Die Bundesregierung hat in 2019 erste Maßnahmen des Klimapakets auf den Weg gebracht und plant die Umsetzung in 2020 fortzusetzen. Ob Sektorenkopplung, EE-Ausbau oder CO2-Bepreisung – in unserem White Paper haben wir die Auswirkungen auf den Strommarkt und Energieversorger geprüft. Dieser Beitrag liefert einen Überblick über zentrale Erkenntnisse.
Erreichung der Klimaziele 2030: Welche Rolle spielen Nachfrageentwicklung und CO2-Preise?
Ziel 1: 65 Prozent Erneuerbare-Energien-Anteil am Bruttostromverbrauch
Um dieses Ziel mithilfe der im Klimapaket enthaltenen Ausbauziele für die Wind- und Solarenergie zu erreichen, geht die Bundesregierung in 2030 von einer Stromnachfrage von rund 590 TWh aus und beruft sich auf Annahmen des „Szenario B“ des Netzentwicklungsplans 2030.
Seien es abweichende Prognosen zur künftigen Energieeffizienz oder eine stärker fortgeschrittene Sektorenkopplung – viele Marktakteure gehen für 2030 von einer deutlich höheren Nachfrage aus.
So prognostiziert der BEE 740 TWh und das EWI der Uni Köln errechnet gar 748 TWh (BEE 2019; EWI 2020). Auch wir bei Energy Brainpool liegen mit unserer Einschätzung von 690 TWh deutlich über den Annahmen der Bundesregierung.
Kombiniert man diese Annahme mit den Ausbauzielen des Klimapakets in einem „High Demand“-Szenario, so würde Deutschland das 65 %-Ziel um 10 Prozentpunkte verfehlen. Fazit: Fortschritte bei der Energieeffizienz sind im Auge zu behalten, da ein zu spätes Anreizen eines erhöhten EE-Ausbaus zur Zielverfehlung führt.
Ziel 2: Reduktion energiewirtschaftlicher CO2-Emissionen auf 175 bis 183 Mt bis 2030
Über das 65 %-Ziel hinaus wurde im Rahmen des deutschen Klimaschutzplans 2050 für den Sektor Energiewirtschaft das oben genannte CO2-Reduktionsziel festgelegt. Mithilfe einer Szenariomodellierung haben wir das Klimapaket auf dieses Ziel hin geprüft – einmal mit CO2-Mindestpreis von 55 EUR/t ab Ende 2025 im Stromsektor, und einmal ohne.
Der Hintergrund: Aktuell ist in Deutschland ein solcher Mindestpreis für die Sektoren Verkehr und Wärme vorgesehen, langfristig soll er aber in das EU ETS überführt werden, welches den Stromsektor betrifft.
Beim Blick auf Abbildung 1 wird deutlich: Das CO2-Ziel wird nur im Szenario mit Mindestpreis erreicht.
Interessant ist: Erreichen wir einen EE-Anteil von 65 % und führen einen CO2-Mindestpreis ein, sinkt die CO2-Intensität von Elektrolyseuren mit Wirkungsgrad von 75 % auf 0,175 t/MWhth. Wird Wasserstoff, wie heute üblich, mittels Dampfreformierung bei einem Wirkungsgrad von 70 % aus Erdgas produziert, liegt die CO2-Last mit 0,202 t/MWhth darüber.
Über die Nutzung zur Vermeidung der Abregelung erneuerbarer Energien hinaus könnten Elektrolyseure also schon ab 2030 einen Beitrag zum Klimaschutz in Industrie, Wärme und Verkehr leisten.
Versorgungssicherheit: Aus Atom und Kohle mach Gas?
Ungeachtet aktueller Diskussionen über die Details der Umsetzung des Kohleausstiegs wird sich die installierte Leistung an Kohle- und Kernkraftwerken bis 2030 deutlich reduzieren. Verfolgt man den empfohlenen Ausstiegspfad der Kohlekommission, bedeutet dies eine Reduktion von heute 53,4 GW auf 17 GW (- 36,4 GW).
Wenngleich dieser Kapazitätsverlust teilweise durch den Ausbau erneuerbarer Energien aufgefangen werden kann, so wird ein Teil durch zusätzliche Gaskapazitäten ersetzt werden müssen.
Besonders in Anbetracht der zu erwartenden europäischen Kraftwerksparkentwicklung, die sich aus den nationalen Energie- und Klimaplänen ergibt, rechnen wir für den deutschen Markt zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit mit rund 50,5 GW an Gaskraftwerken in 2030. Dies entspricht einem Nettozuwachs von 20,7 GW im Vergleich zu heute (vgl. Abbildung 2).
