Die potenzielle Aufnahme von Kernkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie hat die Gräben der europäischen Energie- und Klimapolitik erneut aufgerissen. Was genau regelt die EU-Taxonomie und welche Konditionen sind daran geknüpft, die beiden Technologien als nachhaltig einzustufen? In diesem Beitrag ordnen wir die Diskussionen rund um die EU-Taxonomie ein.

Die EU-Taxonomie kurz erklärt

Insbesondere für große Investoren, Banken und Versicherungen und vermehrt auch für andere Unternehmen gelten öffentliche Berichtspflichten zu ihren Aktivitäten bezüglich Nachhaltigkeit. Die Idee dahinter: Die EU-Taxonomie schafft Anreize für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft.

Sechs Umweltziele im Fokus der EU-Taxonomie

Seit mehreren Jahren erarbeiten Akteure aus verschiedenen Arbeitsgruppen und Institutionen auf EU-Ebene die EU-Taxonomie. Dazu zählen beispielsweise das EU Joint Research Center, die Technical Expert Group und die Sustainable Finance Platform. Generell müssen Aktivitäten auf die sechs Umweltziele der EU ausgerichtet sein, um in der Taxonomie aufgenommen zu werden. Diese Ziele sind:

  • Klimaschutz,
  • Anpassung an den Klimawandel,
  • nachhaltige Nutzung und Schutz der Wasser- und Meeresressourcen,
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  • Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzungen und
  • Schutz und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme.

Somit ist die Aufnahme einer Technologie in die EU-Taxonomie eine Möglichkeit für Geldgeber und Unternehmen, die Finanzierung oder Wirtschaftstätigkeit in dem entsprechenden Bereich als nachhaltig deklarieren zu können. Damit verbunden sind möglicherweise bessere private Finanzierungsbedingungen.

Vor allem hat die Taxonomie jedoch Signal- und Orientierungswirkung. Keinesfalls bedeutet die Taxonomie allgemeine staatliche oder EU-weite Finanzierungen oder Subventionen der aufgenommenen Technologien.

Was hat es mit der Aufnahme von Kernkraft und Erdgas auf sich?

Am 31. Dezember 2021 hat die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf an die Regierungen der Mitgliedsstaaten gesendet. In diesem Entwurf hat die Kommission auch die schon lange umstrittenen Technologien Kernkraft und Erdgas aufgenommen. Eine Version der Vorschläge ist hier zu finden.

So hat sich Frankreich speziell für die Aufnahme der Kernkraft stark gemacht, auch damit der französische Energiekonzern EDF in seine Kraftwerke investieren kann. Währenddessen wird auf deutscher Ebene (je nach Parteizugehörigkeit) die Aufnahme von Gaskraftwerken bevorzugt. Die Ampelkoalition ist hier jedoch nicht einer Meinung. Ebenso lehnt Bundesminister für Wirtschaft und Klima Robert Habeck den derzeitigen Vorschlag ab. Die Inklusion der beiden Energieformen wird von vielen auch als Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland angesehen.

Taxonomie und die Stromerzeugungsstruktur auf EU-Ebene

Um die Diskussion rund um die Taxonomie energiewirtschaftlich einzuordnen, betrachten wir nun die Stromerzeugungsstruktur auf EU-Ebene. In Abbildung 1 ist der europäische Strommix für 2021 zu sehen (Quelle: Energy-Charts).

EU-Stromerzeugung in 2021 nach Technologie in Prozent (Quelle: Energy Brainpool, Daten: Energy-Charts) EU-Taxonomie

Abbildung 1: EU-Stromerzeugung in 2021 nach Technologie in Prozent (Quelle: Energy Brainpool, Daten: Energy-Charts).

Es ist somit nicht verwunderlich, dass auf EU-Ebene die derzeit noch erzeugungsstärksten Technologien in den jeweiligen Ländern favorisiert werden. Die Eingruppierung von Kernkraft und Erdgas in die EU-Taxonomie wäre mit Bedingungen verbunden.

