Im Vergleich zur Stadt und all den Möglichkeiten, die diese seinen Bewohnern bietet, bleibt der ländliche Raum oft im Hintergrund. Werden Themen wie Elektromobilität und Digitalisierung also nur noch in und für Städte weiterentwickelt? Bleibt der ländliche Raum ein „Dumb Country“?
Im Stadt-Land-Vergleich hinkt der ländliche Raum durch seine augenscheinlich beschränkten Optionen häufig hinterher. Im Kontrast zur Stadt und all den Möglichkeiten, die diese seinen Bewohnern bietet, bleibt der ländliche Raum oft im Hintergrund. Dies trifft insbesondere auch auf die Zukunftsthemen Elektromobilität und Digitalisierung zu. Hier wird, wie häufig, der urbane Raum als Vorzeigeprojekt dargestellt. Der Begriff Smart City ist en vogue. Es gibt zahlreiche internationale sowie auch nationale Projekte, um Städte intelligenter zu entwickeln. Stellvertretend zu nennen ist hier die Dialogplattform Smart Cities des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB).
Werden Themen wie Elektromobilität und Digitalisierung also nur noch in und für Städte weiterentwickelt? Bleibt der ländliche Raum ein „Dumb Country“? Wir bauen einen Gegenentwurf auf, der die Daseinsvorsorge, die Nutzung neuer Technologien und Anwendungen für ein ressourcenschonendes Wirtschaften und Leben beschreibt, auch im ländlichen Raum.
Was ist eine Smart City?
Was ist eine Smart City? Grundlegend umfasst der Begriff die Gestaltung und Nutzung von digitalen Technologien, um Lösungen für verschiedene Bereiche der Stadtentwicklung zu finden.
Für das Deutsche Institut für Urbanistik ist die „Smart City eine Stadt, in der durch den Einsatz innovativer (vor allem Informations- und Kommunikations (IuK)-Technologien) intelligente Lösungen für ganz unterschiedliche Bereiche der Stadtentwicklung erzielt werden. Zu den Bereichen zählen Infrastruktur, Gebäude, Mobilität, Dienstleistungen und Sicherheit. In infrastruktureller Hinsicht geht es um die intelligente Vernetzung innerhalb eines Sektors (z. B. die Kombination verschiedener Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien) oder auch zwischen Sektoren (z. B. Fahrzeugbatterien als Energiespeicher). Der Begriff intelligent wird dabei häufig als Synonym für effiziente Städte verwendet.
Vernetzung von Sektoren unter Nutzung digitaler Technologien spielt also bei Smart Cities eine große Rolle. So verspricht die intelligente Vernetzung in der Energiewirtschaft mit ihren Sektoren Strom, Wärme und Verkehr eine gesteigerte Effizienz und auch höhere Lebensqualität.
Warum sollte diese intelligente Vernetzung nur im Urbanen und nicht im Ländlichen eintreten?
Städtische Infrastrukturen sind aufgrund der großen Bevölkerungszahl und höherer Skaleneffekte in der Nutzung allgemein günstiger für Bewohner als im ländlichen Raum. In weniger dicht besiedelte Gebiete ist es für die Menschen notwendig, längere Strecken zurückzulegen. Für klassische Infrastrukturanbieter (Wasser-, Strom-, Gasnetzbetreiber oder Verkehrsunternehmen) bedeutet dies wiederum, dass ihre Kosten auf weniger Nutzer verteilt werden können. Damit zahlt der Einzelne zwangsläufig mehr.
Die oben genannten Punkte spiegeln zunächst den Status quo dar. Durch derzeitige Entwicklungen und neue Technologien kann sich der Fokus allerdings verschieben und ländliche Regionen in den Vordergrund rücken.
Welche Entwicklungen spielen hierfür eine große Rolle?
Besonders die Energiewirtschaft war lange Zeit dadurch geprägt, dass Strom zentral erzeugt und über das Netz verteilt wurde. Die Energiewende und immer weiter sinkende Kosten für die Erzeugung von Strom aus dezentralen erneuerbaren Energien, wie etwa Wind und Photovoltaik, kehrt dieses Bild nun um.
Vermehrt wird Strom heute aus Nieder- und Mittelspannungsebene in höhergelagerte Netzebenen zurück gespeist. Das bedeutet, dass dezentral erzeugter Strom, insbesondere aus erneuerbaren Energien, immer häufiger den gesamten Bedarf eines ländlichen Verteilnetzgebiets decken kann.
