Das europäische Energiesystem wird sich in den kommenden Jahrzehnten stark verändern. Neben dem Klimawandel und einem in die Jahre gekommenen Kraftwerkspark zwingen auch die aktuellen geopolitischen Spannungen die Europäische Union und viele Länder dazu, ihre Energiepolitik umzustellen. Was bedeuten diese Entwicklungen für die Strompreise, Erlöspotenziale und Risiken für Photovoltaik und Wind?
Mit dem aktuellen „EU Energy Outlook 2050“ zeigt Energy Brainpool langfristige Trends in Europa auf. Spätestens seit dem Beginn der Invasion der Ukraine durch Russland am 24. Februar 2022 ist die Welt auch auf den Energiemärkten eine andere. Schon zuvor wandelten sich die Strommärkte ständig. Insbesondere durch die Evolution der energiepolitischen Planungen, um CO2-Emissionen zu reduzieren, entwickeln sich Strompreisszenarien kontinuierlich. Daraus resultierend ändert sich auch permanent die Bewertung von Marktentwicklungen, Assets und Verträge, Investitionsentscheidungen, Power Purchase Agreements (PPAs) oder Geschäftsmodelle.
Doch aktuell reicht es nicht aus, schlüssige Strompreisszenarien nur weiter zu entwickeln. Nichts ist wie vorher – seit dem 24. Februar 2022. Dafür wirkt die aktuelle geopolitische Krise zu disruptiv und zu heftig. Daher rechnen und analysieren wir bei Energy Brainpool in einer neuen Szenariowelt.
Der „EU Energy Outlook 2050“ zeigt die Entwicklungen in Energy Brainpools neuem „Central“-Szenario für die EU 27, inklusive Norwegen, der Schweiz und Großbritannien. Unter dem Eindruck der aktuellen Krise und ihrer Folgen für die Energiemärkte haben wir die bisherigen Strompreisszenarien von Grund auf überarbeitet. Darüber hinaus haben wir die zugrundeliegenden Annahmen an die neue Realität angepasst.
Allgemein ist zu sagen, dass die tatsächlichen Entwicklungen in den Einzelländern deutlich variieren können. Um fundiert entscheiden zu können, sind detaillierte Modellierungen der einzelnen nationalen Märkte und der länderspezifischen Einflussfaktoren inklusive Sensitivitätsanalysen unerlässlich.
Das neue „Central“-Szenario
In den vorangegangenen EU Energy Outlooks diente das Szenario „Energy Brainpool“ als Grundlage, um die zukünftige Entwicklung der Strompreise, der Capture-Preise und anderer Größen zu schätzen. Im Zuge der Ukraine-Krise und ihrer Folgen für die Energiemärkte wurde dieses ersetzt durch das neue „Central“-Szenario. Daraus ergeben sich die Variationen „Tensions“ und „Relief“.
Das Szenario „Central“ berücksichtigt die aktuellen Spannungen zwischen den europäischen Ländern und Russland. Die Hauptannahme des Szenarios besteht darin, dass Europa ab spätestens 2027 den Import von russischem Pipeline-Gas einstellt. Außerdem nehmen wir an, dass sich mittel- bis langfristig die allgemeine (Import-)Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren wird.
In der Kurzfristperspektive werden für die Brennstoff- und CO2-Preise die aktuellen Entwicklungen auf den Terminmärkten berücksichtigt. Diese sind bedingt durch die momentane geopolitische Situation. Abbildung 1 zeigt den Anteil russischer Importe an allen importierten Mengen der Energieträger Erdgas, Steinkohle und Rohöl sowie den Anteil aller importierten Mengen am gesamten Verbrauch in den EU 27 Staaten. Daraus ergibt sich eine direkte Abhängigkeit von russischen Energieträgern am Endverbrauch von 28,1 % für Steinkohle, 25 % für Rohöl und 37 % für Erdgas. Diese Werte ergeben sich zum Beispiel für Steinkohle aus einem Importanteil am Endverbrauch von 48 % multipliziert mit dem russischen Importanteil von 54 %.
