Im zweiten Teil der Blogreihe vertiefen wir die Zusammenhänge zwischen der Corona-Pandemie und den Energiemärkten. Konkret blicken wir auf die möglichen mittelfristigen Folgen für die Frontjahre 2021 bis 2025 durch den Corona-Virus  und die Turbulenzen am Ölmarkt auf die Strommärkte Europas. Die Analyse haben wir mit dem Fundamentalmodell Power2Sim durchgeführt.

Autoren: Carlos Perez Linkenheil, Calvin Triems und Christopher Troost

Nachfrage- und  Angebotseinbruch stehen sich auf den Energiemärkten gegenüber. Mit drei verschiedenen Szenarien versuchen wir, die derzeitig wirkenden Einflussfaktoren voneinander zu separieren. Anschließend bewerten die Autoren die Auswirkungen auf die Strompreise, auf Emissionen und Vermarktungserlöse erneuerbarer Energien, sowie Verschiebungen in der Merit-Order.

Im ersten Artikel dieser zweiteiligen Blogreihe haben wir bereits eine Momentaufnahme zur aktuellen Situation dargestellt. Um einen mittelfristigen Ausblick geben zu können, ist es vorab wichtig, die geschehenen Ereignisse in einen Zusammenhang zu setzen.

Negative Vorzeichen schon vor Corona

Zunächst muss festgestellt werden, dass sich bereits seit Ende 2018 ein Abkühlen des globalen Wirtschaftswachstums abzeichnet. Überlagert wurde dies zudem von einer unterdurchschnittlichen Stromnachfrage. Diese resultiert aus dem milden Winter sowie einer zuletzt starken Einspeisung der erneuerbaren Energien. Dies führte bereits in Mitte Q1/2020 zu einem negativen Druck auf die Stromnachfrage und die Commodity-Märkte. Beide Wirkungskanäle werden durch die Corona-Krise nun zusätzlich negativ beeinflusst.

 Kausalität der aktuellen Strompreissituation, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 1: Kausalität der aktuellen Strompreissituation (Quelle: Energy Brainpool)

Die Nachfrageseite ist stark betroffen

Bei den Commodity-Märkten ist die Corona-Krise vor allem auf der Nachfrageseite zu spüren. Kurzfristig ist ein starker Nachfrageschock durch harte Maßnahmen zum Stopp der Ausbreitung des Virus zu beobachten. Währenddessen spielen mittel- bis langfristig vor allem Konjunktursorgen eine entscheidende Rolle.

Zudem ist es wichtig zu erkennen, dass der starke Preisverfall auch auf eine abrupte Angebotszunahme auf dem Ölmarkt zurückzuführen ist, die auf das Scheitern der OPEC+ Verhandlungen folgte. Beide Effekte gepaart verstärkten den Kurssturz der Commodities deutlich.

Auch der EUA-Markt (European Union Allowance) erlitt einen deutlichen Einbruch der Preise, der, neben der kurzfristigen Liquiditätsbeschaffung- durch den Verkauf von CO2-Zertifikaten, vor allem auf eine geringere Nachfrage zurückzuführen ist. Ähnlich gestaltet sich die Situation bei der Stromnachfrage. Das Herunterfahren ganzer Industrien senkt den Stromverbrauch unmittelbar. Was bedeuten die Auswirkungen der Corona-Krise für die mittelfristige Stromnachfrage? Hier steht vor allem die Frage im Raum, ob auf die Beendigung der Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Corona-Virus eine Rezession folgt und wie schwer diese ausfällt.

Die beiden wichtigsten Kenngrößen für eine mittelfristige Strompreisprognose sind also die Preiserwartung an die Commodities und die Entwicklung der Stromnachfrage über das Jahr 2020 hinaus.

Szenarioannahmen & Methodik

Um zwischen den Effekten dieser beiden Entwicklungen differenzieren zu können, rechnen wir im Folgenden mit den drei verschiedenen Szenarien “Reference”,Covid-19 Oil Crisis“ und “Recession”.

