Der von der Europäischen Kommission am 11. Dezember 2019 vorgestellte europäische Green Deal setzt das Ziel, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Die EU hat mit der Ankündigung vom 14. Juli 2021 über eine Verschärfung der Klimaziele und Maßnahmen, erneut eine Vorreiterrolle unter den großen Treibhausgasemittenten eingenommen. Das ehrgeizige Programm sieht vor, die Emissionen bis 2030 drastisch zu senken.

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Nach den Entscheidungen auf EU-Ebene Mitte Juli 2021, folgt hier der zweite Teil unserer Serie zu den angedachten Veränderungen der europäischen Klimastrategie und den Auswirkungen auf das Emissionshandelssystem der EU (EU ETS). Dem „Fit for 55″-Maßnahmenpaket der Europäischen Kommission, mit welchem das Ziel der Treibhausgasminderung um 55 Prozent bis 2030 gegenüber dem Referenzjahr 1990 in greifbare Nähe kommen würde, stehen nun monatelange Verhandlungen zwischen den 27 EU-Ländern und dem Europäischen Parlament bevor.

Ein ambitioniertes Klimapaket

Das Maßnahmenpaket von über zehn bereichsübergreifenden Legislativvorschlägen umfasst acht Überarbeitungen bestehender Rechtsvorschriften und fünf ganz neue Vorschläge, wie Abbildung 1 (Quelle: EU-Kommission) darstellt.

Maßnahmen und Vorschläge des „Fit for 55“-Pakets (Quelle: EU-Kommission).

Abbildung 1: Maßnahmen und Vorschläge des „Fit for 55“-Pakets (Quelle: EU-Kommission).

Die ambitionierten Ziele sind zunächst offen formuliert und lassen dabei manche Maßnahmen zur konkreten Umsetzung der Ziele offen. Nachfolgend gehen wir auf die Änderungen am bestehenden Emissionshandelssystem (EU ETS), auf das geplante neue Emissionshandelssystem für Straßenverkehr und Gebäude, den umstrittenen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und den neuen CO2-Standards für Fahrzeuge ein.

Verschärfungen und Erweiterung des EU ETS

Das bisherige System des EU ETS deckt ca. 40 Prozent der Gesamtemissionen in der EU ab. Das ETS hat sich dabei als eines der effektivsten Instrumente der Dekarbonisierung erwiesen. Durch seine Ausweitung auf andere emissionsintensive Sektoren, wie den Flugverkehr, konnte die Effektivität weiter gesteigert werden. In der neu ausgearbeiteten Version des „Fit for 55“-Pakets soll der Anteil der EU-Emissionen innerhalb eines regulierten Handelssystems weiter erhöht werden. Beim EU-Emissionshandel für Energieerzeugung, Industrie, See- und Luftverkehr (EU ETS I) sollen die hierin erfassten Emissionen bis 2030 um 61 Prozent anstatt wie zuvor 43 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden. Neben der Energieerzeugung, Industrie und Luftfahrt wird nach den Vorschlägen der EU-Kommission nun auch die Schifffahrt ab 2026 dazukommen. Ein strengerer Reduktionsfaktor der Obergrenze an Emissionszertifikaten von 4,2 Prozent pro Jahr wurde ab 2024 festgelegt. Die Obergrenze soll einmalig um 117 Mio. CO2-Zertifikate abgesenkt werden.

Ähnlich dem nationalen deutschen Emissionshandelssystem soll ab 2026 auch ein ETS für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude eingeführt werden. Da die beiden Sektoren 22 Prozent bzw. 35 Prozent der EU-Emissionen ausmachen, ist ihre Dekarbonisierung für das Erreichen der Klimaziele der EU unerlässlich. Die im EU-Emissionshandel für Straßenverkehr und Gebäude (EU ETS II) erfassten Emissionen sollten bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zu 2005 reduziert werden. Ein Reduktionsfaktor der festgelegten Menge an jährlich auszugebenden Zertifikaten von 5,15 Prozent bis 5,43 Prozent pro Jahr wurde definiert.

Gleichzeitig sollen die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr weiterhin in der Climate-Action-Verordnung enthalten sein. Nationalstaaten müssen also weiterhin eigene Emissionsminderungsziele und deren Umsetzung in den beiden Sektoren vorantreiben. Abbildung 2 stellt die unterschiedlichen Minderungsziele im bestehenden und dem neuen EU ETS sowie nach der Climate-Action-Verordnung dar.

