Die hohen Preise an den Energiemärkten waren das Top-Thema der vergangenen Wochen. Die langfristige Entwicklung der Energiewirtschaft wird jedoch sehr viel mehr von den derzeit stattfindenden Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD, den Grünen und der FDP geprägt sein. Hier stellen wir die ersten Ergebnisse und potenzielle Konfliktpunkte der energie- und klimapolitischen Agenda der zukünftigen deutschen Bundesregierung vor.

Klimaschutzbericht 2021 zeigt große Lücke auf

Der aktuelle Berichtstand zum Klimaschutz und der Energiewende kann gut aus dem Klimaschutzbericht 2021 entnommen werden. Diesen hat das Bundeskabinett am 3. November 2021 mit Verzögerung verabschiedet. Der Bericht beinhaltet die erwartete Treibhausgasminderung durch Maßnahmen, die bis Mitte 2020 beschlossen wurden.

Trotz Kohleausstiegsgesetz und der Einführung eines nationalen Emissionshandels für den Wärme- und Verkehrsbereich würde Deutschland seine Klimaziele ohne weitere Anstrengungen verfehlen. Bei einem CO2-Preis von 60 EUR/Tonne im europäischen Emissionshandelssystem (EU EHS) wäre nur eine Minderung der Treibhausgasemissionen von 51 Prozent bis 2030 zu erreichen.

Unter Druck durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Frühjahr 2021 hat die Große Koalition das Klimaschutzgesetz verschärft – als einen ihrer letzten energie- und klimapolitischen Akzente. Konkret benennen sie eine vorgeschriebene Minderung der Treibhausgasemissionen von 65 Prozent bis 2030. Allerdings muss die neue Ampel-Koalition es stemmen, die neuen Ziele umzusetzen.

Starker Ausbau der erneuerbaren Energien

Die energie- und klimapolitischen Ziele sind ohne einen dramatischen Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zu erreichen. In ihrem Sondierungspapier von Mitte Oktober 2021 haben sich die drei Koalitionsparteien übergeordnete Ziele im Bereich des Ausbaus der Erneuerbaren gesetzt:

  • Planungs- und Genehmigungsverfahren sollen erheblich beschleunigt werden.
  • Es soll eine Solarpflicht gelten für die Dächer gewerblicher Neubauten sowie Anreize geben für mehr PV auf privaten Neubauten.
  • Zwei Prozent der Landesflächen sollen für die Nutzung von Windenergie an Land ausgewiesen werden.
  • Kommunen sollen finanziell besser an Windparks und größeren PV-Freiflächenanlagen beteiligt werden.
  • Die Kapazitäten für Windenergie auf See sollen erheblich gesteigert werden.

Konfliktpotenzial bietet besonders die Ausweisung neuer Flächen für Windparks an Land. Zwei Prozent der Bundesfläche werden als Flächenkulisse für den notwendigen Ausbau der Windenergie benötigt. Der jüngste Bericht des Bund-Länder-Kooperationsausschusses von Ende Oktober 2021 verdeutlicht, dass bundesweit derzeit erst knapp ein Prozent der Fläche rechtswirksam für die Windenergie ausgewiesen werden.

Bislang erreichen nur wenige Bundesländer hohe Ausweisungswerte. Währenddessen landen insbesondere Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen bei teilweise weit unter einem Prozent. Streit zwischen den Bundesländern um Flächenausweisungen ist hier vorprogrammiert. Abbildung 1 stellt die ausgewiesenen Flächen (teilweise noch nicht abgeschlossene Regionalplanung) der Bundesländer im Verhältnis ihrer Landesfläche dar.

Anteil der ausgewiesenen Fläche für Windenergie an Land nach Bundesland

Abbildung 1: Anteil der ausgewiesenen Fläche für Windenergie an Land nach Bundesland (Quelle: Energy Brainpool, 2021)

Kohleausstieg bis 2030?

Weiterhin strebt die neue Koalition im Bund einen beschleunigten Kohleausstieg an, idealerweise bis 2030, wie es im Sondierungspapier heißt. Dazu sollen die politischen Akteure noch in dieser Legislaturperiode das Kohleausstiegsgesetz erstmals überprüfen und nicht erst 2026. Als Voraussetzung für einen früheren Ausstieg werden der massive Ausbau von erneuerbaren Energien und auch neue Gaskraftwerke genannt. Letztere sollen schon Wasserstoff-betreibbar gebaut sein.