Annahmen und Datierungen der Szenariendaten (Quelle: Energy Brainpool), Corona-Epidemie, Energy Brainpool

Abbildung 2: Annahmen und Datierungen der Szenariendaten (Quelle: Energy Brainpool)

Szenario 1: Reference Case

Der “Reference Case” soll zunächst eine mögliche Situation ohne den Einfluss der Corona-Krise oder dem OPEC+ Dissens darstellen. Aufseiten der Commodities sind zwar die grundsätzlich negativen Signale einer abkühlenden Konjunktur eingepreist. Der Zeitpunkt der Ausgangssettlements liegt aber auf dem Jahresbeginn. Damit liegt er noch vor den ersten Reaktionen auf den neuartigen Virus in China – einem besonders für Kohle und Öl nicht unerheblichen Markt. Für die Stromnachfrage gehen wir über das Jahr 2020 hinaus von keiner Beeinträchtigung aus.

Szenario 2: Covid-19 – Oil Crisis

Das Szenario „Covid-19 – Oil Crisis“ dient uns als Zwischenszenario, um den Einfluss des Commodity-Preisverfalls auf die Strompreise von einem anhaltenden Stromnachfragerückgang isolieren zu können. Dazu nehmen wir mit den Ausgangssettlements sowohl den durch Covid-19 resultierenden kurzzeitigen Nachfragerückgang als auch den angebotsseitigen Ölpreisschock als Folge der gescheiterten OPEC+ Verhandlungen in unser Modell auf.

Beide Effekte, sowohl die Verwerfung der OPEC+ Staaten (09.03) als auch die Deklaration der WHO der Covid-19 Ausweitung als Pandemie (13.03) sind in dem Diagramm (Verweis Verlauf Commodities) sehr gut erkennbar. Die Stromnachfrage ab 2021 lassen wir unbeeinträchtigt.

Der Bundessachverständigenrat der Wirtschaftsweisen geht in seiner ersten Einschätzung  [1] in einem Basisszenario zwar von einem starken Einbruch der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr von -2.8 % aus, rechnet jedoch in 2021 mit einem Anstieg um +3,7 %. Übertragen wir diese Erholung auf die Stromnachfrage, kann man diesbezüglich von keiner Beeinträchtigung über das Jahr 2020 hinaus ausgehen.

 Verlauf der Frontjahres-Futures normiert zum 31.12.2019, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 3: Verlauf der Frontjahres-Futures normiert zum 31.12.2019 (Quelle: ICE, EEX, PEGAS)

Szenario 3: Recession

Im dritten Szenario “Recession” legen wir in unserem Fundamentalmodell Power2Sim zusätzlich zu den gefallenen Commodity-Preisen einen Rückgang der Stromnachfrage über das Jahr 2020 hinaus zugrunde. Dieses Szenario dient einer Worst-Case-Abschätzung aus aktueller Sicht, bei dem eine Rezession für die Jahre 2021 und 2022 angenommen wird.

Entscheidende Kenngrößen sind dabei die Intensität des Konjunktureinbruchs und dessen Durchschlagskraft auf die Strommärkte, die sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nur schwer konkret beziffern lassen.

Im vorliegenden Recession-Szenario gehen wir in den Jahren 2021 und 2022 von einer Reduktion der Stromnachfrage aus. Dies entspricht dem Rückgang der Stromnachfrage im Jahr 2009 gegenüber der Jahre 2008 und 2007. Eine vollständige Erholung wird in diesem Szenario erst für das Jahr 2024 modelliert.

Rückgang der Stromnachfrage, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 4: Rückgang der Stromnachfrage in ausgewählten EU-Staaten (Quelle: Energy Brainpool)

Szenarioergebnisse und Schlussfolgerungen

Die oben beschriebenen Veränderungen auf den Commodity-Märkten verändern die Reihenfolge der Kraftwerke in der Merit-Order, welche durch deren kurzfristigen Grenzkosten bestimmt wird. Abbildung 5 zeigt die Effekte anhand des fossilen deutschen Kraftwerksparkes.

Trotz des starken Verfalles der CO2-Preise in den Szenarien “Covid-19 – Oil Crisis” und “Recession” gegenüber des “Reference”-Szenarios stehen die GuD-Kraftwerke in den aktuelleren Szenarien (Covid-19 und Recession) weiter vorne in der Merit-Order als im Szenario Reference-Case. Grund hierfür sind insbesondere die ebenfalls stark gefallenen Gaspreise und nur sehr mäßig rückläufigen Steinkohlepreise. Dies führt trotz niedriger CO2-Preise aktuell zu einem Vorteil der Gaskraftwerke in der Merit-Order.