 

Emissionsminderungsziele bis 2030 in unterschiedlichen Maßnahmen und Sektoren (Quelle: Energy Brainpool).

Abbildung 2: Emissionsminderungsziele bis 2030 in unterschiedlichen Maßnahmen und Sektoren (Quelle: Energy Brainpool)

Im ETS für Verkehr und Gebäude soll es kein Grandfathering und somit keine freie Zuteilung von Zertifikaten geben. Ähnlich dem etablierten EU ETS soll eine Marktstabilitätsreserve (MSR) eingeführt werden, um ungenutzte Zertifikate aus dem Markt zu nehmen. Die Einnahmen aus dem neuen Zertifikatehandel sollen zu 25 Prozent in einen neuen Sozial-Klimafonds fließen. Die Gelder des Sozial-Klimafonds sollen sozial schwächere Bürger:innen und Unternehmen bei den Gebäudesanierungen und beim Kauf umweltfreundlicher Autos unterstützen. Des Weiteren leistet der Fonds vorübergehende Pauschalzahlungen an sozial schwache Haushalte, um den Anstieg der Preise für Kraftstoff und Heizöl zu kompensieren.

Das „Fit for 55“-Paket sieht ab 2023 auch einen EU-weiten Mindeststeuersatz basierend auf Energieinhalt für umweltschädliche Flugkraftstoffe wie Kerosin sowie für umweltschädliche Boots- und Schiffskraftstoffe vor. Ausgenommen davon sind reine Frachtflüge. Die Idee der Kerosin-Steuer auf innereuropäische Flüge ist vom Grundprinzip ein gutes Instrument effektiv gegen unnötige Flugreisen vorzugehen. Dabei werden jedoch Länder an den Rändern Europas benachteiligt, welche im Gegensatz zu den Ländern Mittel- und Westeuropas kein ausreichendes Infrastrukturnetz haben.

Umstritten: der CO2-Grenzausgleichsmechanismus

Ab dem Jahr 2023 soll mit einer Übergangsfrist von 3 Jahren bis 2026 ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus oder auch Carbon Border Adjustment Mechanism (kurz CBAM) eingeführt werden. Der CBAM entspricht einer Art Klimazoll und ist auf Produkte zu entrichten, die außerhalb der EU kohlenstoffintensiv hergestellt wurden. Dieser umstrittene Mechanismus soll gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen aus dem EU-Raum gegenüber Unternehmen aus anderen Wirtschaftsräumen sicherstellen. Ein etwaiger Wettbewerbsnachteil, den EU-Unternehmen durch die verschärften Klimaziele erleiden könnten, soll so kompensiert werden.

Durch das CBAM sollen emissionsintensive Importe, angelehnt an den Preis im europäischen Emissionshandel, besteuert werden. Zunächst soll der CBAM nur auf ausgewählte Güter angewendet werden, darunter Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel und Strom. Die importierenden Unternehmen sind dann verpflichtet, CBAM-Zertifikate zu kaufen, deren Preis, dem der Zertifikate im bestehenden EU ETS für Energieerzeugung und Industrie entsprechen soll. Der derzeitige Entwurf wird jedoch als zu bürokratisch kritisiert, da eine neue CBAM-Behörde eingerichtet werden muss.

Durch diesen CO2-Ausgleichsmechanismus soll „Carbon Leakage“ verhindert werden. „Carbon Leakage“ bezeichnet eine Situation, bei der es eine Verlagerung von Kohlenstoffdioxidemissionen in Drittstaaten außerhalb einer Region mit stärkeren Klimaambitionen, in diesem Fall der EU, gibt. Der CBAM kann als Druckmittel eingesetzt werden, um bisher weniger ambitionierte Länder und Unternehmen zu mehr Klimaschutz zu bewegen, sofern diese Ihre Waren in der EU absetzen möchten. Dieser Zwang hin zu mehr Klimaschutz ist jedoch schwer, in Einklang mit internationalen Handelsregeln der Welthandelsorganisation, zu konzipieren und zu administrieren. Es könnte gegebenenfalls zu Retorsionsmaßnahmen anderer Handelspartner kommen.

Gleichzeitig soll mit der Einführung des CBAM die bislang teilweise kostenfreie Zuteilung von Zertifikaten an die europäische Industrie graduell ersetzt werden. So soll die Anzahl an frei zugeteilten CO2-Zertifikaten von 2026 jährlich um 10 Prozent absinken und im Jahre 2035 komplett auszulaufen. Die Industrie behauptet, dass dies Unternehmen, die Produkte aus der EU exportieren, benachteiligen würde und zu einer Verlagerung von CO2-Emissionen führen könnte, da EU-Unternehmen dann den CO2-Preis im EU-Emissionshandelssystem zahlen müssten. Abbildung 3 zeigt den CBAM-Zeitplan.