Wie gelingt es nun, diese zusätzlichen Gaskapazitäten bis 2030 an den Markt zu bekommen?
Eine der Möglichkeiten ist es, auf staatliche Anreize zu verzichten und auf Investitionen in neue GuD-Anlagen zu setzen. Diese müssten durch Preissignale des Energy-Only-Markts angereizt werden. Durch eine Szenarioanalyse der zukünftig möglichen Deckungsbeiträge solcher Kraftwerke haben wir jedoch festgestellt, dass derartige Investitionen nicht im erforderlichen Umfang zu erwarten sind.
Grund ist der voranschreitende Ausbau erneuerbarer Energien, sodass auch Kohleausstieg, Sektorkopplung und CO2-Mindestpreis den langfristigen Abwärtstrend der durchschnittlichen Deckungsbeiträge von GuD-Anlagen nicht aufhalten, sondern lediglich verlangsamen können.
Bei Erreichung der Zielwerte für den EE-Anteil am Bruttostromverbrauch setzt dieser Trend bereits in allen betrachteten Szenarien bereits Ende der 2020er Jahre ein. Abbildung 3 veranschaulicht dies exemplarisch, die Analyse finden Sie hier.
Die Bundesregierung scheint sich dieser Problematik bewusst und plant im Rahmen des Kohleausstiegsgesetzes auch eine KWKG-Novelle, die unter anderem zusätzliche Gaskapazitäten anreizen soll. So verlängert der Gesetzgeber die Förderung für KWK-Anlagen , gestaltet den Kohleersatzbonus neu und will einen Südbonus für süddeutsche KWK-Anlagen schaffen.
Bei genauerem Blick wird jedoch deutlich, dass diese Maßnahmen bisher unzureichend sind, um eine ausreichende Erhöhung von Gaskapazitäten bis 2030 sicherzustellen. So ist noch kein KWK-Ausschreibungspfad über 2022 hinaus definiert und die bisherigen Ausschreibungsmengen von jährlich 200 MW eher niedrig.
Auch der vorgesehene Kohleersatzbonus von 180 EUR/kW ersetzter KWK-Leistung wird von Branchenvertretern als zu niedrig abgetan, um Umrüstungen zu finanzieren.1 Der Vergleich mit den von einer Shell-Studie abgeleiteten Umbaukosten in Höhe von 400 bis 2000 EUR/kW bestätigt diese Forderungen.2
Die Auswirkungen des geplanten Südbonus sind eher schwierig abzuschätzen, da der Umfang des Bonus von 60 EUR/kW eher auf die Überdimensionierung des Stromteils von geplanten oder Bestandsanlagen abzuzielen scheint.
Fazit: Erreichen Deutschland und seine Nachbarn ihre Klimaziele, sind umfangreiche Gaskapazitäten für den Übergang unvermeidlich und bis 2030 zuzubauen. Derzeit diskutiert die Branche einige Vorschläge, Ergebnis offen.
Dabei muss es auch darum gehen, den Anlagenbetreibern auch bei fortschreitender Defossilisierung eine langfristige Perspektive zu geben (z. B. Rückverstromung von grünem Gas aus Elektrolyseuren).
Zubauraten von Wind- und Solarenergie: Wie ist das zu schaffen?
Abbildung 4 zeigt den durchschnittlichen Ausbau an Wind- und PV-Leistung pro Jahr auf, der nötig ist um die Ausbauziele des Klimapakets bis 2030 zu erreichen.
Es wird schnell ersichtlich: Angesichts aktueller Akzeptanzprobleme bei Wind-Onshore hat man sich im Klimapaket auf sehr ambitionierte Ausbauraten bei der Solarenergie und Wind-Offshore geeinigt, mit durchschnittlich 4,5 bzw. 1,1 GW/a. Für Wind-Onshore ist demnach ein reduzierter Nettoausbaupfad von 1,6 GW/a vorgesehen.
Wind onshore
Doch selbst der Plan eines relativ moderaten Nettozubaus von Windanlagen an Land droht zu scheitern: Geht man von einer durchschnittlichen Betriebslaufzeit von 25 Jahren für Altanlagen aus, so ist angesichts von 16,7 GW an Ü20-Windanlagen bis 2025 mit einem weitaus höheren Bruttozubau zu rechnen, um das Ausbauziel zu erreichen.
Ob durch Repowering oder Anlagenzubau an neuen Standorten – der erforderliche Bruttozubau steigt auf geschätzte 3,1 GW/a an (vgl. Abbildung 7).
