Die aktuellen Rekordpreise hat niemand so vorhergesehen. Skeptiker der „Glaskugel“ fühlen sich bestätigt, dass die Strompreisprognosen „falsch“ liegen. Modellierer und Analysten müssen ihre Modelle erneut erklären und verteidigen. Wie kommt es dazu? Wir geben einen kurzen Überblick über die aktuelle Marktlage und geeignete Vorgehensweisen.
Willkommen in der neuen Welt der Volatilität
In der Tat führt die aktuelle globalpolitische Situation zu ganz neuen Volatilitäten an den Commodity- und Strommärkten. Der Gaspreis erreicht seit Oktober 2021 immer wieder neue Rekordpreise aufgrund befürchteter oder bevorstehender Engpässen. Auch der Kohlepreis ist auf bislang ungekannte Höhen geklettert. Der Preis für CO2-Zertifikate (EUAs) ist nach einem stetigen Anstieg im Jahr 2021 nach der Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 innerhalb weniger Tage von 95 EUR/t auf 56 EUR/t abgerutscht.
Volatilität am Spot-Markt im März 2022
Die Commodity-Preise nehmen natürlich Einfluss auf die Strompreise, da das preissetzende Kraftwerk im Energy-Only-Markt häufig doch ein Kohle- oder Gaskraftwerk ist. Und so stellen wir auch dort einen neuen Grad der Preisvolatilität fest. Allein im März schwankte der Tages-Basepreis am EPEX Spotmarkt zwischen 55 und knapp 500 EUR/MWh. Am 18. März 2022 stand der Preis bei knapp 230 EUR/MWh, zwei Tage später wiederum bei 55 EUR/MWh dank starker Wind-Einspeisung. Einen Tag später lag der Preis wieder bei über 200 EUR/MWh.
Am 26. März 2022, einem sonnigen Samstag, schwankte der Stundenpreis innerhalb des Tages zwischen 80 EUR/MWh um 13 Uhr und 292 EUR/MWh um 19 Uhr. Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der täglichen Spotpreise im letzten Monat (Quelle: Montel, EPEX Spot).
Neben dem insgesamt hohen Preisniveau ist es also insbesondere die Volatilität, die vielen Akteuren Kopfzerbrechen bereitet. Die Commodity-Preise, die sich aus globalen wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen ergeben, sowie das Wetter haben einen großen Einfluss auf den Spotmarktpreis. Beides ist relativ schwer vorauszusagen. Aber das heißt nicht, dass Strompreisprognosen obsolet werden.
„Wie geht es weiter?“, ist eine Frage, die in vielen Köpfen schwirrt. Die künftige Entwicklung des Strompreises ist für Versorger, Kraftwerksbetreiber, Händler, Großverbraucher, Investoren, Banken und Co. von hoher Bedeutung. Die Perspektive dieser Akteure auf den Strompreis ist jedoch unterschiedlich.
Welche Strompreisprognose brauche ich?
Allen gemein ist, dass die Absicherung von Preisen über den Terminmarkt läuft, um nicht den extremen Schwankungen am Spotmarkt ausgesetzt zu sein. Der Terminmarkt ist dabei stets eine Art Wette auf den zukünftigen Spotmarktpreis. Sofern eine Handelsabteilung innerhalb weniger Tage bestimmte Mengen absichern muss, stellt die sich die Frage, wie sich der Preis eines Terminmarktproduktes in den nächsten Tagen entwickelt. In anderen Worten: Wann ist der beste Kauf- oder Verkaufszeitpunkt eines Futures innerhalb dieser kurzen Zeitspanne?
Investoren und Banken eines neuen PV-Parks, welcher über PPAs abgesichert werden soll, stellen sich dagegen die Frage, wie sich der Preis für die nächsten 15 bis 20 Jahre weiterentwickelt.