Mit der von nahezu allen EU-Staaten anvisierten, schnellstmöglichen Substitution von russischen Energieträgern kommt es zu zwei Effekten: Kurz- bis mittelfristig steigen die Preise und die Volatilität auf den Terminmärkten erhöht sich. Dies gilt insbesondere für Erdgas, da eine Beschaffung aus alternativen Quellen am deutlichsten von der bestehenden Infrastruktur abhängig ist (LNG-Terminals, Pipelines). Im „Central“-Szenario wird daher für die nächsten Jahre von Erdgaspreisen ausgegangen, die dem durchschnittlichen Preisniveau an den Terminmärkten seit Mitte Februar 2022 entsprechen.
LNG ab 2027entscheidend für europäischen Erdgaspreis
Ab 2027 orientiert sich der europäische Erdgaspreis am Weltmarktpreis für LNG. Als voraussichtlich wichtigste Importquelle für Europa kann dafür US-amerikanisches LNG als preissetzend angenommen werden. Der Exportpreis für US-LNG entspricht historisch dem amerikanischen Erdgas-Benchmark-Preis (Henry Hub). Hinzu kommt ein nachfragebedingter Aufschlag für den Transport innerhalb der USA sowie der Verflüssigung von Erdgas zum Transport als LNG.
Um den Preis für US-LNG auf dem europäischen Markt zu schätzen, müssen zudem Kosten für Fracht und Regasifizierung in Europa berücksichtigt werden. Abbildung 2 zeigt die Zusammensetzung der Kostenkomponenten auf Basis der Henry Hub Price Forward Curve, sowie die mittleren Annahmen zu Verflüssigungs-, Fracht- und Regasifizierungskosten. Unter Berücksichtigung von Wechselkurs- und Inflationsannahmen ergibt sich ein Erdgaspreis von 22 EUR2020/MWh. Dieser Preis wird im Szenario für die Jahre 2027 bis 2040 angenommen.
Wasserstoff ersetzt langfristig Erdgas
In der langen Frist wird fossiles Erdgas in seinen Endanwendungen durch Wasserstoff ersetzt. Konkret wird dieser entweder mittels Elektrolyse aus Strom produziert oder importiert. Wir nehmen an, dass solch „grüner“ Wasserstoff auf dem Weltmarkt gehandelt wird und spätestens ab 2040 den „Clean Gas Price“ unterbietet. Der „Clean Gas Price“ setzt sich zusammen aus dem Preis für Erdgas plus dem EUA-Preis multipliziert mit dem Erdgas-Emissionsfaktor von 0,2 tCO2/MWhth. Dies erhöht den Preisdruck auf Erdgas nach 2040. Eine sukzessive Verdrängung von Erdgas findet statt.
Ähnlich wie beim Erdgas wird bei Steinkohle, Erdöl und EUAs für die nächsten Jahre von Preisen ausgegangen, die dem durchschnittlichen Preisniveau an den Terminmärkten seit Mitte Februar 2022 entsprechen. Auch die Terminmarktpreise für Steinkohle und Erdöl sind bis Ende 2023 stark vom Risiko eines Embargos russischer Energieimporte beeinflusst.
Durch stärkere Weltmarktverflechtungen und niedrigere Infrastrukturhürden bei der Substitution stabilisieren sich die Preise ab 2024. Bis 2040 konvergieren sie zu den Werten, die im aktuellen World Energy Outlook der International Energy Agency (IEA, 2021) in den Szenarien „Stated Policies“ (für Steinkohle) und „Sustainable Development“[1] (für Erdöl) angenommen wurden.
Indes ist der gegenwärtige Preisschock auf diesen Commodity-Märkten anders als bei Erdgas nur von vorübergehender Natur. Die EUA-Preise sind neben allgemeinen Markteinflüssen vor allem durch das Policy-Design des EU ETS bedingt. Auch hier wird im „Central“-Szenario angenommen, dass die Preise bis 2040 zum entsprechenden Wert aus dem „Sustainable Development“-Szenario konvergieren.