 

Zeitplan des CO2-Grenzausgleichsmechanismus in der EU (Quelle: Energy Brainpool).

Abbildung 3: Zeitplan des CO2-Grenzausgleichsmechanismus in der EU (Quelle: Energy Brainpool).

 

Nullemissionsfahrzeuge bis 2035?

Die Nachricht, welche medial mit am meisten diskutiert wurde, ist das Ziel, die Emissionen von neuen Fahrzeugen bis 2030 um 55 Prozent und bis 2035 um 100 Prozent zu senken. Aufgrund technischer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten der Hersteller bleibt jedoch eine Hintertür: Die Regelung zu Nullemissionsfahrzeugen könnte auf 2040 verschoben werden. Generell bedeutet diese Maßnahme nach heutigem Stand eine verstärkte Elektrifizierung des Verkehrs und das Ende des Zeitalters der herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Einige Fahrzeughersteller planen schon bis 2030 komplett auf Verbrennungsmotoren zu verzichten oder zumindest all ihre Fahrzeuge auch in elektrischer Ausführung zu vertreiben.

Solch eine Elektrifizierung hat jedoch weitreichende Implikationen, um weiterhin Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Dies kann nur mit einem Ausbau von Flexibilitätsoptionen aufseiten des Stromnetzes und -markts sowie mit einem sehr starken Zubau an kohlenstofffreien Erzeugungsmöglichkeiten erreicht werden. Weiterhin müssen einheitliche Regelungen bezüglich des bidirektionalen Ladens erlassen werden, damit Elektroautos auch als Speicher dienen können. Damit Netzsicherheit und Versorgungssicherheit zukünftig gesichert sind, müssen Stromnetze intelligent werden, sodass diese je nach Einspeise- oder Lastsituation individuell reagieren können. Dies soll im Zusammenspiel von Smart Metern und der erforderlichen Kommunikationstechnologie geschehen, welche in jedem Haushalt installiert werden müssten.

Was sind die nächsten Schritte?

Zusammenfassend sind die Änderungen zum Emissionshandel im „Fit for 55“-Paket ein richtiger und wichtiger Schritt der EU in Richtung Treibhausgasneutralität. In Kombination mit den angehobenen Zielen in der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (40 Prozent am Endenergieverbrauch anstatt 32 Prozent bis 2030), der Energieeffizienz und auch einem Ziel von 310 Mio. Tonnen an jährlichen negativen Emissionen durch CO2-Senken im LULUCF-Sektor (Landnutzung, deren Änderungen und Forstwirtschaft) kann die EU damit eine progressive Vorreiterrolle bei der Reduktion der globalen CO2-Emissionen einnehmen (vgl. Abbildung 4, Quelle: EEA).

 

Historische Entwicklung europäischer CO2e-Emissionen und Ziel für 2030 (Quelle: EEA).

Abbildung 4: Historische Entwicklung europäischer CO2e-Emissionen und Ziel für 2030 (Quelle: EEA).

 

Allerdings handelt es sich bei dem Klimapaket noch nicht um verbindliche Gesetze. Der Zeitplan zum Inkrafttreten der finalen Regelungen Ende 2023 und Ende 2024 liegt trotz der klimapolitischen Notwendigkeit noch in einiger Zukunft, ist jedoch aufgrund der politischen Diskussionen ambitioniert. Um die neuen ambitionierten Ziele zu verwirklichen, dürfen die im neuen Klimapaket beschriebenen Leitlinien in den nun folgenden Verhandlungen und der Gesetzgebung in den einzelnen Mitgliedsstaaten nicht verwässert oder weiter zeitlich aufgeschoben werden.

So muss auch das Prinzip der Klimagerechtigkeit mehr im Fokus stehen, sodass ein klimaneutrales Europa für alle sozialen Schichten erreichbar ist. Schließlich bedarf es eines detaillierten Masterplans mit entsprechenden Regularien zur Förderung von Schlüsseltechnologien, mit denen die Klimaneutralität schrittweise und über die Ziele von 2030 umgesetzt werden können.

Mehr Informationen und Wissen über CO2-Handel, das Klimapaket und die Veränderungen am Markt erhalten Sie in unserem Live-Online-Training „Der europäische CO2-Markt: Ein- und Ausblicke“ am 21. und 22. September 2021.