Abbildungen 1 und 2 zeigen dies beispielhaft: anhand des Bezugs von Strom aus der höhergelagerten Netzebene der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) im Schwarzwald und des Netzgebietes der Lechwerke in Südwestbayern. Die beiden Grafiken zeigen die Leistungsübergabe von Strom aus einer höheren in eine niedere Spannungsebene über einen Zeitraum von mehreren Tagen im Sommer 2015 und 2016.
Insbesondere im Sommer kommt es häufig dazu, dass die Stromerzeugung aus dezentralen erneuerbaren Energien ausreicht, den Verbrauch in untergelagerten Netzebenen zu decken. Somit muss kein Strom aus höhergelagerten Netzebenen bezogen werden. Die Rückspeisung von Strom aus erneuerbaren Energie in die Hoch- und Höchstspannungsnetze wird darüber hinaus zunehmen.
Bei dezentraler Einspeisung sind der ortsnahe Verbrauch und das Management der niederen Spannungsebenen, also der Verteilnetze, von großer Bedeutung. Abbildung 3 zeigt den prozentualen Anteil der installierten Leistung erneuerbarer Energien in Deutschland zum Ende des Jahres 2016 nach Spannungsebene.
So ist gut erkennbar, dass knapp drei Viertel der erneuerbaren Erzeugungsleistung in den Nieder- und Mittelspannungsebenen angeschlossen ist. Dies entspricht einer Stromerzeugungsleistung von mehr als 70 GW.
Auch die Ausgestaltung der gemeinsamen Ausschreibungen von Wind und Photovoltaik zum 1. April 2018 ist ein Zeichen dafür, dass die Verteilnetzthematik an Bedeutung gewinnt. Bei der gemeinsamen Ausschreibung werden auf Gebote von Wind und PV sogenannte Verteilnetzkomponenten auf die Gebotspreise aufgeschlagen, um den Ausbau von erneuerbaren Energien zu steuern. So sollen in Gebieten mit schon großen Kapazitäten von Wind und PV und geringer Höchstlast weniger neue Mengen an erneuerbarer Leistung zugebaut werden. Ziel ist es, Kosten für einen zusätzlichen Netzausbau in diesen Regionen zu vermeiden.
Hinzu kommt, dass Deutschland sich im Pariser Klimavertrag verpflichtet hat, Treibhausgase zu reduzieren, aber auch die Vorgaben des Klimaschutzplans 2050 aus dem Jahr 2016 zu erfüllen. Die Regierung aus CDU/CSU und SPD hat das Klimaziel für 2020 offiziell aufgegeben. Deshalb wird das Erreichen der Ziele für 2030, die Treibhausgasemissionen in Deutschland um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken, umso dringlicher.
Elektromobilität um Klimaziele im Verkehsrbereich wieder auf Kurs zu bringen
Die verschiedenen Sektoren Strom, Wärme und Verkehr haben unterschiedlich hohe Anteile an den gesamtdeutschen Emissionen. Die Emissionen aus dem Verkehr stellen etwa 20 Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen dar. Aufgrund des steigenden Verkehrsaufkommens entwickeln sich diese derzeit nach oben, anstatt in die entgegengesetzte Richtung. Auch das 10-Prozent-Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien im Verkehrssektor bis 2020 wird nach derzeitigem Stand weit verfehlt (Anteil 2017: fünf Prozent). Um Klimaziele und die Ziele der Nutzung von erneuerbaren Energien im Verkehrsbereich wieder auf Kurs zu bringen, bietet sich vor allem die Elektromobilität an. Vor allem wenn der Strom, der in den Elektrofahrzeugen genutzt wird, aus erneuerbaren Energien stammt, reduziert dies nicht nur lokalen Schadstoffausstoß, sondern eben auch Treibhausgasemissionen. Kann dann auch noch erneuerbarer Strom genutzt werden, der anderweitig in eine höhere Spannungsebene im Netz gespeist würde, können so auch Netzausbaukosten in den Verteilnetzen minimiert werden.
Eine Win-Win-Situation, wie sie im Buche steht.
