Neue Kernkraftwerke mit einer Gesamtleistung von 15,6 GW sind in Polen, der Slowakei, Tschechien und Ungarn (Visegrád-Gruppe „V4“) geplant. Sie sollen die Versorgung sichern und gleichzeitig unabhängiger machen von fossilen Importen. Kernenergiegegner argumentieren gegen die Pläne anhand sicherheitstechnischer Bedenken sowie negativer Umweltauswirkungen. Energy Brainpool nimmt in einer aktuellen Studie im Auftrag von Greenpeace Energy eG die energiewirtschaftliche Perspektive unter die Lupe.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis: Ein Kraftwerkssystem aus steuerbaren erneuerbaren Energien (seE) stellt ab 2027 zu Kosten von maximal 120 EUR/MWh eine wettbewerbsfähige Alternative zur Obergrenze aktueller Kernkraftprojekte.

Wie kann ein System aus Steuerbaren-Erneuerbaren-Energien-Kraftwerken kostenoptimiert gestaltet sein? Und wie kann es gleichzeitig sicher versorgen und unabhängig machen von fossilen Importen? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt der Untersuchung. Um jederzeit die Stromnachfrage decken zu können, besteht ein solches Kraftwerkssystem nicht nur aus Wind- und Solaranlagen, sondern auch aus Elektrolyseuren (inkl. Methanisierung) und Gaskraftwerken. In Verbindung mit einer nationenübergreifenden Lösung als Visegrád-Gruppe kann das seE-Kraftwerkskonzept in vielen Fällen ab 2027 Strom günstiger bereitstellen als Kernreaktoren .

Doch der Reihe nach: Was kostet Kernkraftwerksstrom, wie muss ein seE-Kraftwerkssystem genau aussehen und wovon hängen dessen Kosten ab?

Wie hoch sind die Stromgestehungskosten von Kernkraftwerken tatsächlich?

Die Analysten betrachten die gesamten Kosten und zeigen in der Studie eine Bandbreite zwischen 87 und 126 EUR2016/MWh aktueller europäischer Kernkraftprojekte auf. Dabei werden der Ist-Wert von Flamanville III mit 126 EUR2016/MWh und die staatliche Förderung für Hinkley Point C mit 119 EUR2016/MWh bewertet. Gemäß Plan- und Literaturwerten liegen die Kosten bei lediglich 55 bis 80 EUR2016/MWh.

Die Gesamtkosten je erzeugter Megawattstunde aus einem Kernkraftwerk berechnen sich aus zwei Komponenten: den Kapitalkosten (CAPEX) durch die hohe Anfangsinvestition auf der einen Seite (links in Abbildung 1) sowie die deutlich geringeren Betriebs-und Wartungskosten auf der anderen. Die Spannweite der Kapitalkosten ist getrieben durch die geplanten/tatsächlichen CAPEX und die Finanzierungsstruktur, in die Renditeerwartungen sowie Risikoaufschläge bei Bau und Betrieb eingehen. Hier variieren die Fixkosten aus der Anfangsinvestition zwischen 38 und 100 EUR2016/MWh. Dies erklärt sich aus der Bandbreite der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (WACC) [1]zwischen 7 und 10 Prozent einerseits und aus der hohen Divergenz der Investitionskosten in der Literatur und aktuellen Plan- sowie Ist-Werten europäischer Kernkraftprojekte.  Während der inflationsbereinigte Maximalwert der CAPEX aus der untersuchten Literatur zu Kosten von 54 EUR2016/MWh führt, ergibt sich aus dem aktuellen Ist-Wert der CAPEX vom französischen Neubauprojekt Flamanville III bei einem WACC von 10 Prozent ein Sockel für Kapitalkosten von 100 EUR2016/MWh. Hinzu kommen dann noch die Betriebs- und Wartungskosten in Höhe von 17 bis 25 EUR2016/MWh.
Mit anderen Worten: Ist das Kernkraftwerk erstmal gebaut, gehört es zu den günstigsten Erzeugungstechnologien. Mit den Kapitalkosten aus der Anfangsinvestition ergeben sich jedoch sehr hohe Stromgestehungskosten.