Auch bei einem früheren Kohleausstieg dürfte es zu Konflikten zwischen den betroffenen Bundesländern, dem Bund sowie Gewerkschaften und den Betreibern der Kohlekraftwerke kommen. Die Sondierungsparteien stellen daher auch vorgezogene oder beschleunigte Maßnahmen für die betroffenen Regionen in Aussicht.

Um den Verpflichtungen aus dem Klimaschutzgesetz nachzukommen, wird ein Ausstieg vor 2030 allerdings unumgänglich (hier finden Sie unsere Analyse dazu). Abbildung 2 zeigt die Modellierungsergebnisse eines vorgezogenen Kohleausstiegs im Vergleich zum Sektorziel der Energiewirtschaft im Klimaschutzgesetz.

Abbildung 2: Energiewirtschaftliche Emissionen 2030 nach unterschiedlichen Szenarien in Mio. Tonnen CO2; EE: Erneuerbare Energien, BK: Braunkohle

Abbildung 2: Energiewirtschaftliche Emissionen 2030 nach unterschiedlichen Szenarien in Mio. Tonnen CO2; EE: Erneuerbare Energien, BK: Braunkohle (Quelle: Energy Brainpool, 2021)

Bei weiter steigenden CO2-Zertifikatspreisen aufgrund der Verschärfung des europäischen Emissionshandels könnten einige der Kohlekraftwerke schon alleine aus wirtschaftlichen Gründen den Strommarkt verlassen.

Abschaffung der EEG-Umlage und neues Strommarktdesign?

Ein weiterer wichtiger Punkt im Sondierungspaket ist das zeitnahe Ende der EEG-Umlagen-Finanzierung über den Strompreis. Die EEG-Umlage für das Jahr 2022 liegt nach den Berechnungen der Übertragungsnetzbetreiber schon 43 Prozent niedriger als noch in 2021. Mit nur 3,723 ct/kWh ist dies der niedrigste Stand seit über zehn Jahren. Hierbei spielen die hohen Strompreise und damit die angestiegenen Marktwerte der erneuerbaren Energien in diesem Sommer und Herbst eine große Rolle. In Abbildung 3 ist die Entwicklung der EEG-Umlage seit 2011 zu sehen.

Abbildung 3: Entwicklung der EEG-Umlage 2011-2022 in ct/kWh

Abbildung 3: Entwicklung der EEG-Umlage 2011-2022 in ct/kWh (Quelle: Energy Brainpool, 2021)

Die weitere Finanzierung der EEG-Umlage wird voraussichtlich in Teilen über die Einnahmen aus dem nationalen Emissionshandelssystem (nEHS) erfolgen. Dieses soll auch an die Vorgaben des europäischen Fit-for-55-Pakets angepasst werden. Dies macht höhere Preise für die Zertifikate im nEHS wahrscheinlicher.

Auch die Entwicklung eines neuen Strommarktdesigns im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien wird im Sondierungspapier erwähnt. Konkreter werden die Koalitionsparteien hier jedoch nicht. Unterschiedliche Studien rechnen damit, dass bis 2030 eine notwendige zusätzliche Leistung von 15–25 GW an Gaskraftwerken benötigt wird. Bislang ist jedoch noch nicht klar, wie der Ausbau an gesicherter Leistung aus Gaskraftwerken durch den Markt erfolgen soll.

So könnte mit der Entwicklung eines neuen Strommarktdesigns also die Einführung eines Kapazitätsmarkts gemeint sein. Oder eben auch nur Änderungen der Vergütung von erneuerbaren Energien und deren weitere Hinführung in ein ungefördertes System durch PPAs.

Auch in diesem Punkt dürfte es zu Konflikten zwischen den Koalitionsparteien bezüglich der genauen Gestaltung des neuen Systems kommen. Gleichzeitig hat die EU-Kommission in dieser Frage immer ein Wörtchen mitzureden.

Positiver Ausblick für die Energiewirtschaft

Die Transformation der Energiewirtschaft wird sich in den kommenden Jahren beschleunigen. Das bereits beschlossene Klimaschutzgesetz in Deutschland, die neuen Regelungen im Fit-for-55 Paket der EU, steigende CO2-Preise und gegebenenfalls höhere Energiepreise sind einige der Treiber.

Zu den bisherigen Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen hat sich die Energiebranche vor allem positiv geäußert. Sollte es der neuen Koalition aus SPD, Grünen und FDP gelingen, Politik und Wirtschaft auf allen Ebenen aus dem Dornröschenschlaf der Energie- und Klimapolitik der vergangenen Jahre zu erwecken, könnte Deutschland bis 2030 tatsächlich wieder Vorreiter im Ausbau der Erneuerbaren und im Klimaschutz werden.