Spätestens zum Jahresende 2038 ist Schluss mit der Kohle im deutschen Strommix. Darauf hatte sich die letzte, von Kanzlerin Angela Merkel geführte, Koalition bereits geeinigt. Geht es nach der amtierenden Ampel-Regierung, wäre der Kohleausstieg idealerweise schon 2030 so weit.
Welche Rolle spielt die Kohle, der einst wichtigste Energieträger im deutschen Strommix, aktuell überhaupt noch?
Ein Blick in die Vergangenheit der Kohle
Wenn wir uns die erzeugten Strommengen aus Braun- und Steinkohle seit 2002 ansehen, lässt sich zumindest in der jüngeren Vergangenheit eine klare Tendenz erkennen: Der Kohle geht immer weiter die Puste aus! Im Jahr 2003 wurden etwa 263,6 TWh aus Braun- und Steinkohle produziert. In diesem Jahr sind es bislang nur noch 106,7 TWh (Stand: 07.12.2023). Natürlich ist das Jahr noch nicht vorüber, und uns steht noch ein kalter Monat bevor.
Dennoch können wir bereits jetzt sagen, dass es nur noch ein Bruchteil der einstigen Kohlemengen sein wird. Der rapide Abwärtstrend begann im Jahr 2015. Lediglich die Gas-Krisenjahre 2021 und 2022 verhalfen der Kohle noch einmal zu einer kurzen Renaissance. Nun haben sich die Gasmärkte wieder deutlich beruhigt. Das hat die Kohle erneut zurückgeworfen. Interessant ist hier zu beobachten, dass der Rückgang der Kohleverstromung fast ausschließlich die Steinkohle traf. Demgegenüber musste die Braunkohle deutlich weniger an Anteil einbüßen. Doch wie können wir uns diese Tendenzen erklären?
Wie immer auf dem Energiemarkt wirken hier eine Vielzahl von Faktoren. Dazu zählen der rückläufige Energieverbrauch, sich abkühlende Gaspreise und eine Flut an günstigen erneuerbaren Energiemengen. Doch gibt es einen weiteren entscheidenden Faktor, der die Kohle immer stärker unter Druck setzt: die EU-Emissionszertifikate (EUA). Im Zeitraum von 2010 bis 2017 lag der Zertifikatspreis unter 10 Euro pro Tonne CO2. In den Jahren danach verstärkte sich der Aufwärtstrend weiter, um dann Ende Februar 2023 auf ein Niveau um die 100 Euro zu pendeln. Inzwischen hat sich der Preis wieder etwas abkühlen können. Er verharrt nach wie vor auf einem deutlich höheren Niveau. Doch welche Effekte haben diese Preise in der Praxis?
CO2-Preis in der Praxis – ein Rechenbeispiel
Wenn man die Zertifikatspreise auf die Erzeugungskosten der verschiedenen fossilen Energieträger umlegen möchte, kann man dies in einem einfachen Rechenbeispiel tun. Um die Emissionsintensität – und damit auch ihre Zertifikatskosten – abzuschätzen, nehmen wir die vom Umweltbundesamt veröffentlichten Zahlen zu den Primärenergieträgern (1) und die durchschnittlichen Wirkungsgrade des deutschen Kraftwerksparks (2). Zusammen mit den aktuellen Brennstoffpreisen kann man dann grob abschätzen, wie viel eine Megawattstunde in ihrer Gestehung kostet.
Wenig überraschend ist, dass die Kohle aufgrund ihrer höheren Emissionsintensität und den vergleichsweise niedrigen Wirkungsgraden der Kraftwerke, deutlich stärker von den Zertifikatspreisen getroffen werden wie emissionsärmeres Gas. Zwar profitiert die Kohle immer noch von vergleichsweise niedrigen Brennstoffkosten. Sie liegen bei rund 37 Euro pro MWh für Stein- und acht Euro pro MWh für Braunkohle. Allerdings kommen hierzu noch Emissionskosten von rund 63 Euro pro MWh für Steinkohle und 84 Euro pro MWh für Braunkohle, falls man einen Zertifikatspreis von 85 Euro annimmt.
Unter diesen Annahmen ist die gesamte Stromgestehung aus Braunkohle aufgrund des billigen Brennstoffes noch günstiger als aus Steinkohle. Auch wenn diese aufgrund höherer Emissionsintensität stärker von den Preisentwicklungen der Zertifikate betroffen ist. Dieser Wettbewerbsvorteil erklärt uns, warum die Braunkohleverstromung in den vergangenen Jahren weniger vom Rückgang betroffen war als die Steinkohle.
Um Strom aus Gas zu erzeugen, stehen unter anderem Gas- und Dampfkraftwerke zur Verfügung. Diese haben zum einen den Vorteil, dass sie deutlich höhere Wirkungsgrade als Kohlekraftwerke bieten und sie einen emissionsärmeren Brennstoff nutzen. Damit sind sie die direkten Konkurrenten der Kohle in der Merit-Order. Die Kosten belaufen sich hier auf 25 Euro pro MWh für Emissionen und 70 Euro pro MWh für den Brennstoff.
Obwohl der Brennstoff Erdgas teurer ist, werden diese Mehrkosten durch geringere Emissionskosten in diesem Rechenbeispiel fast völlig kompensiert. Da wir hier mit Durchschnittswerten rechnen, können einzelne Kraftwerke, die neu oder besonders effizient sind, höhere Wirkungsgrade aufweisen. Dies kann im Einzelfall bereits jetzt dazu führen, dass GuD-Kraftwerke manche Kohlekraftwerke in der Merit-Order hinter sich lassen.
Brauchen wir einen Kohleausstieg?
Das Zahlenspiel soll eines verdeutlichen: Der Zertifikatspreis dürfte künftig immer öfter bestimmen, ob Kohlekraftwerke laufen oder nicht. Sollte der Zertifikatspreis dauerhaft über die Schwelle von 100 Euro steigen, wird es, unter absolut gleichen Umständen, sehr eng für die Kohle. Gleichzeitig benötigen wir auch einen deutlich beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren.
Kommen steigende Zertifikatspreise und Erneuerbaren-Ausbau zusammen, könnte das eintreffen, was der damalige RWE-Chef Martin Schmitz bereits vor zweieinhalb Jahren prognostizierte: „(…) dass der Kohleausstieg 2030 praktisch »erledigt« sei – auch ohne neues Gesetz.“
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Quellen:
[1] Umweltbundesamt (2022). CO2-Emissionsfaktoren für fossile Brennstoffe. Link
[2] Umweltbundesamt (2023) auf Basis AG Energiebilanzen: “Auswertungstabellen” (Stand 09/2023), Tabelle “Stromerzeugung nach Energieträgern”. Link
2. Januar 2024
Guten Tag Herr Ligewie,
ich finde Ihren Artikel hochspannend und habe mal versucht Ihre Zahlen nachzurechnen und komme aber bei den CO2 Kosten bei Stein- und Braunkohle nicht auf die 63 € bzw. 84 €. Bei Gas konnte ich 25,8 € ermitteln. Ich kann Ihnen gerne mal meine Excel Tabelle zusenden und wir vergleiche die Rechenwege. Bitte melden Sie sich kurz direkt bei mir, dann sende ich Ihnen meine Tabelle zu.
Vielen Dank – Gruß Frank Dettmar