Die Regelungen zur Kernkraft

Auf europäischer Ebene muss beachtet werden, dass viele Staaten bereits vor der Taxonomie auf Kernkraft setzten, um Treibhausgase zu mindern. So ist der Ausbau nicht nur in Frankreich, sondern auch in Rumänien, Bulgarien, den Niederlanden, Polen und Estland geplant oder angedacht.

Abbildung 2 stellt den Anteil der Stromerzeugung aus Kernkraft in den 13 EU-Ländern mit Kernkraftwerken in 2020 dar. Klar ersichtlich ist der hohe Anteil von über 30 Prozent in vielen EU-Mitgliedsstaaten (Quelle: EU Kommission).

Anteil der Stromerzeugung aus Kernkraft in den 13 EU-Ländern mit Kernenergienutzung in 2020 (Quelle: Energy Brainpool, Daten: EU Kommission), EU Taxonomie

Abbildung 2: Anteil der Stromerzeugung aus Kernkraft in den 13 EU-Ländern mit Kernenergienutzung in 2020 (Quelle: Energy Brainpool, Daten: EU Kommission)

Laut dem Entwurf der EU-Kommission sollen Kernkraftwerke nur dann nachhaltig sein, wenn sie:

  • den neuesten technischen Standards entsprechen,
  • eine Baugenehmigung bis 2045 erhalten haben,
  • einen Fonds zur Endlagerung radioaktiver Stoffe und
  • einen Rückbaufonds vorweisen können.

Nur für Kernkraftwerke, deren Laufzeitverlängerung nach dem Jahr 2025 stattfindet, muss auch ein detaillierter Plan für die Endlagerung vorhanden sein (Quelle: Montel).

Was gilt für Gaskraftwerke?

Aus Erdgas werden etwa 17 Prozent des europäischen Stroms erzeugt. Auch hier sind die Unterschiede zwischen den Ländern groß. Einen besonders hohen Anteil an der Stromerzeugung haben Gaskraftwerke in Belgien, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Portugal und den Niederlanden – also vorrangig in Ländern, die keine hohe Erzeugung aus der Kernkraft haben.

Abbildung 3 macht dies deutlich. Sie zeigt den Stromanteil aus Gaskraftwerken in den 13 Ländern mit den höchsten Anteilen in 2020 (Quelle: CREA). Auch in Deutschland könnte nach dem Ausstieg aus der Kernkraft und bei beschleunigtem Kohleausstieg die Erzeugung in Gaskraftwerken zunehmen.

Anteil der Stromerzeugung aus Erdgas in den 13 EU-Ländern mit höchstem Erdgasanteil in 2020, EU Taxonomie

Abbildung 3: Anteil der Stromerzeugung aus Erdgas in den 13 EU-Ländern mit höchstem Erdgasanteil in 2020 (Quelle: Energy Brainpool, Daten: CREA)

Allgemein gilt für Gaskraftwerke, dass sie einen Treibhausgasausstoß von unter 100 g CO2/kWh haben müssen. Dieser Grenzwert kann wohl nur bei Abscheidung und Speicherung von CO2 erreicht werden.

Ausnahmen für Gaskraftwerke mit Baugenehmigung bis 2030

Für Gaskraftwerke die bis zum 31. Dezember 2030 eine Baugenehmigung erhalten, gelten weniger restriktive Regelungen, um als nachhaltig eingeordnet zu werden. Hierbei sind weiterhin zwei Möglichkeiten für Gaskraftwerke gegeben:

Beim ersten Weg müssen die direkten Treibhausgasemissionen unter 270 g CO2/kWh für die Energieerzeugung liegen. Hocheffiziente Kraftwärme-Kopplungs-Anlagen können diese Bedingung erfüllen. Bei normalen Gas- und Dampfkraftwerken liegt der Wert generell zwischen 300 und 350 g CO2/kWh.

Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass die Kraftwerke nicht mehr als durchschnittlich 550 kg CO2/kW pro Jahr über 20 Jahre ausstoßen dürfen. Dies würde dazu führen, dass die Kraftwerke die Anzahl ihrer Betriebsstunden im Jahr reduzieren müssten. Und sie dürften nur in Hochlastphasen oder bei geringer Erzeugung aus erneuerbaren Energien Strom produzieren.

Unabhängig von den beiden obigen Möglichkeiten müssen neue Gaskraftwerke, die bis Ende Dezember 2030 eine Genehmigung erhalten, nachweisen, dass

  • der erzeugte Strom noch nicht effizient durch erneuerbare Energien produziert werden kann,
  • das Gaskraftwerk eine bestehende Anlage mit höheren Emissionen ersetzt und der Emissionsrückgang pro kWh mindestens 55 Prozent beträgt,
  • die Anlage in der Lage ist, CO2-arme und erneuerbare Brennstoffe zu verfeuern und der Anteil dieser Brennstoffe ab 2026 mindestens 30 Prozent, ab 2030 mindestens 55 Prozent und ab 2036 sogar 100 Prozent ausmacht,
  • im entsprechenden Land ein Kohleausstieg geplant und in einem offiziellen Plan niedergeschrieben ist.

Wie geht es nun weiter?

Umweltverbände und auch einzelne Länder haben die neuen Regelungen schon stark kritisiert. Österreich möchte sogar eine Klage gegen die Aufnahme der beiden Energiequellen in die EU-Taxonomie einreichen. Energiewirtschaftliche Akteure bezweifeln, dass genügend CO2-arme oder erneuerbare Brennstoffe für die Gaskraftwerke zur Verfügung stehen (Quelle: Montel). Aber auch große Investoren und Geldgeber haben über die IIGCC (Institutional Investors Group on Climate Change) in einem offenen Brief an die EU die Inklusion von Gas in die Taxonomie angegriffen (Quelle: Euractiv).

Auf politischer Ebene wollte die EU Kommission den Entwurf der mit den Mitgliedsstaaten zuerst bis zum 12. Januar 2022 konsultieren. Die Abgeordneten haben diese Frist bis zum 21. Januar 2022 verlängert. Anschließend wird die Kommission den finalen Vorschlag vorstellen. Der Rat der Mitgliedsstaaten oder das EU-Parlament können innerhalb von vier Monaten noch ein Veto einlegen, bevor der Vorschlag für alle EU-Ländern bindend wird.

Bedingungen für ein Veto

Für ein Veto müssen sich allerdings mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament gegen den Entwurf stimmen. Auf Länderebene wird aufgrund der bisherigen und auch weiteren Abhängigkeit von den beiden Energieträgern (siehe Abbildung 2 und 3) nicht genug Widerstand kommen.

Hingegen gibt es im Parlament größere Widerstände gegen die Aufnahme von Kernkraft und Erdgas. Aber aufgrund der Machtverhältnisse ist ein Veto nicht das wahrscheinlichste Ergebnis. Ob die EU-Taxonomie also in Zukunft auch Kernkraft und Erdgas als nachhaltige Aktivitäten einstufen wird, ist noch nicht entschieden. Die Nutzung der beiden Technologien wäre jedoch auch dann mit einigen Bedingungen versehen.

Auch ob die Taxonomie-Einordnung privatwirtschaftliche Investitionen anreizt, wird sich zeigen. Aufgrund der hohen Baukosten und zeitlichen Verzögerungen bei Kernkraftwerken und den aktuell hohen Gaspreisen, könnten erneuerbare Energien gegenüber den beiden Alternativen billiger und gewinnbringender sein.

Passend dazu empfehlen wir unser Live-Online-Training am 16. und 17. März 2022: Der europäische CO2-Markt: Ein- und Ausblicke