Damit ergeben sich die in Abbildung 3 gezeigten Commodity-Preispfade. Im Vergleich zum heutigen Niveau sinken in diesem Szenario die Preise für Öl und Steinkohle kontinuierlich bis 2040. Der CO2-Preis stagniert bis 2030 auf einem Niveau von 74 EUR2020/tCO2, und steigt anschließend auf knapp 165 EUR/tCO2 in 2050.
Die Rolle von PV- und Windenergie
Einhergehend mit dem Ziel, die Importe von fossilen Energieträgern mittelfristig drastisch zu reduzieren und die Importabhängigkeit so schnell wie möglich zu beenden, nimmt das Szenario ein in der Zukunft stark dezentralisiertes Energiesystem mit einem deutlichen Zubau der erneuerbaren Energien an. Erreicht wird dies unter anderem dadurch, dass europaweit Hausbesitzer mehr PV-Anlagen auf Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften bauen, inklusive Stromspeicher. Für Deutschland entsprechen die Ausbaupfade den Zielen in der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes („EEG-Referentenentwurf“).
Abbildung 4 illustriert die Ausbauziele für PV und Wind aus dem EEG-Referentenentwurf und besonders den Zubau im Vergleich zum „EBP“-Szenario aus dem letzten EU Energy Outlook. Insbesondere bei PV steigt die Kapazität bis 2045 um mehr als das Doppelte auf 400 GW.
Auch für onshore und offshore Wind sehen die Pläne einen deutlichen Zubau auf 160 GW bzw. 70 GW in 2045 vor. Dieser Ausbau der Erneuerbaren geht einher mit einer steigenden Nachfrage nach flexibler Stromerzeugung. Neben der zunehmenden Produktion von Wasserstoff durch Elektrolyseure ist bis 2045 der Wärmesektor über einen weiteren Ausbau der Wärmepumpen vollständig dekarbonisiert. Im Verkehrssektor werden bis 2050 sowohl Pkws als auch Krafträder zu 95 % elektrifiziert.
Auch für die übrigen EU-Staaten haben wir im Central-Szenario teilweise die erneuerbaren Kapazitäten angepasst. Die aggregierten europäischen Kapazitäten je Erzeugungstechnologie sind im folgenden Abschnitt dargestellt.
Wie sieht der europäische Kraftwerkspark der Zukunft aus?
Der Kraftwerkspark in Europa war besonders von fossilen Erzeugungskapazitäten dominiert (vgl. Abbildung 5). Vielfach haben die im Markt befindlichen Kraftwerke bereits ein hohes Alter erreicht und müssen bis 2050 ersetzt werden. Ausgenommen hiervon sind nur die bereits im Bau befindlichen Kraftwerke.
Gleichzeitig fließen auch die Ergebnisse der europäischen Klimapolitik in die Entwicklung des europäischen Kraftwerkparks ein. Mittlerweile haben sich insgesamt elf EU-Staaten zu einem Kohleausstieg entschlossen. So wollen sie negative Auswirkungen der hohen CO2-Emissionen begrenzen. Für die Zukunft stehen bekannte und erprobte Technologien bereit: Gaskraftwerke, erneuerbare Energien so wie in einigen Märkten Kernkraftwerke. Vor allem Windkraft und Photovoltaik haben weiterhin ein großes Wachstumspotenzial. Diese Technologien sind heute dank der stark gesunkenen Kosten wettbewerbsfähig. Dies ist auch ersichtlich durch die ansteigende Anzahl PPA-basierter Projekte, insbesondere für Solaranlagen. Dieser Trend gerät durch den zunehmenden Kannibalisierungseffekt der Anlagen untereinander zunehmend unter Druck.
Im „EU Energy Outlook 2050“ steigt der Anteil dieser fluktuierenden erneuerbaren Energien (feE) bis in das Jahr 2050 auf rund 75 Prozent der gesamten Angebotsleistung. Zudem senkt ihre oft gleichzeitige Stromerzeugung den stündlichen Strompreis immer öfter und immer stärker. Alle erneuerbaren Technologien zusammen haben einen Anteil von 84 Prozent am Kraftwerkspark. Interessant ist dabei die Zuordnung von Gaskraftwerken, die, solange sie Erdgas verbrauchen als „fossile“ Stromerzeuger gelten. Durch den Wechsel auf grünen Wasserstoff werden sie jedoch zu „emissionsfreien“ Kraftwerken gerechnet.
