Um die Versorgungssicherheit auf einem hohen Niveau halten zu können, muss zu jeder Zeit ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch im Energieversorgungssystem herrschen. Diese Form der Systemsicherheit liegt im Verantwortungsbereich der Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Damit die Netzbetreiber Leistungs- und Spannungsschwankungen im Übertragungsnetz kosteneffizient ausgleichen können, gibt es den Regelenergiemarkt.
Wie dieser funktioniert, erklären wir im ersten Teil der Serie „Regelenergiemarkt im Umbruch“. Näher betrachtet werden die wichtigsten Gründe für Änderungen am Design des Regelenergiemarktes. In den folgenden zwei Beiträgen der Blogserie steht der Weg des Umbruchs am Regelenergiemarkt von Oktober 2017 bis zur Implementierung des neuen Designs im Jahr 2020 im Fokus.
Warum ist ein Regelenergiemarkt notwendig?
Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNBs) haben die Aufgabe, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Energieversorgungssystems zu gewährleisten. Damit ihnen dies gelingt, muss zu jeder Zeit die Erzeugung dem Verbrauch entsprechen. Dabei stehen den ÜNBs zahlreiche Planungsinstrumente zur Verfügung, um im Vorfeld dafür Sorge zu tragen.
Kommt es zum Beispiel zu unvorhergesehenen Schwankungen innerhalb der Erzeugung, muss umgehend auf die Veränderung reagiert werden. Denn diese haben wiederum eine starke Fluktuation der Netzfrequenz sowie der Spannung zur Folge. Die Konsequenzen aus diesen Schwankungen reichen vom Flackern der Zimmerlampe bis hin zu großflächigen Stromausfällen.
Um einen einheitlichen Reaktionsraum innerhalb des europäischen Verbundsystems zu schaffen, wurde die akzeptable Schwankungsbreite durch Normwerte definiert. Das Spannungsband im Übertragungsnetz (380 kV) liegt zwischen 400 kV und 360 kV. Die Sollfrequenz liegt bei 50 Hz mit einer möglichen Schwankungsbreite von +/- 0,2 Hz.
Fällt beispielsweise ungeplant ein Kraftwerk aus, muss dem System zur Frequenzhaltung Erzeugungsleistung zur Verfügung gestellt werden. Außerdem dient diese Vorgehensweise auch dazu, um innerhalb des akzeptablen Schwankungsbereichs zu bleiben. Diese notwendige Erzeugungsleistung beschaffen die ÜNBs im Vorfeld am Regelleistungsmarkt und halten diese vor, um umgehend auf diese unvorhergesehenen Schwankungen reagieren zu können.
Demnach ist es die Aufgabe des Regelenergiemarkts, diese Regelleistung und auch die benötigte Energiemenge, also die Regelenergie oder –arbeit, kosteneffizient bereitzustellen. Der Regelenergiemarkt ist ein vom Day-Ahead- und Intradaymarkt abgetrenntes Ausschreibungsregime, welches durch die ÜNB aufgespannt ist (Quelle: ÜNB).
Allgemein bestehen drei verschiedene Märkte für die Regelenergie. In allen liberalisierten europäischen Ländern gibt es drei unterschiedliche Teilmärkte für die Regelenergie. Da sich diese aber in Details unterscheiden, gehen wir im Folgenden nur auf den deutschen Markt ein.
Die Grundprinzipien des deutschen Regelenergiemarkts
Der deutsche Regelenergiemarkt ist als Regelleistungsmarkt organisiert. Das heißt, die Teilnahme am Markt wird durch eine Leistungspreisauktion gesteuert. Grundsätzlich unterscheiden sich die in Deutschland bestehenden Regelleistungsarten im Abrufprinzip und der zeitlichen Aktivierung.
Folgerichtig bestimmen die ÜNBs die Bedarfe an den drei verschiedenen Arten: der Primärregelung (PRL), der Sekundärregelung (SRL) und der Minutenreserve bzw. Minutenregelung (MRL. Die Beschaffung der Regelleistungsarten erfolgt in drei verschiedenen Ausschreibungen. Die Teilnehmer der Ausschreibungen sind präqualifizierte Kraftwerksbetreiber, deren Erzeugungseinheiten bestimmten technischen Richtlinien genügen müssen (Quelle: ÜNB)
Innerhalb der drei Arten der Regelleistung wird noch in positive (Erhöhung der Erzeugungsleistung/Einspeisung ins Netz durch Erzeuger oder Reduktion der Stromabnahme durch Verbraucher) und negative Regelenergie (Reduktion der Erzeugungsleistung/Einspeisung ins Netz durch Erzeuger oder Erhöhung der Stromabnahme durch Verbraucher) unterschieden.
Vergütung der Regelleistungsarten
Zusätzlich gilt für alle drei Regelleistungsarten, dass die Vorhaltung der Regelleistung vergütet wird (Leistungspreis in EUR/MW). Bei der SRL und MRL wird, falls von den ÜNBs abgerufen, ebenfalls die geleistete Arbeit im positiven und negativen Sinne entlohnt (Arbeitspreis in EUR/MWh). Allerdings kann ein Teilnehmer im Arbeitspreisverfahren nur dann bezuschlagt werden, wenn er auch im Leistungspreisverfahren innerhalb der ausgeschriebenen Menge landet (Quelle: Next Kraftwerke).