Merit-Order-Vergleich zwischen den Szenarien "Reference" und "Covid-19-Oil-Crisis", Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 5: Merit-Order-Vergleich zwischen den Szenarien „Reference“ und „Covid-19-Oil-Crisis“ (Quelle: Energy Brainpool)

Das in Abbildung 5 dargestellte Phänomen lässt sich auch anhand der Emissionen in den unterschiedlichen Szenarien erkennen. Durch die kurzfristig bessere Stellung der Kohlekraftwerke im Szenario “Reference-Case” wird hier in den Jahren 2021 und 2022 mehr emittiert als in den anderen beiden Szenarien.

Im Szenario “Recession” sind die Emissionen durch die verringerte Stromnachfrage am geringsten. Erst in den Jahren 2023-2025 sinken die Emissionen des Szenarios “Reference-Case” unterhalb der anderen beiden Szenarien. Die Ursache hierfür ist der aktuell am Terminmarkt ansteigende Gaspreis in den Lieferjahren 2022–2024 gegenüber dem Frontjahr. Gleichzeitig stiegen die CO2-Preisen in denselben Jahren nur gering an.

Um die Emissionen niedrig zu halten, muss in den kommenden Jahren der CO2-Preis deutlich gegenüber dem heutigen erwarteten Niveau ansteigen. Faktoren, die für wieder ansteigende CO2-Preise sprechen, sind der erwartete Rebound der Industrie, die Aufhebung der aktuellen Flugbeschränkungen und die europäische Marktstabilitätsreserve. Letztere nimmt überschüssige Zertifikate aus dem Markt.

Unterschiede der Emissionen in Abhängigkeit der verschiedenen Szenarien, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 6: Unterschiede der Emissionen in Abhängigkeit der verschiedenen Szenarien in ausgewählten EU-Staaten (Quelle: Energy Brainpool)

Ein Blick auf die Entwicklung der Strompreise in unseren Szenarien bestätigt die zuvor angestellten Vermutungen. Sowohl im “Covid-19 – Oil Crisis”- als auch im “Recession”-Szenario ergibt sich ein deutlich geringeres Niveau der europäischen Durchschnittspreise. Besonders interessant ist dabei die relativ geringe Differenz der resultierenden Strompreise in den beiden Szenarien.

Die Verwerfung an den Commodity-Märkten führt zu einer Preisreduktion von 10,20 EUR/MWh im Jahr 2021. Ein rezessionsbedingter Einbruch der Stromnachfrage um circa 5 Prozent vergrößert die Verluste um (“nur”) 3,60 EUR/MWh. Mit dem Erholen der Stromnachfrage nähern sich die beiden Szenarien an und bewegen sich ab 2024 auf einem annähernd gleichen Niveau. Das erwartete Niveau aus dem “Reference Case” wird allerdings bis 2025 nicht erreicht.

 szenariobasierte Strompreisprognose, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 7: szenariobasierte Strompreisprognose in ausgewählten EU-Staaten (Quelle. Energy Brainpool)

Die Effekte auf die Vermarktungserlöse erneuerbarer Energien folgen denen der Strompreise. Demgegenüber liegen die Vermarktungserlöse, bedingt durch die Kannibalisierungseffekte der Erneuerbaren, auf einem niedrigeren Niveau als die Baseload-Preise.

 prognostizierte Vermarktungserlöse, Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 8: prognostizierte Vermarktungserlöse Wind in ausgewählten EU-Staaten (Quelle: Energy Brainpool)

 prognostizierte Vermarktungserlöse PV , Corona-Pandemie, Energy Brainpool

Abbildung 9: prognostizierte Vermarktungserlöse PV in ausgewählten EU-Staaten (Quelle: Energy Brainpool)

Es lässt sich folgern, dass insbesondere der Kurssturz auf den Öl-, EUA- und Gasmärkten zu tiefgreifenden Verwerfungen an den Strommärkten führen wird. Abhängig von der Schwere und Dauer einer folgenden Rezession und dem damit verbundenen Rückgang der Stromnachfrage wird dieser Effekt dementsprechend verstärkt werden. Bezüglich der Commodity Preise ist allerdings festzuhalten, dass sich alle Kurse momentan bereits auf historischen Tiefstständen befinden, womit das Potenzial für einen Aufschwung in den nächsten Monaten und Jahren deutlich höher liegt als für einen weiteren Preisverfall.

Weitere Details finden Sie in unseren Energy BrainReports. Eine allgemeine Einordnung der Entwicklung der Corona-Pandemie finden Sie im ersten Teil der Blogreihe.

Quelle:
[1] Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, „Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona-Pandemie“, 30.03.2020