 

Kostenkomponenten von Kernkraftwerken in der Bandbreite aktueller europäischer Kernkraftprojekte und einer Literaturrecherche bezogen auf 6.500 Vollbenutzungsstunden und 50 Jahre Lebensdauer (Quelle: Energy Brainpool)

Abbildung 1: Kostenkomponenten von Kernkraftwerken in der Bandbreite aktueller europäischer Kernkraftprojekte und einer Literaturrecherche bezogen auf 6.500 Vollbenutzungsstunden und 50 Jahre Lebensdauer (Quelle: Energy Brainpool)

Wie funktioniert ein Steuerbares-Erneuerbare-Energien-Kraftwerk und was kostet es?

Eine Alternative für die Kernkraftprojekte in den V4-Staaten stellt ein Steuerbares-Erneuerbare-Energien-Kraftwerk dar. Es bsteht aus fluktuierenden erneuerbaren Energien (feE) wie Wind und Photovoltaik einerseits und Elektrolyseuren mit Methanisierung und Gaskraftwerken für die Steuerbarkeit andererseits. Es produziert Strom – bei gleicher Versorgungssicherheit, hoher Energieunabhängigkeit und minimaler Klimaeinwirkung. Dabei werden die Überschüsse aus der Erzeugung feE mithilfe des Elektrolyseverfahrens und einer anschließenden Anreicherung des abgespaltenen Wasserstoffs mit Kohlenstoffdioxid genutzt, um synthetisches Gas herzustellen. Dieses wird in das Gasnetz eingespeist oder in Gasspeichern gespeichert. Kann die direkte Nutzung des feE-Stroms die Stromnachfrage nicht decken, stehen verschiedene Gaskraftwerkstechnologien zur Verfügung, die den Strom bedarfsgerecht bereitstellen.

Wie sind die Gesamtkosten des seE-Kraftwerks? Selbst bei den derzeit teuren Finanzierungsbedingungen erneuerbarer Energien und ohne eine gemeinsame Optimierung der Visegrád-Staaten untereinander sind die Kosten mit denen der Kernkraftwerke vergleichbar. In Polen liegen sie bei etwa 112 EUR/MWh, in Tschechien bei 119 EUR/MWh und in Ungarn bei 129 EUR/MWh. In der Slowakei ist das Potenzial hingegen noch unklar. Da es noch wenige Erfahrungen mit der Windkraft gibt, zeigen erste Analysen hohe Kosten von 167 EUR/MWh durch schlechte Windverhältnisse.

Deutlich niedriger sind die durchschnittlichen Stromgestehungskosten für ein solches Kraftwerkssystem, das über die Visegrád-Gruppe verteilt Überschussstrom in Elektrolysegas umwandelt und über das europäische Gasnetz in den Staaten nach Bedarf bilanziell verteilt. In diesem Fall liegen die Kosten unter Annahme von zum Teil sinkenden einheitlichen Finanzierungsbedingungen in den Ländern 2027 bei 120 EUR/MWh und 2035 bei 100 EUR/MWh.

Ergebnisse der Optimierung für die einzelnen Staaten sowie als Visegrád-Gruppe für zwei Betrachtungsjahre [Quelle: eigene Berechnung im April 2018] *) Aufgrund sehr begrenzter Erfahrungen mit Windkraft in der Slowakei ist das tatsächliche Windpotenzial noch nicht hinreichend untersucht, in diesen Berechnungen ist ein sehr niedriges Potenzial angenommen.

Abbildung 2: Ergebnisse der Optimierung für die einzelnen Staaten sowie als Visegrád-Gruppe für zwei Betrachtungsjahre [Quelle: eigene Berechnung im April 2018] *) Aufgrund sehr begrenzter Erfahrungen mit Windkraft in der Slowakei ist das tatsächliche Windpotenzial noch nicht hinreichend untersucht, in diesen Berechnungen ist ein sehr niedriges Potenzial angenommen.

Welche Einflussfaktoren bestimmen die Gesamtkosten eines seE-Kraftwerks?

Damit ein seE-Kraftwerk wirtschaftlich optimiert werden kann, müssen die einzelnen Komponenten unter allen Kostenpunkten verbessert werden. Das nationale Wind- und Solarpotenzial, aber auch die Investitionsbedingungen und technischen Parameter beeinflussen diese Dimensionierung. Dabei setzen sich die Gesamtkosten in EUR/MWh des seE-Kraftwerks aus zwei Kostenteilen zusammen:

