Mit dem „EU Energy Outlook 2050“ zeigt Energy Brainpool langfristige Trends in Europa auf. Das europäische Energiesystem wird sich in den kommenden Jahrzehnten gravierend verändern. Der Klimawandel und ein in die Jahre gekommener Kraftwerkspark zwingen die Europäische Union und viele Länder dazu, ihre Energiepolitik umzustellen. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Strompreise und Erlöspotenziale für Photovoltaik und Wind?

Die Strommärkte in Europa unterliegen einem ständigen Wandel, welcher aktuelle Preisszenarien unabdingbar macht. Nur so lassen sich beispielsweise Marktentwicklungen, Assets und Verträge, Investitionsentscheidungen oder Geschäftsmodelle richtig bewerten. Der „EU Energy Outlook 2050“ zeigt die Entwicklung des „Standard-Szenarios“ von Energy Brainpool für EU 28, Norwegen und Schweiz. Die tatsächlichen Prozesse in den Einzelländern können deutlich variieren. Um fundiert entscheiden zu können, sind detaillierte Modellierungen der einzelnen nationalen Märkte und der dortigen Einflussfaktoren inklusive Sensitivitätsanalysen unerlässlich.

Wie sieht der Kraftwerkspark der Zukunft aus?*

installierte Erzeugungskapazitäten in EU 28 (zzgl. NO und CH) nach Energieträger, Quelle: Energy Brainpool, „Energy, transport and GHG emissions trends to 2050 – Reference Scenario 2016“ [1]

Abbildung 1: installierte Erzeugungskapazitäten in EU 28 (zzgl. NO und CH) nach Energieträger, Quelle: Energy Brainpool, „Energy, transport and GHG emissions trends to 2050 – Reference Scenario 2016“ [1]

Der Kraftwerkspark in Europa hat sich über viele Jahrzehnte entwickelt. Die im Markt befindlichen Kraftwerke haben vielfach bereits ein hohes Alter erreicht. Sie werden bis 2050 ersetzt sein müssen, dazu zählen auch alle Kernkraftwerke (ausgenommen die im Bau befindlichen). Um den Klimawandel zu begrenzen, werden Ersatztechnologien benötigt, die emissionsarm sind – eine Renaissance der Kohle ist deshalb ausgeschlossen. Für die Zukunft sind bekannte und erprobte Technologien verfügbar: Gaskraftwerke, erneuerbare Energien sowie Kernkraftwerke. Vor allem Windkraft und Photovoltaik haben weiterhin ein großes Wachstumspotenzial. Diese Technologien sind heute wettbewerbsfähig – dank der stark gesunkenen Kosten in den letzten zehn Jahren. Experten erwarten, dass sich die Entwicklung fortsetzt. Im „EU Energy Outlook 2050“ steigt der Anteil dieser fluktuierenden erneuerbaren Energien (feE) bis in das Jahr 2050 auf fast 50 Prozent der gesamten Angebotsleistung.

An steuerbaren, fossilen Erzeugungskapazitäten werden auf europäischer Ebene in Zukunft vor allem Gaskraftwerke zugebaut. Das liegt an den geringeren Emissionen im Vergleich zu Kohlekraftwerken. Letztere verlieren selbst mit Carbon-Capture-Storage (CCS) weiter an Bedeutung. Die Kapazitäten von Kernkraft- und Kohlekraftwerken verringern sich um mehr als 50 Prozent bis 2050. Frankreich, Großbritannien, die Niederlande sowie Belgien haben für die Zukunft Kohleausstiege angekündigt. Dadurch ist insbesondere bei der Steinkohle ein starker Rückgang der aktuell installierten Leistung auf rund 50 Prozent bis zum Jahr 2030 zu beobachten. In der Gesamtbetrachtung reduziert sich der Anteil der Erzeugungskapazität steuerbarer, thermischer Kraftwerke von 50 Prozent auf etwa 30 Prozent. Dies hat erheblichen Einfluss auf die Struktur der Strompreise, welche zunehmend durch feE geprägt sind.

Warum steigt die Stromnachfrage bis 2050?

