einen möglichen Kohleausstieg hat ausgereicht, um die Preise steigen zu lassen. Damit hat der Energy-Only-Market bzw. der Strommarkt 2.0 seinen Funktionstest grundsätzlich bestanden. Ein tatsächlicher Beschluss des Kohleausstiegs in einem zeitweise für möglich gehaltenen Jamaika-Koalitionsvertrag hätte die Terminmarktpreise dann vermutlich noch einmal deutlich stärker ansteigen lassen.
Die Merit-Order hätte sich 2020 mit dem Abschalten der Kohle-Kraftwerksblöcke schlagartig zugunsten von Gaskraftwerken und Stromimporten verschoben. In immer mehr Stunden des Jahres 2020 wären diese Stromquellen preissetzend gewesen. Die Folge wäre gewesen: eine Erhöhung der Vollbenutzungsstunden und damit der Deckungsbeiträge von Gaskraftwerken bei Verminderung des üppigen deutschen Stromexportüberschusses. Ein Preissignal, das auch potenzielle Investoren wahrgenommen hätten.
Kohleausstieg: Chance oder Risiko
Die Chance oder je nach Sichtweise auch das Risiko eines Kohleausstiegs wurde von den Marktakteuren zeitweise mit über 2 EUR/MWh, respektive 6 Prozent, Preissteigerung eingepreist. Wie hoch das Preissignal bei einem beschlossenen Kohleausstieg gewesen wäre, das lässt sich an den Marktpreisen nicht ablesen. Dies bildet derzeit einen Analyseschwerpunkt von Energy Brainpool.
Zwei Parameter spielen eine Rolle bei der Analyse von steigenden Strompreisen: Einerseits die Bewertung von Investitionsanreizen und andererseits die künftige stündliche Preisverteilung mit Höhe und Häufigkeit von Knappheitspreisen. Knappheitspreise sind ein Signal dafür, dass die Nachfrage schwerer durch die am Markt verfügbaren Kapazitäten gedeckt werden kann. Somit werden Investitionen in Erzeugungstechnologien angereizt. Der stärkere Peak-Preisanstieg um mehr als 3 EUR/MWh, respektive acht Prozent, zeigt, dass die erwartete Strompreissteigerung besonders in den Stunden hoher Stromnachfrage stattfindet, in denen auch Knappheitspreise auftreten würden.
Exkurs Strommarkt 2.0
Mit dem Strommarktgesetz hat die Bundesregierung im Jahr 2016 das bisherige Strommarktdesign bestätigt und weiterentwickelt. Im hier genannten Kontext ist vor allem der Grundsatz der freien Preisbildung zu nennen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen sich Stromerzeugungskapazitäten über die sich am Markt frei bildenden Preise refinanzieren können. Preisschwankungen und die Höhe der Preise senden Knappheits- oder Überschusssignale an die Marktakteure.
An sich war die freie Preisbildung nichts Neues oder „Revolutionäres“. Allerdings wurden mit dem neuen Paragraph 1a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) „Grundsätze des Strommarktes“ eben diese nochmals bestärkt, so u.a. auch Erhöhung der Transparenz und die stärkere Einbindung in den EU-Elektrizitätsbinnenmarkt.
Im Zuge der Entwicklung des „Strommarkt 2.0“ wurde auch ein Kapazitätsmarkt diskutiert, der jedoch wieder verworfen und durch die Einführung einer Kapazitätsreserve ersetzt wurde. Diese soll nur in Extremsituationen ohne Ausgleich von Angebot und Nachfrage zum Einsatz kommen.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/FAQ/Weissbuch/faq-weissbuch.html
Co-Author:
Marie-Louise Niggemeier
Expert
[1] EEX, Phelix DE, Base, Year Future, Last Price
[2] API2 (umgerechnet von US-$ in EUR auf Basis von zeitlich korrespondierende Wechselkursen) bzw. TTF. Annahmen: Steinkohle: 0,34 t/MWh th, Gas: 0,2 t/MWh th
[3] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/regierungsbildung-knackpunkt-kohle-1.3699740
[4] https://www.tagesschau.de/inland/jamaika-sondierungen-115.html
[7] https://www.tagesschau.de/inland/jamaika-123.html
[8] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-11/jamaika-koalition-gruene-kohleausstieg-kompromiss
[9] https://www.tagesschau.de/inland/jamaika-sondierungen-137.html
[10] https://www.handelsblatt.com/downloads/20596948/2/jamaika-sondierungspapier.pdf
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