Gaskraftwerke spielen eine große Rolle
An steuerbaren, fossilen Erzeugungskapazitäten werden auf europäischer Ebene in Zukunft vor allem Gaskraftwerke zugebaut. Sie weisen geringere Emissionen im Vergleich zu Kohlekraftwerken auf. Letztere verlieren selbst mit Carbon-Capture-Storage (CCS) weiter an Bedeutung. Allerdings bleibt abzuwarten, ob der bis spätestens 2027 geplante Importstopp für russisches Pipeline-Gas und der Bezug von teurerem LNG-Gas zumindest zeitweise zu einem geringeren Zubau von Gaskapazitäten führt.
Gleichzeitig können in modernen, „H2-fähigen“ Gasturbinenkraftwerken statt fossilem Erdgas auch Wasserstoff und andere synthetische Kraftstoffe verbrannt werden. Daher ist davon auszugehen, dass Gasturbinen und GuD-Kraftwerke auch auf lange Sicht eine wichtige Technologie bei der Stromerzeugung bleiben. So werden sie zumindest in Teilen zur emissionsfreien Erzeugung gerechnet.
Die Kapazitäten von Kernkraft- und Kohlekraftwerken verringern sich um mehr als 51 Prozent bis 2050. Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, die Niederlande, Finnland, Italien, Irland, Portugal, Dänemark und Ungarn haben für die Zukunft Kohleausstiege angekündigt. Dadurch ist insbesondere bei der Steinkohle ein starker Rückgang der aktuell installierten Leistung um rund 78 Prozent bis zum Jahr 2050 zu beobachten.
In der Gesamtbetrachtung reduziert sich der Anteil der Erzeugungskapazität steuerbarer, thermischer Kraftwerke von aktuell rund 46 Prozent auf etwa 16 Prozent bis zum Jahr 2050. Dies hat einen erheblichen Einfluss auf die Struktur der Strompreise, welche zunehmend durch feE geprägt sind.
Warum steigt die Stromnachfrage bis 2050?
Die Stromnachfrage steigt bis 2050 um circa 31 Prozent, wie in Abbildung 6 dargestellt ist. Vor allem erhöht sich der Strombedarf:
- durch die nationalen Wasserstoffstrategien,
- die vermehrte Elektrifizierung von diversen Energiedienstleistungen in den Haushalten
- sowie den Anstieg der Elektromobilität.
Der Großteil des Wirtschaftswachstums findet laut Plänen der Europäischen Kommission im tertiären Dienstleistungssektor statt, welcher ebenfalls mehr Strom benötigt. Im Industriesektor kann durch eine höhere Effizienz verhindert werden, dass der Stromverbrauch deutlich steigt. Die produzierte Strommenge aus Kohlekraftwerken ist stark rückläufig. Ebenso nimmt sie bis 2030 um rund 68 Prozent und bis 2050 um rund 91 Prozent ab. Die Produktion aus Gaskraftwerken erhöht sich indes um rund 39 Prozent bis zum Jahr 2050.
Der Anteil erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung beträgt im Jahr 2050 74 Prozent. Dabei machen Wind- und Solaranlagen mit zusammen rund 45 Prozent den größten Anteil aus. Die restlichen Strommengen werden durch steuerbare, erneuerbare Energien produziert, wie zum Beispiel Biomassekraftwerke oder Speicherseen.
Weitere 25 Prozent des erzeugten Stroms werden ebenfalls emissionsfrei produziert, entweder in Kernkraftwerken (12 Prozent) oder in Gaskraftwerken durch die Verbrennung von grünem Wasserstoff (13 Prozent). Damit beträgt der Anteil der emissionsfreien Erzeugung in 2050 knapp 99 Prozent.