Wirft man einen Blick auf die Entwicklung über 2030 hinaus, wird sich dieses Problem angesichts der hohen historischen Zubauzahlen noch deutlich verstärken – eine nachhaltige Repowering-Strategie ist daher unumgänglich.
Kurzfristig kann die Auflösung des Genehmigungsstaus helfen (in 2019 rund 11 GW laut BWE)3, um eine Überdeckung der Ausschreibungen auch für erhöhte Ausschreibungs-mengen sicherzustellen.
Wind offshore
Kein Genehmigungsstau, aber ein Projektemangel droht hingegen bei der-Offshore-Windkraft: So sind laut Branchenverbänden für den Zeitraum von 2020 bis 2022 keine nennenswerten Installationszahlen mehr zu erwarten, sobald die letzten Anlagen der aktuellen Ausbauphase im Laufe dieses Jahres fertiggestellt werden (IWR, 2020).
Die so entstehende Ausbaulücke wird den erforderlichen, jährlichen Nettozubau für die Folgejahre bis 2030 noch einmal erhöhen, soll das 20 GW-Ziel im-Offshore-Bereich und damit das 65 %-Ziel erreicht werden. Um die Ziele erreichen zu können, fordern Branchenvertreter als ersten Schritt unter anderem eine zeitnahe gesetzliche Verankerung des 20 GW-Ziels, um Planungssicherheit zu erhalten.
Photovoltaik
Entwarnung immerhin bei der Solarenergie: Neben der angekündigten Abschaffung des PV-Deckels sieht die Zukunft auch für große Freiflächenanlagen vielversprechend aus.
Vergleicht man in Abbildung 9 die Annahmen des Fraunhofer ISE zur zukünftigen Bandbreite der Stromgestehungskosten mit den erzielbaren Vermarktungserlösen aus unserer Klimapaket-Szenariomodellierung, so wird klar: Bereits in 2021 lohnt sich auch ungeförderter Zubau für manche Anlagen.
Ab 2025 gilt das auch für ein breiteres Spektrum an PV-Anlagen, ggf. also auch für kleinere Solarparks an weniger sonnigen Standorten.
Zusätzlich verbessern eine hohe Nachfrage oder ein hoher CO2-Preis die Erlössicherheit deutlich. Das könnte sich in geringeren Finanzierungs- und damit Zubaukosten niederschlagen.
Fazit: Es ist nachvollziehbar, auf hohe Zubauraten der PV-Industrie zu setzen. Ein CO2-Mindestpreis oder eine Stimulation der Ökostromnachfrage durch Mindestquoten würden dazu beitragen, einen solchen Ausbau im gewünschten Umfang zu erreichen und PV-Ausschreibungsmengen zu minimieren.
Selbst in diesem Fall bedrohen die aktuellen Probleme beim Windausbau jedoch ein Erreichen der Klimaziele für 2030, und müssen daher dringend angegangen werden.
Das ausführliche White Paper finden Sie zum kostenlosen Download auf unserer Webseite.
Hinweis: Einen Überblick über vereinbarte Ziele und Maßnahmen finden Sie hier.
Quellen:
1 VKU (2020): Kohleausstiegsgesetz bremst auf dem Weg in eine klimafreundliche Energieversorgung, https://www.vku.de/presse/pressemitteilungen/archiv-2020-pressemitteilungen/kohleausstiegsgesetz-bremst-auf-dem-weg-in-eine-klimafreundliche-energieversorgung/ [27.01.2020]
2 DBI und Shell (2017): Studie zur Umrüstbarkeit von kohlebefeuerten Kraftwerksanlagen auf Erdgas auf dem deutschen Energiemarkt, https://www.shell.de/medien/shell-presseinformationen/2017/use-of-natural-gas-in-coal-power-plants-a-realistic-option-for-climate-protection/_jcr_content/par/textimage_2f40.stream/1495112119432/23eb3525c746946 685bc1e04c857feb88e6ef842/be-umrustung-kohlekraftwerke-erdgas.pdf [23.01.2020]
3 Bundesverband Windenergie (2019): Halbjahreszahlen Windenergie an Land, https://www.wind-energie.de/presse/pressemitteilungen/detail/halbjahreszahlen-windenergie-an-land-historisch-niedriger-zubau-trotz-sehr-guter-wachstumsperspekti/ [27.01.2020]
10. Februar 2020
Super geschriebener und informativer Artikel :-). Eine sehr gute Aufstellung. In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen ?
12. Februar 2020
Sehr geehrter Herr Seidel,
vielen Dank für das positive Feedback!
Ihr Team von Energy Brainpool