Diese zwei Situationen müssen mit ganz unterschiedlichen Methoden bedient werden. Während die Handelsabteilung sowohl fundamentale als auch technische Analysen (Chartanalyse, technische Signale) durchführen wird, ist für die Investoren und Banken ein fundamentales Strompreisszenario die richtige Wahl.
Kurzporträt der wichtigsten Prognosemethoden
Die technische Analyse für den Terminmarkt nutzt historische Daten. Über grafische oder numerische Methoden werden Preisverläufe analysiert und versucht, daraus Kauf- oder Verkaufssignale abzuleiten. Schlussfolgerungen für die nahe gelegene Zukunft können beispielsweise sein, dass ein Kurs dem aktuellen Trend weiter folgt oder dass es zu einer Trendumkehr kommt. Diese Methode ist sehr subjektiv und stark von der Expertise des Analysten abhängig.
Die Spotpreisprognose dagegen ist eine Methode zur Vorhersage der stündlichen Marktpreise am Spotmarkt. Hier fließen fundamentale Daten ein, wie etwa:
- die Kraftwerksverfügbarkeit
- Commodity-Preise
- die erwartete Nachfrage aufgrund von Typtagen (Sommer, Winter, Wochentag, Wochenende, etc.)
- das Wetter.
Über Regressionsanalysen kann aus historischen Daten dann ein Preis abgeleitet werden. Der Effekt einzelner Parameter auf die Häufigkeitsverteilung erwarteter Strompreise lässt sich mithilfe von Szenarioschwarmanalysen quantifizieren, wie wir in diesem Artikel beschreiben.
Fundamentale Strompreisszenarien nutzen ähnliche Input-Parameter wie die Spotpreisprognose, gehen aber Jahrzehnte in die Zukunft. Deshalb können sie nicht auf aktuelle Wetterprognosen oder Commodity-Preise aufbauen. Modellierer müssen demnach eine Reihe von Annahmen treffen. Diese Annahmen beziehen sich auf das Preisniveau der Commodities, das Wetter, die Kapazitäten im Kraftwerkspark und die Entwicklung der Stromnachfrage. Gute Modelle berechnen nicht nur das jährliche Mittel, sondern darüber hinaus auch monats- oder stundenscharfe Werte.
Für die nächsten drei Jahre können die Indizes vom Terminmarkt der Strombörsen als Preisindikator herangezogen werden. Denn für die nächsten drei Frontfälligkeiten ist die Liquidität am Markt relativ hoch und damit eine umfassende Marktmeinung in den Preis integriert. Für die Zukunft jenseits der drei Frontjahre sind allerdings Fundamentalanalysen erforderlich. Die verschiedenen Vorgehensweisen zur Strompreisprognose sind in Abbildung 2 noch einmal zusammengefasst.
Strompreisprognosen werden wohl nicht einfacher
In der neuen Welt der hohen Volatilität sind Strompreisprognosen nicht besser oder schlechter geworden. Es ist allerdings schwieriger geworden, die Input-Parameter für die Modelle richtig zu wählen. Die Marktpsychologie hat dank digitaler Kommunikationskanäle an Bedeutung gewonnen. Sie wird getrieben von der Verstrickung von Markt und Politik. Politische Einflüsse und eine zunehmende globale Vernetzung der Märkte sind nicht von der Hand zu weisen. Schon eine unscheinbare Kurznachricht im Internet kann kurzzeitige Preissprünge am Terminmarkt verursachen.
So brach der Gaspreis am TTF-Handelsplatz im August 2021 innerhalb von zwei Tagen um rund 17 Prozent ein. Dies geschah, nachdem Gazprom getwittert hatte, dass noch in 2021 rund 5,6 Milliarden Kubikmeter Gas über Nord Stream 2 geliefert werden würden. Bekanntlich ist es nie dazu gekommen.
Während Betreiber von Speichern die hohe Volatilität am Spotmarkt durchaus willkommen heißen, dürften Teilnehmende am Terminmarkt sowie Betreiber konventioneller Kraftwerke sich nach Entspannung an den Märkten sehnen.
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