Entwicklung der durchschnittlichen Strompreise
Welche Faktoren beeinflussen, wie sich die durchschnittlichen, ungewichteten Baseload-Preise der Jahre 2023 bis 2050 entwickeln werden? Besonders relevant dafür sind die Rohstoff- und CO2-Preise sowie der Ausbau der erneuerbaren Energie. In den kommenden Jahren sind die Strompreise vom aktuell hohen Preisniveau an den Terminmärkten geprägt. Ab 2030 wirken die steigenden CO2-Preise preissteigernd auf die Strompreise.
Allerdings wird diese Entwicklung gedämpft durch die immer höheren Einspeisungen aus Wind- und Photovoltaik-Kraftwerken. Diese können nur teilweise von einer flexibler werdenden Stromnachfrage ausgeglichen werden. Hierdurch gibt es zunehmend Stunden mit geringen und häufiger auch negativen Strompreisen. Im Ergebnis steigen die realen Strompreise zwischen 2030 und 2050 nur leicht von 69 EUR/MWh auf 78 EUR/MWh.
Im Vergleich zur letzten Ausgabe des EU Energy Outlooks von November 2021 ist der Durchschnitt der Strompreise zwischen 2030 und 2050 nahezu gleichgeblieben. Während insbesondere der deutliche Anstieg des Gaspreises zu höheren Strompreisen zwischen 2030 und 2038 führt, bedingt der Zubau von Wind- und PV-Anlagen vor allem in Deutschland im niedrigeren Preise nach 2040.
Zwischen den einzelnen europäischen Ländern sind große Abweichungen sichtbar. Dies zeigen die dargestellten Schwankungsbreiten in Abbildung 7. Aufgrund der Entwicklung der Commodity-Preise verzeichnen insbesondere Länder mit einem geringen Ausbau von erneuerbaren Energien einen stärkeren Anstieg der Strompreise.
Betrachten wir die Strompreise auf monatlicher Basis, ist die Saisonalität und Volatilität des Strommarktes erkennbar (siehe Abbildung 8). Für den Winter zeigen die Analysen steigende Preise, bedingt durch die Temperatursensitivität der Stromnachfrage. Demgegenüber liegen die Strompreise im Sommer meist deutlich niedriger. Dieser Effekt wird durch den steigenden Anteil solarer Stromerzeugung verstärkt.
Welche Erlöse können Windkraftanlagen erzielen?
Der Vermarktungswert ist der durchschnittliche mengengewichtete Strompreis, den Wind- und PV-Anlagen über das Jahr gerechnet am Spotmarkt erzielen können. Bei der Berechnung werden nur Erzeugungsstunden mit positiven Strompreisen berücksichtigt (inklusive 0 EUR/MWh).
Demgegenüber gibt die Vermarktungsmenge den Anteil der erzeugten Strommengen in diesen Stunden an der gesamten Erzeugungsmenge an. Das Produkt aus Vermarktungswert und Vermarktungsmenge ergibt den Capture-Preis. Im Gegensatz zum Vermarktungswert ist der Capture-Preis der durchschnittliche Jahreserlös am Strommarkt für die gesamte Erzeugungsmenge (also auch in Stunden mit negativen Strompreisen).
Wie Abbildung 9 zeigt, bleiben sowohl Vermarktungswert als auch Capture-Preis für Windanlagen ab dem Jahr 2030 nahezu konstant und nehmen erst am Ende des betrachteten Zeitraums leicht zu. Der Grund dafür sind steigende Kapazitäten. Die parallele Erzeugung durch eine höhere Anzahl von Anlagen verringert die Strompreise in diesen Stunden (Merit-Order-Effekt). Die Vermarktungsmengen gehen im EU-Durchschnitt nahezu gar nicht, in einzelnen Ländern wie beispielsweise Deutschland teilweise aber sehr deutlich zurück.
Die vielen Stunden, in denen trotz des hohen Anteils von erneuerbaren Energien steuerbare, fossile Kraftwerke den Preis setzen, ermöglichen positive Erlösströme. Die Schwankungsbreite der Märkte zeigt, wie unterschiedlich die landesspezifischen durchschnittlichen Erlösmöglichkeiten von Windenergieanlagen sind.