In diesem Zusammenhang eröffnet die intelligente Verwendung von IuK-Technologien viele Möglichkeiten und kann Synergien heben. Eine emissionsärmere Elektromobilität profitiert in etwa von besseren Prognosen für die Einspeisung aus erneuerbaren Energien in Verbindung mit der entsprechenden Netzsituation. So könnten Elektrofahrzeuge genau dann geladen werden, wenn die Erzeugung aus erneuerbaren Energien die Verteilnetze im ländlichen Raum andernfalls stark beanspruchen würden.
Die Mobilität wird in der Zukunft zudem von weniger Fahrzeugen im Privateigentum geprägt sein, aber dennoch von großer Flexibilität durch autonomes Fahren und entsprechenden Mobilitätsangeboten durch Dienstleister.
Wie kann also eine „Smart Country“-Region aussehen und worum geht es hier?
Eine „Smart Country“-Region ist ein nicht-urbaner Raum, in welchem die Verwendung fortgeschrittener IuK-Technologien die Ressourcenströme optimiert und so den ortsnahen Verbrauch ermöglicht. Prädestiniert für erste Ansätze sind, wie oben skizziert, erneuerbare Erzeugung und Elektromobilität zusammenzubringen. Dadurch kann die fluktuierende Erzeugung bestmöglich genutzt werden.
Schematisch ist eine solche „Smart Country“-Region in Abbildung 4 dargestellt. Sowohl das Verteilnetz als auch dezentrale Erzeuger (Photovoltaik und Wind) und Verbraucher (Elektrofahrzeuge und Batterien) sind in die Netztopologie eingebunden.
Diese Einbindung muss den Erzeugungsprofilen der fluktuierenden erneuerbaren Energien, sowie der Nachfrageverteilung der Verbraucher und den damit resultierenden Lastflüssen im Netz entsprechen. Durch intelligentes Laden, also wenn sich der Ladevorgang in Phasen größter lokaler Verfügbarkeit verschiebt, kann die Elektromobilität das Netz entlasten. So kann die Stromnachfrage aus der Elektromobilität durch flexible Lagevorgänge in Zeiten hoher erneuerbarer Stromerzeugung verschoben werden.
Haushalte und Privatperson profitieren ebenfalls durch die dargestellten Entwicklungen. E-Mobilität funktioniert auch ohne Tankstelle, zum Beispiel wenn Verbraucher Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage nutzen. Dies kann ebenfalls verbunden werden mit einem intelligenten Speicher/Energiemanagementsystem im Haus. Außerdem werden kostenoptimale Ladeprozesse oder autonomes Fahren Vorteile für Bewohner einer „Smart Country“-Region haben.
Erste Best-Practise Beispiele für Infrastruktur-Services
Für Anbieter von Infrastruktur-Services und Dienstleistungen kann der Fokus auf neue Nutzer und Geschäftsfelder positiv sein. Erste große Dienstleister wie die Deutsche Post haben sich heute schon auf eine elektrische (Verkehrs-)Zukunft eingestellt und produzieren ihre eigenen elektrisch angetriebenen Transporter. Mit größerer Automatisierung und gegebenenfalls autonom gesteuerter Fahrzeuge kann der ländliche Raum Keimzelle eines intelligent gesteuerten, dezentralen und erneuerbaren Energiesystems werden. So kombiniert etwa das Netzwerk „Autonomes Fahren im ländlichen Raum“ in Schleswig-Holstein Elektromobilität mit erneuerbaren Energien. Als weiteres Beispiel dient der von der Deutschen Bahn im niederbayerischen Bad Birnbach eingesetzte führerlose Elektrobus. Er pendelt zwischen Bahnhof, Ortszentrum und der Therme des Ortes. Wenngleich dieser Bus nur eine vorgeschriebene Route abfährt, sollen autonome Shuttles in der Zukunft den Wünschen ihrer Fahrgäste entsprechend verschiedenste Orte anfahren können.
Mit passenden Projekten und fortschrittlicher Nutzung von IuK-Technologien kann der ländliche Raum von der Energiewende stark profitieren. Um die skizzierten Entwicklungen mitgestalten zu können, bedarf es proaktive Gestalter, Unternehmer und Nutzer. Hier können kommunale oder genossenschaftlich geführte Versorgungsunternehmen, die stark in der Region verwurzelt sind, ihren Heimvorteil ausspielen und den Begriff „Smart Country“ mit Leben füllen.
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