Zum Einen werden die minimalen Stromgestehungskosten in EUR/MWh der feE durch unterschiedliche Verhältnisse an installierter Leistung von PV sowie Wind errechnet. Die Analysten berücksichtigen hier das nationale, stündliche Wind- und Solarpotenzial sowie die jeweiligen Technologiekosten. Dabei zeigt die Studie einen Anteil von 70-80 Prozent an Wind Onshore als gesamtkostenoptimal auf. Das liegt nicht etwa an besonders niedrigen Windstromgestehungskosten, denn diejenigen der PV sind in etwa gleich hoch. Zum Teil hat hier sogar PV die Nase vorn. Vielmehr führt der genannte Mix aus Wind und PV zu einem kostenoptimalen direkten Stromverbrauch ohne die effizienzmindernde Zwischenspeicherung in Elektrolysegas. Die Stromgestehungskosten des fluktuierenden Stroms liegen zwischen 73 bis 90 EUR/MWh. Zum Vergleich: Wind- und PV-Strom wird in Deutschland gemäß den aktuellen Auktionsergebnissen mit 40 bis 50 EUR/MWh gefördert, also deutlich günstiger. Diese Höhe der Werte erklärt sich aus den aktuell schlechten Finanzierungsbedingungen der V4-Staaten.

Zum Anderen werden die Zusatzkosten für die Steuerbarkeit in EUR/MWh durch eine Variation der optimalen Elektrolyseurleistung in Megawatt errechnet und durch Ermittlung einer kostenoptimalen Zusammensetzung der Gaskraftwerksleistung. Diese sind stark abhängig von der ermittelten Kostendegression von Elektrolyseuren und des Wirkungsgrades, der inklusive Methanisierung mit 69 Prozent angenommen wurde. Zudem wird in der Studie erwartet, dass sich die spezifischen Kosten in EUR/MW pro Jahr im Zeitraum von 2027 auf 2035 um 55 Prozent reduzieren.

Was sind konkrete Schritte, um das seE-Kraftwerk politisch umzusetzen?

Das seE-Kraftwerkskonzepts kann erfolgreich umgesetzt werden, wenn die jeweiligen Gesetzgeber die regulatorischen Rahmenbedingungen zum Zubau von feE anpassen sowie kontinuierlich in die Elektrolysetechnologie investieren. Letztere muss Schritt für Schritt für die angenommene Kostendegression in die industrielle Serienfertigung überführt und technisch weiterentwickelt werden. Bislang ist der Ausbau von feE in Süd-Osteuropa durch hohe Kapitalkosten für Projektierer nicht wirtschaftlich. In einem Impulspapier schlägt Agora Energiewende [2] ein Vertrags-Konzept für die verschiedenen Akteure vor. Dazu zählen die EU-Komission, die Mitgliedststaaten und die Projektierer. Ziel ist es, Planungssicherheit für Investitionen in feE zu schaffen. Zudem hat die EU-Kommission angekündigt, die Speicherforschung stärker zu fördern [3], zu der die Herstellung von synthetischem, regenerativem Gas durch Elektrolyseure zählt. Weiterhin kann die vorhandene Netzanbindung sowie die verfügbar stehende Fläche von Kernkraftwerksstandorten für den Ausbau von feE genutzt werden. Das Gasnetz sollte erhalten und gegebenenfalls modernisiert werden. Ein Beispiel für die Weiternutzung vorhandener Netzanbindung ist Frankreich. Dort soll am Standort des Kernkraftwerkes Fessenheim bis Ende 2018 eine Ausschreibung von 300 MW für PV durchgeführt werden[4].

Energy Brainpool hat in der Studie die Stromgestehungskosten des seE-Kraftwerks zu 100 bis 120 EUR/MWh für die Visegrád-Gruppe errechnet. Bedingung dafür ist nicht nur, die Investitionsbedingungen in den einzelnen Staaten anzugleichen und zu verbessern, sondern auch die einzelnen Systemkomponenten gemeinsam und koordiniert in der V4-Gruppe auszubauen und einen gemeinsamen Binnenmarkt für Gas zu schaffen.

Die Studie im Ganzen finden Sie unter: https://www.energybrainpool.com/services/studienverzeichnis.html

Co-Author:
Philipp Heidinger (Junior Expert)

[1] WACC (real) bilden gewichtete Zinssätze ab, die sich aus Zinssätzen für Fremdkapital, Zinssätzen für das Eigenkapital in Abhängigkeit der erwarteten Rendite und dem Inflationssatz errechnen. Mit Ihrer Hilfe werden langfristige Investitionen mit zukünftigen Zahlungsströmen auf jährliche Werte umgerechnet und damit werden so vergleichbar.

[2] Quelle: Agora Energiewende

[3] energate messenger vom 13.04.2018

[4] energate messenger vom 18.04.2018