Im White Paper „Bewertung der Strommarkterlöse von Anlagen fluktuierender erneuerbarer Energien“ definiert Energy Brainpool unter anderem die Indizes Vermarktungswert und -mengen. Diese Indizes ermöglichen es, die Erlöspotenziale von fluktuierenden, erneuerbaren Energien am Strommarkt realistisch einzuschätzen.
Welche Erlöse können Photovoltaik-Anlagen (Solar) erzielen?
Die Entwicklung des durchschnittlichen Vermarktungswerts und Capture-Preises von Photovoltaik-Anlagen fällt im Vergleich zu Wind in den 2040er-Jahre stärker ab (vgl. Abbildung 10). Grund hierfür ist der deutliche Zubau von PV-Kapazitäten, vor allem in Deutschland, in Verbindung mit dem stark ausgeprägten Gleichzeitigkeitseffekt bei PV. Denn der Großteil des Stroms wird in den Tagesstunden im Sommer erzeugt. In Stunden, in denen viel Solarstrom erzeugt wird, sinken die Strompreise und damit die Erlöse.
Auch bei PV bleiben die Vermarktungsmengen im EU-Durchschnitt nahezu konstant. Währenddessen gehen in einzelnen Ländern zeitweise deutlich zurück. Die große Schwankungsbreite der Solar-Vermarktungswerte in den Einzelstaaten zeigt, wie stark die Erlösmöglichkeiten variieren. Hier gilt es jedoch zu beachten, dass in einem sonnenreichen Land auch mit geringen Vermarktungswerten hohe Erlöse möglich sind. Der Grund dafür ist, dass die Anlagen besser ausgelastet sind.
Schwankungen bedingt durch unterschiedliche Szenario-Annahmen
Energy Brainpool bietet aktuell drei Szenarien an. Abbildung 12 zeigt die unterschiedlichen Trends der Szenarien. Die Schwankungen betreffen hierbei sowohl die Annahmen zu der Entwicklung der Commodity-Preise sowie des Kraftwerksparks und der flexiblen Stromnachfrage.
Im Szenario „Tensions“ setzen sich die aktuellen Spannungen zwischen Russland und dem Westen in den kommenden Jahren fort. Demzufolge sind weiterhin hohe Rohstoffpreise auf den Terminmärkten zu beobachten. Europa beendet den Import von russischem Pipeline-Gas so früh wie möglich. Infolgedessen orientiert sich der Erdgaspreis am Weltmarktpreis für LNG. Dabei befinden stehen die europäischen Verbraucher im Wettbewerb um LNG mit den asiatischen Märkten. Mittelfristig führt dies auch zu einem hohen Erdgas-Preisniveau.
Gleichzeitig kommt es im Vergleich zum „Central“-Szenario zu einem Anstieg der CO2-Preise. Dies geschieht sowohl um zusätzliche Einnahmen zu generieren, um Staatsschulden zu refinanzieren, als auch um die technologische Entwicklung beim Einsatz von Wasserstoff zu fördern. In Deutschland geht der Ausbau der Erneuerbaren langsamer als geplant voran.
Das Szenario „Relief“ nimmt an, dass sich das Verhältnis zwischen Europa und Russland in den kommenden Jahren wieder entspannt. Folglich wird der Import von russischem Pipeline-Gas auch mittelfristig fortgeführt. Die während der aktuellen Krise beschlossenen Ausbauziele bei den Erneuerbaren, insbesondere in Deutschland, werden dennoch aufrechterhalten. Denn Ziel ist es, die europäische Importabhängigkeit bei den fossilen Energieträgern langfristig zu reduzieren.
Abbildung 12 zeigt die dazugehörige Entwicklung der durchschnittlichen Strompreise in den jeweiligen Szenarien.
Autoren: Christoph Kellermann, Alex Schmitt, Calvin Triems, Huangluolun Zhou
Last but not least
Sie interessieren sich für die Ergebnisse unseres letzten EU Energy Outlook vom November 2021? Dann empfehlen wir Ihnen unseren Blogbeitrag: Update: EU Energy Outlook 2050 – Wie entwickelt sich Europa in den nächsten 30 Jahren?
Wie Sie die Risiken stark schwankender Beschaffungspreise reduzieren können? Das zeigen wir Ihnen gern im passenden Live-Online-Training „Nachhaltige Beschaffungsstrategien“ am 10./11. Mai 2022.