Bruttostromerzeugung und -nachfrage nach Energieträgern EU-28 (zzgl. NO und CH), Quelle: Energy Brainpool, „Energy, transport and GHG emissions Trends to 2050 – Reference Scenario 2016“

Abbildung 2: Bruttostromerzeugung und -nachfrage nach Energieträgern EU 28 (zzgl. NO und CH), Quelle: Energy Brainpool, „Energy, transport and GHG emissions trends to 2050 – Reference Scenario 2016“

Die Stromnachfrage steigt bis 2050 um circa 25 Prozent. Vor allem das Bevölkerungswachstum und mehr Elektrifizierung in den Haushalten erhöhen den Strombedarf. Der Großteil des Wirtschaftswachstums in den Plänen der Europäischen Kommission findet im tertiären Dienstleistungssektor statt, welcher ebenfalls mehr Strom benötigt. Im Industriesektor kann durch eine gesteigerte Effizienz ein deutlicher Anstieg des Stromverbrauchs verhindert werden. Dieses Szenario bewertet konservativ, wie sich die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Transport entwickeln werden. Im Personenverkehr werden Hybrid-Autos den Verbrauch von Rohstoffen reduzieren. Zeitgleich werden die Emissionen im Wärmesektor durch gesteigerte Effizienz und geringere Verbräuche von Kohle und Öl sinken.

Die Stromerzeugung steigt im Vergleich zum Verbrauch zum einen durch Exporte in Staaten, die nicht Teil der Europäischen Union sind. Ausnahmen bilden Norwegen und die Schweiz, welche in den Auswertungen mit betrachtet werden. Zum anderen gibt es auch Überschüsse aus feE, für die es im Szenario keine Nachfrage gibt und die deshalb abgeschaltet werden müssen.

Während die produzierte Strommenge aus Kohlekraftwerken stark abnimmt, verdoppelt sich die Menge aus Gaskraftwerken. Im Jahr 2050 erzeugen Wind- und Solaranlagen 39 Prozent des Stroms. Rund 38 Prozent des Stroms stammt aus steuerbaren, fossilen Kraftwerken. Die restlichen Strommengen werden durch steuerbare, erneuerbare Energien produziert, wie zum Beispiel Biomassekraftwerke oder Speicherseen.

Die langfristige Entwicklung von Rohstoffpreisen

Commodity-Preise, Quelle: World Energy Outlook 2017 („Sustainable Development“) und eigene Berechnungen Energy Brainpool

Abbildung 3: Commodity-Preise, Quelle: World Energy Outlook 2017 („Sustainable Development“) und eigene Berechnungen Energy Brainpool

Die Entwicklung der wichtigsten Commodities basiert bis 2040 auf dem „Sustainable Development“ Szenario des World Energy Outlooks 2017 der IEA [2]. In diesem Szenario sind drei Ziele definiert: Stabilisierung des Klimawandels, saubere Luft und ein universeller Zugang zu moderner Energie [3]. In diesem Szenario steigen die Preise für CO2-Zertifikate deutlich. Die Preise für Gas, Öl und Steinkohle bleiben auf einem relativ konstanten Niveau. Die Entwicklung von 2040 bis 2050 wird extrapoliert.

Entwicklung durchschnittlicher Strompreise

jährliche Baseload-Preise und Schwankungsbreite nationaler Einzelmärkte ausgewählter Staaten in Europa im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 4: jährliche Baseload-Preise und Schwankungsbreite nationaler Einzelmärkte ausgewählter Staaten in Europa im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Für die Entwicklung der durchschnittlichen, ungewichteten Strompreise der Jahre 2020 bis 2040 sind vor allem Primärenergie- und CO2-Preise relevant (für ausgewählte europäische Staaten). Ab dem Jahr 2040 werden die Strompreise trotz steigender Gas- und CO2-Preise stagnieren. Der Grund: Hohe Einspeisungen aus Wind- & Photovoltaik-Kraftwerken führen zunehmend zu geringen und häufiger auch negativen Strompreisen. Die tatsächlichen Entwicklungen in den Einzelländern weichen zum Teil sehr deutlich voneinander ab. Dies zeigen die dargestellten Schwankungsbreiten. Insbesondere Länder mit geringem Ausbau von erneuerbaren Energien verzeichnen einen stetigen Anstieg der Strompreise (aufgrund der Entwicklung der Commodity-Preise).

Abbildung 5: monatliche Baseload-Preise ausgewählter EU-Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 5: monatliche Baseload-Preise ausgewählter EU Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Betrachten wir die Strompreise auf monatlicher Basis, ist die Saisonalität und Volatilität des Strommarktes erkennbar. Für den Winter zeigen die Analysen steigende Preise, bedingt durch die Temperatursensitivität der Stromnachfrage. Demgegenüber liegen die Strompreise im Sommer meist deutlich niedriger. Dieser Effekt wird durch den steigenden Anteil solarer Stromerzeugung verstärkt, welche sich preissenkend auswirken.

Welche Erlöse können Windkraftanlagen erzielen?

