An vier Stellen fällt der Begriff Sektor- oder Sektorenkopplung im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. In diesem Beitrag werden die Kernpunkte der neuen Bundesregierung zum Thema Sektorkopplung analysiert, sowie Kennzahlen und Szenarien für die europäischen Wärmemärkte erläutert.
Unser Energiesystem wird sich in den nächsten Dekaden stark verändern. Insbesondere der Zubau von fluktuierenden erneuerbaren Energien und die notwendige Reduktion von Treibhausgasemissionen werden diese Entwicklungen treiben.
Die Sektorkopplung und das zukünftige Energiesystem
Sektorkopplung meint, die bislang zu großen Teilen unabhängigen Bereiche Strom, Verkehr und Wärme zu verbinden. Sie verspricht durch die Elektrifizierung zahlreicher Anwendungen, Mehrwerte für den Klimaschutz und die effiziente Nutzung von Energie zu schaffen. Ein wichtiger Punkt bei der Sektorkopplung ist es auch, Grundstoffe für industrielle Prozesse (Wasserstoff oder kohlenstoffhaltige Verbindungen) bereitzustellen. Für diesen einführenden Artikel verzichtet der Autor darauf, diesen Bereich zu betrachten.
In einem weiteren Artikel hat der Verfasser die wichtigsten Zusammenhänge und die Definition der Sektorkopplung ausgearbeitet. Im Fokus stehen hier die im Koalitionsvertrag verankerten Ideen, um den Strom-, Verkehrs-, und Wärmesektor zu koppeln. Darüber hinaus beleuchtet der Autor den status quo und gibt einen Ausblick für den Wärmesektor, immerhin der größte Energieverbraucher Deutschlands.
Für tiefergehende Informationen zum Thema Sektorkopplung, insbesondere der technologischen, wirtschaftlichen und regulatorischen Entwicklungen, empfiehlt sich ein Besuch in unserem Seminar „Sektorkopplung und Elektrifizierung“ am 3. Mai 2018 in Berlin.
Was sagt der Koalitionsvertrag zur Sektorkopplung?
Erstmals erwähnen die Koalitionäre die Sektorkopplung im Koalitionsvertrag im Teil „Forschung und Innovation“. Konkret geht es dort um die Forschung an Systemlösungen für die Sektorkopplung von Strom-Verkehr-Wärme. Um die Agenda zu verfeinern, müssen Konsortien aus Wirtschaft und Forschung in Pilotprojekten nicht nur erproben, wie Technologien technisch umsetzbar sind. Was müssen Akteure darüber hinaus betrachten? Eine Rolle spielt auch, wie diese Technologien in das Gesamtsystem Energiewirtschaft eingebunden werden und wie sie Emissionen mindern können. Teilweise wird dies schon in den Projekten des BMWi-Förderprogramms „Schaufenster intelligenter Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) getestet. Notwendige regulatorische Ausnahmen, besonders in Hinblick auf Kostenbestandteile der verschiedenen Energieträger, müssen hierbei für die Projektpartner geschaffen werden.
Ein zweites Mal fällt der Begriff Sektorkopplung dezidiert im Koalitionsvertrag im Teil „Energie“. Der Gesetzgeber will die Verknüpfung der drei Sektoren in Verbindung mit Speichertechnologien voranbringen. „Dazu müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden.“ (Quelle: Koalitionsvertrag) Bisher führt eine Reihe von Preisbestandteilen beim Strom dazu, dass sich die Anwendung des immer stärker dekarbonisierten Energieträgers Strom gegenüber fossilen Konkurrenzprodukten wie Gas oder Öl nicht rechnet.
Neue Herausforderungen: Kosten umverteilen im Stromsystem
Die Herausforderung für die Koalitionäre ist es, die Kosten des Stromsystems in andere Sektoren umzuverteilen. Dazu zählen Kosten durch die Förderung der erneuerbaren Energien, Netzentgelte, Stromsteuer, etc. Kurzum: Wie kann dekarbonisierter Strom für Anwendungen in der Sektorkopplung gegenüber fossilen Energierohstoffen wirtschaftlich konkurrenzfähig werden? Wird es Ausnahmen für Preisbestandteile geben? Wenn ja, in welcher Höhe und für welche Technologien? Werden Ausnahmen zeitlich begrenzt sein? Und wer trägt die Kosten dieser Ausnahmen? Dies sind Fragen, die sich die Große Koalition stellen muss.
Im gleichen Kapitel ist im Koalitionsvertrag die Rede davon, die Planung und Finanzierung von Energieinfrastrukturen zu reformieren. Bisher werden die Strom- und Gasnetzentwicklungspläne weitgehend unabhängig voneinander erarbeitet und genehmigt. In einem noch stärker vernetzten Energiesystem wird dieser Ansatz nicht mehr funktionieren. Hier gilt es, Strom-, Gas-, und Wärmenetzplanungen integriert weiterzudenken. Da Energieinfrastrukturen für lange Zeiträume genutzt werden, müssen die Akteure frühzeitig Konzepte für gemeinsame Netzentwicklungspläne generieren.