Quellen
[1] EU Reference Szenario, 2016: Energy, transport and GHG emissions – Trends to 2026 [online] https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/ref2016_report_final-web.pdf [zuletzt abgerufen am 01.11.2021].
[2] IEA, 2021: World Energy Outlook [online] https://www.iea.org/reports/world-energy-outlook-2021 [zuletzt abgerufen am 01.11.2021].
[3] entso-e, 2021 [online] https://tyndp.entsoe.eu/ [zuletzt abgerufen am 01.11.2021].
[1] In diesem Szenario sind drei Ziele definiert: Stabilisierung des Klimawandels, saubere Luft und ein universeller Zugang zu moderner Energie. Insbesondere wird angenommen, dass der Großteil der Industrieländer seine CO2-Emissionen im Jahr 2050 auf „netto-null“ reduziert hat, und der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur so auf 1,65 °C begrenzt wird.
27. April 2022
Sie sehen in 2050 noch einen Biomasse als Bestandteil der Stromproduktion.
Das wird in dem erwarteten Preiskorridor aber keinesfalls möglich sein.
27. April 2022
Hallo Herr Dr. Diekel,
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Grundsätzlich kommt es bei dieser Frage sehr darauf an, welches Land Sie betrachten (die Strompreise, die im Blogbeitrag dargestellt sind, bilden ja den europäischen Durchschnitt ab, die Entwicklungen in den einzelnen Ländern können deutlich variieren). Die aktuellen Studie zu „Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien“ vom Fraunhofer ISE (Juni 2021) geht von Gestehungskosten von mind. 8,45 ct/KWh für Biogasanlagen und 7,22 ct/KWh für feste Biomasse aus (unter Berücksichtigung der Wärmeauskopplung). In UK, wo Biomasse einen nicht unerheblichen Anteil an der Stromproduktion ausmacht, liegt der Strompreis bis 2050 durchgehend in diesem Bereich. Für Deutschland, wo wir von niedrigeren Baseload-Preisen ausgehen, haben Sie mit ihrem Kommentar Recht, hier setzt die Stromproduktion aus Biomasse auch weiterhin eine Förderung voraus. Allerdings nimmt die Stromproduktion aus Biomasse in beiden Ländern bis 2050 auch deutlich ab.
Viele Grüße
Ihr Team von Energy Brainpool
8. Juni 2022
Guten Tag,
wieso gehen Sie für die EU Länder insgesamt nur von einem Anstieg des Strombedarfs bis 2050 von ca. 31% aus, während die Prognosen für Deutschland von einem wesentlich höheren Anstieg ausgehen?
Freundliche Grüße
Tim Landgraf
20. Juni 2022
Hallo Herr Landgraf,
vielen Dank für Ihren Kommentar! Tatsächlich gehen wir in unseren Strompreisszenarien auch für Deutschland von einem Anstieg der Bruttostromnachfrage von ca. 33 % bis 2050 aus, also vergleichbar mit dem europäischen Durchschnitt. Dabei lässt sich dieser Anstieg in vollem Umfang auf die flexible Stromnachfrage zurückführen (u.a. im Bereich von E-Mobilität oder Elektrolyse), die „inflexible“ Nachfrage nimmt im Vergleich zu heute leicht ab. Natürlich ist die Entwicklung gerade dieses flexiblen Anteils der Nachfrage bis 2050 einer gewissen Unsicherheit unterworfen und stark davon abhängig, welche Annahmen man z.B. im Hinblick auf Klimaneutralität und Technologiepfade macht. So können in Studien, die von einer starken Elektrifizierung des Verkehrs- und Gebäudesektors ausgehen, deutlich höhere Stromverbräuche auftreten als in unseren Szenarien.
Viele Grüße
Ihr Team von Energy Brainpool
1. März 2023
Strom wird leider immer weiter steigen;(
Elian
2. März 2023
Hallo Elian,
vielen Dank für Ihre Meinung und Ihr Interesse an unserem Blog.
Viele Grüße
Das Team von Energy Brainpool