Schließlich gilt für die Primärregelung eine automatische und vollständige Aktivierung innerhalb von 30 Sekunden. Diese muss dem System bis zu 15 Minuten zur Verfügung stehen. Die Aktivierung der Sekundärregelung erfolgt unmittelbar automatisch durch den betroffenen ÜNB innerhalb von maximal 5 Minuten.
Des Weiteren wird die Minutenreserve vollständig binnen 15 Minuten aktiviert für einen abzudeckenden Zeitraum von 15 Minuten bis zu mehreren Stunden. Aufgrund der kurzen Abrufzeit bei der PRL wird hier auf einen zusätzlichen Arbeitspreis verzichtet und somit nur die Vorhaltung der Leistung vergütet. Abbildung 1 stellt die Regelleistungsarten und deren Einsatz dar (Quelle: Energy Brainpool).
Warum ändert sich überhaupt etwas am Regelenergiemarkt?
Nun könnte man meinen, dass die vorhandenen drei Regelleistungsarten und die bestehenden Regelungen ausreichend sind, die Schwankungen der Netzfrequenz und Spannung unter Kontrolle zu halten. Grundsätzlich ist diese Annahme auch richtig.
Allerdings hat sich die Erzeugungsstruktur aufgrund des Ausbaus der erneuerbaren Energien, als auch die Vernetzung von Erzeugungsanlagen in den vergangenen zehn Jahren stark verändert. Die Teilnahme erneuerbarer Energien als vernetzte virtuelle Kraftwerke war durch bestehende Maßgaben, insbesondere durch wöchentliche Ausschreibungen kaum möglich. Um erneuerbare Energien auch in den Regelenergiemarkt zu integrieren, wurden Ausschreibungszeiträume und Zeitscheiben für die Leistungserbringung verkürzt.
Zudem ist es das Bestreben der Europäischen Kommission, standardisierte Regelungen für alle Länder zu entwickeln. Dies ermöglicht es, über Landesgrenzen hinweg Regelleistung auszuschreiben und somit Kosten für die Vorhaltung dieser Systemdienstleistung zu senken. Damit einhergehend sind Änderungen im Design des Regelenergiemarktes unvermeidbar (Quelle: EU Kommission).
Letztlich ist es die Aufgabe des Regelenergiemarkts, die Stabilität des Elektrizitätsversorgungssystems kostengünstig zu garantieren. Da es in der Vergangenheit manchmal zu sehr hohen Angebotspreisen der Teilnehmer in den Ausschreibungen kam, wurden ebenfalls Stimmen laut, das Design und die Regelungen zu überarbeiten.
Das ausschlaggebende Gebot
Am Markt für die SRL und MRL konnte lange Zeit technisch bedingt ein Höchstpreis von 99.999 EUR/MWh als Angebot für den Arbeitspreis abgegeben werden. Anbieter von Regelleistung nutzen dies oftmals aus und stellen „Fantasiegebote“ oder „Schnapszahlen“ wie 77.777 oder 88.888 EUR/MWh ein (Quelle: Energie Chronik).
Allerdings stehen diese Gebote am oberen Ende der Merit-Order der Arbeitspreise und werden normalerweise nicht abgerufen. In anderen Worten, es waren ausreichend niedrigere Gebote zur Deckung des Regelenergiebedarfs vorhanden.
Im Allgemeinen reizte das damals bestehende Design des Regelenergiemarktes an, relativ niedrige Gebote für die Leistungsvorhaltung abzugeben. Denn mit Bezuschlagung der Leistungskomponente wird gleichzeitig auch das abgegebene Gebot für den Arbeitspreis aufgenommen. Marktteilnehmer haben also bei genügend hohem Abruf von Regelenergie die Möglichkeit ihr niedriges Gebot für den Leistungspreis durch hohe Arbeitspreise zu „refinanzieren“.
Was geschah am 17. Oktober 2017?
Im Oktober vor zwei Jahren, genauer gesagt in den Abendstunden des 17. Oktober 2017 führte dieses System allerdings zu sehr hohen Kosten. Der höchste bezuschlagte Arbeitspreis der positiven MRL lag bei 77.777 EUR/MWh. Wobei das Mittel der Arbeitspreise von 19 bis 19.30 Uhr auf knapp 24.440 EUR/MWh stieg.
Abbildung 2 stellt die Arbeitspreise und die resultierenden Ausgleichsenergiepreise für den entsprechenden Zeitraum dar. Die letzteren steigen ebenfalls auf über 20.000 EUR/MWh an (Quelle: Energie Chronik).
Die Kosten der Arbeitspreise werden über die Ausgleichsenergiepreise auf die Bilanzkreisverantwortlichen umgelegt. Weitere Informationen zum Thema Ausgleichsenergiepreise finden Sie hier und hier.
Dementsprechend sah sich die Bundesnetzagentur genötigt, den Vorfall zu untersuchen. Die Behörde kam zum Schluss, dass an dem entsprechenden Tag keine Knappheit am Markt vorlag und ein solcher Preisausschlag daher nicht gerechtfertig sein kann (Quelle: Energate)
Im zweiten Teil der Serie „Der Regelenergiemarkt im Umbruch“ erfahren Sie, welche Änderungen der Regelenergiemarkt seit den Höchstpreisen im Oktober 2017 erfahren hat, wie die Teilnehmer darauf reagiert haben und welche Auswirkungen das neue Design auf die Preisbildung hatte.
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