Sektorkopplung und Verkehr
Im Teil „Verkehr“ stellt der Koalitionsvertrags zwei weitere Punkte in Aussicht: eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie sowie eine Mobilitäts- und Kraftstoffstrategie. So soll hier auch die Sektorkopplung, etwa in Form von „grünem Wasserstoff“ vorangebracht werden. Hierzu will der Gesetzgeber den regulativen Rahmen anpassen.
Das Energiesystem der Zukunft wird stärker vernetzt sein. Diesem Umstand muss durch angepasste regulatorische Rahmenbedingungen Rechnung getragen werden. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, die Kosten für Strom-Preisbestandteile zu ändern oder umzuverteilen – falls dieser verstärkt Einzug in die Sektoren Verkehr und Wärme finden soll.
Wohin entwickelt sich der Wärmemarkt?
Mit so viel Endenergie wie die Sektoren Strom und Verkehr zusammen benötigen, ist der Wärmemarkt der größte Energieverbraucher. Im Jahr 2016 lag der Verbrauch im Wärmesektor bei etwa 1400 TWh. Mit knapp 50 Prozent des gesamten Wärmeverbrauchs spielt die Raumwärme in Deutschland die wichtigste Rolle. In anderen Ländern Europas nutzen die Einwohner Wärme für andere Zwecke als in Deutschland. Ein Großteil des Raumwärmebedarfs in Haushalten wird europaweit durch fossile Energieträger bereitgestellt, wie Abbildung 1 zeigt. Nur in den nordischen Ländern Schweden und Finnland haben fossile Energieträger einen sehr geringen Anteil an der Energiebereitstellung. Erneuerbare Energien decken ebenfalls einen Teil der Wärmenachfrage, während Nah- und Fernwärme (keine Aufteilung nach genutzten Energieträgern) in den nördlichen Ländern stärker genutzt wird.
In Deutschland wird etwa 75 Prozent des Raumwärmebedarfs in Haushalten durch fossile Energieträger bereitgestellt, also 425 TWh. Strom spielt derzeit kaum eine Rolle, während erneuerbare Energien und Fern/Nahwärmenetze jeweils etwa zehn Prozent des Bedarfs decken.
Was braucht es für die Wärmewende?
Die Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung in Wohngebäuden in Europa ist ein wichtiger Schritt innerhalb der Wärmewende hin zu CO2-freier Energiebereitstellung. Insbesondere durch Sanierung und Gebäuderenovierung kann der Endenergieverbrauch abgesenkt werden. Dementsprechend muss dann auch weniger Energie durch erneuerbare Energieträger oder strombasierte Wärmeerzeuger bereitgestellt werden, um den Wärmebedarf zu decken.
Abbildung 2 stellt den Stand des Raumwärmebedarfs in Haushalten in Europa für das Jahr 2015 dar. Außerdem zeigt die Abbildung noch, wie sich der Raumwärmebedarf verändern könnte und wie Energie bereitgestellt wird. Bedingung dafür sind einerseits, dass die ambitionierten Sanierungsziele erfüllt werden und andererseits eine großflächige Elektrifizierung mit Wärmepumpen stattfindet.
Aktuell decken fossile Energieträger 60 Prozent des Raumwärmebedarfs von europäischen Haushalten. Dies entsprach im Jahr 2015etwa 1200 TWh. Mit ambitionierten Plänen zur Gebäuderenovierung und -sanierung könnte dieser bis 2050 um 40 Prozent reduziert werden, falls es nicht zu Rebound-Effekten kommt. Die ist vor dem Hintergrund derzeitiger Sanierungsraten eine immense Aufgabe.
Was bringt ein Fuel Switch?
Bei einem „Fuel Switch“, weg von fossilen Energieträgern zu strombezogenen Anwendungen wie Wärmepumpen, kann der Energiebedarf nochmals um etwa 40 Prozent reduziert werden. Dafür würde der europaweite Strombedarf für den Wärmesektor um etwa 290 TWh pro Jahr steigen. Dies entspricht etwa acht Prozent der gesamteuropäischen Stromerzeugung von 2016.
Die Entwicklungen im Bereich der E-Mobilität oder auch im Wärmesektor sind sehr wichtig, um die CO2-Einsparungsziele zu erreichen. Um sich auf den zukünftigen, stärker vernetzten Energiemarkt vorzubereiten, sollten Akteure technologische, wirtschaftliche wie auch regulatorische Entwicklungen verfolgen.
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