Vermarktungswerte und -mengen für Wind in ausgewählten EU-Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 6: Vermarktungswerte und -mengen für Wind in ausgewählten EU Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Der Vermarktungswert ist der durchschnittliche mengengewichtete Strompreis, den Windkraftwerke am Spotmarkt erzielen können. Es werden nur Erzeugungsstunden mit positiven Strompreisen berücksichtigt (inklusive 0 EUR/MWh). Bis zum Jahr 2040 steigt der Vermarktungswert der Windenergie an und fällt dann leicht ab – bedingt durch weiterhin steigende Kapazitäten. Die parallele Erzeugung verringert die Strompreise in diesen Stunden (Merit-Order-Effekt). Die Vermarktungsmengen gehen dabei im EU-Durchschnitt nur leicht, in einzelnen Ländern teilweise auch sehr deutlich zurück.

Die vielen Stunden, in denen trotz des hohen Anteils von erneuerbaren Energien steuerbare, fossile Kraftwerke den Preis setzen, ermöglichen steigende positive Erlösströme. Die Schwankungsbreite der Märkte zeigt, wie unterschiedlich die landesspezifischen durchschnittlichen Erlösmöglichkeiten von Windenergieanlagen sind.

Im White Paper „Bewertung der Strommarkterlöse von Anlagen fluktuierender erneuerbarer Energien“ definiert Energy Brainpool unter anderem die Indizes Vermarktungswert und -mengen. Diese Indizes ermöglichen eine realistische Ermittlung der Erlöspotenziale von fluktuierenden, erneuerbaren Energien am Strommarkt.

 Welche Erlöse können Photovoltaik-Anlagen (Solar) erzielen?

Vermarktungswerte und -mengen ausgewählter EU-Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 7: Vermarktungswerte und -mengen ausgewählter EU Staaten im Durchschnitt, Quelle: Energy Brainpool

Die Entwicklung der Vermarktungswerte der Solarenergie gleicht dem Trend der Vermarktungswerte für Windenergie, aber auf einem niedrigeren Niveau. Grund hierfür ist der stark ausgeprägte Gleichzeitigkeitseffekt der Solarenergie: Der Großteil des Stroms wird in den Tagesstunden im Sommer erzeugt. In Stunden, in denen viel Solarstrom erzeugt wird, sinken der Strompreis und damit die Erlöse.

Die Vermarktungsmengen für Solarenergie gehen im EU-Durchschnitt auch nur leicht, in einzelnen Ländern jedoch sehr deutlich zurück. Die große Schwankungsbreite der Solar-Vermarktungswerte in den Einzelstaaten zeigt, wie stark die Erlösmöglichkeiten variieren. Hier gilt es jedoch zu beachten, dass in einem sonnenreichen Land auch mit geringen Vermarktungswerten hohe Erlöse möglich sind. Der Grund dafür ist, dass die Anlagen besser ausgelastet sind.

Solarthermische Anlagen zur Stromerzeugung sind im Szenario eine Randtechnologie und werden nicht in großem Umfang ausgebaut.

Zunahme der Preisvolatilität im Detail

Anzahl positiver und negativer Extrempreise im Durchschnitt ausgewählter EU-Staaten, Quelle: Energy Brainpool

Abbildung 8: Anzahl positiver und negativer Extrempreise im Durchschnitt ausgewählter EU-Staaten, Quelle: Energy Brainpool

Im Szenario führen viele Faktoren zu einem deutlichen Anstieg der Preisvolatilität. Auf der einen Seite steigen die Erzeugungskosten der steuerbaren, fossilen Kraftwerke aufgrund der Entwicklung der Commodity-Preise. Auf der anderen Seite hat der Ausbau fluktuierender, erneuerbarer Energien einen preissenkenden Effekt. Im Ergebnis treten aus heutiger Sicht extreme Preise deutlich häufiger auf und werden zu einem normalen Bestandteil der Strompreisstruktur des Day-Ahead-Marktes.

Als Extrempreise werden Strompreise gleich bzw. unter 0 EUR/MWh und über 100 EUR/MWh definiert. Das zu erwartende Verhältnis zwischen beiden Extrema birgt Marktchancen für neue Marktteilnehmer und -technologien, wie beispielsweise Speichersysteme.

* EU 28 inkl. Norwegen und Schweiz, je nach Auswertung wurden nur die signifikantesten Staaten ausgewählt, um den Mittelwert zu bestimmen.

Lesen Sie hier mehr über die erste Ausgabe des EU Energy Outlooks.

[1] https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/ref2016_report_final-web.pdf

[2] https://www.iea.org/weo2017/

[3] https://www.iea.org/newsroom/news/2017/november/a-new-approach-to-energy-and-sustainable-development-the-sustainable-development.html