Die Abhängigkeit der EU von Erdgas wird sich ändern. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich der europäische Energiesektor neu gestalten wird. Zukünftig wird Wasserstoff die Relevanz von Erdgas überholen. Dieser Wandel wird durch die Notwendigkeit der Dekarbonisierung des Energiesektors vorangetrieben. Denn hinter allem steht das Ziel, das Null-Emissionsziel im Jahr 2050 zu erreichen.
Wasserstoff kann energieintensiven Industrien dabei helfen, Null-Emissionen zu erreichen. Ebenso kann es eingesetzt werden, um synthetische Kraftstoffe herzustellen. Strom aus fluktuierenden erneuerbaren Energiequellen wie Sonne und Wind stellen das Übertragungsnetz vor große Herausforderungen, da das Netz darauf nicht immer flexibel reagieren kann. Es wird auch häufig erwähnt, dass Wasserstoff die Herausforderung der Netzflexibilität lösen kann. Jedoch erfordert dieser Übergang hohe Investitionen in Forschung, Infrastruktur, Produktionsanlagen und Anpassungsstrategien.
Beschleunigung der Produktion von emissionsarmem Wasserstoff
Heute dominiert auf der Angebotsseite von Wasserstoff der graue Wasserstoff, der 2022 mehr als 90 % des europäischen Wasserstoffverbrauchs ausgemacht hat [1]. Der Rest besteht zumeist aus Wasserstoff, der als Nebenprodukt in industriellen Prozessen anfällt. Emissionsarmer Wasserstoff spielt in der gegenwärtigen Phase eine vernachlässigbare Rolle. In den nächsten Jahren dürfte die Produktion von emissionsarmem Wasserstoff (vor allem blauer und grüner Wasserstoff) rasch zunehmen. Begründet liegt dies in der steigenden Nachfrage seitens der Industrie und verschiedener Förderprogramme.
Die Förderprojekte zielen darauf ab, die EU in die Lage zu versetzen, 50 % der benötigten Wasserstoffmenge im Jahr 2030 gemäß dem REPowerEU-Plan [2] zu produzieren.
Finanzierungsprogramm durch die EHB
Eines der wichtigsten Finanzierungsprogramme stellt derzeit die European Hydrogen Bank (EHB). Sie finanziert verschiedene Projekte, indem sie die Differenz zwischen dem Marktpreis und den Produktionskosten überbrückt. Die Antragsteller werden nach der Größe der Lücke zwischen Marktpreis und Produktionskosten eingestuft. Am Ende werden die Projekte mit den niedrigsten Angebotspreisen ausgewählt.
Im Erfolgsfall erhalten die Projekte einen festen Betrag pro erzeugte Kilogramm für einen Zeitraum von maximal zehn Jahren. Damit soll das Preisgefälle zwischen grünem und nicht-erneuerbarem Wasserstoff ausgeglichen werden [3]. Die Gewinner der ersten Auktion wurden schließlich im April 2024 präsentiert. Die EHB hat 720 Mio. EUR an Fördermitteln für sieben verschiedene Projekte zugesagt. Es wird erwartet, dass die EHB Ende 2024 eine weitere Runde eröffnen wird.
Länderspezifische Programme
“Auction-as-a-service” ist ein von der EU initiiertes länderspezifisches Finanzierungssystem. Es ermöglicht den Ländern, zusätzliche Mittel für Projekte bereitzustellen, die keine EHB-Finanzierung erhalten.
Sonstiges
Die IPCEI-Wasserstoff-Wertschöpfungskette ist ebenfalls erwähnenswert. IPCEI steht für „Important Projects of Common European Interest“. Für jeden Teil der Wertschöpfungskette gibt es eine Reihe von finanzieller Unterstützung – einschließlich von der Verkehrsinfrastruktur, dem Bau von Elektrolysen und bis hin zu Maßnahmen, mit denen nachhaltige Technologien in industrielle Prozesse integriert werden.
Kohlenstofffreie Produktion von Wasserstoff
Wenn Wasserstoff als Brennstoff zur Energieerzeugung verwendet wird, entstehen keine direkten Treibhausgasemissionen. Die Emissionen im Lebenszyklus von Wasserstoff entstehen bei der Herstellung. In der Vergangenheit haben die Marktteilnehmer dafür Erdgas oder Kohle verwendet. In jüngster Zeit haben sich die Technologien zur Gewinnung von Wasserstoff mit geringen oder gar keinen Emissionen verbessert. Das bedeutet, dass Wasserstoff als erneuerbarer Energieträger in großem Maßstab eingesetzt werden kann.
Die herkömmliche Methode der Herstellung aus Erdgas wird als grauer Wasserstoff bezeichnet. Wird Carbon Capture, Utilisation und Storage (CCUS) eingesetzt, um Emissionen zu verringern, spricht man von blauem Wasserstoff.
Grüner Wasserstoff kann durch mehrere Arten der Elektrolyse hergestellt werden. Die PEM-Elektrolyse (Protonenaustauschmembran) wird von vielen als die wünschenswerteste Option für die Zukunft angesehen. Denn sie ist in der Lage, eine zunehmend schwankende Stromversorgung auszugleichen. Darüber hinaus weist grüner Wasserstoff einen hohen Wirkungsgrad auf.
Die heute vorherrschende Technologie Alcaline Water Electrolyser (AWE) hat geringere Investitionskosten, da sie weniger teure Materialien und Geräte benötigt. Allerdings hat sie im Vergleich zu PEM einen relativ geringen Wirkungsgrad. Derzeit liegt der Wirkungsgrad von AWE bei etwa 62–82 %, während PEM über 90 % erreichen könnte [5].
Da die Stromerzeugung in Europa immer mehr von fluktuierenden erneuerbaren Energien abhängt, steigt außerdem der Bedarf, Angebot und Nachfrage zu stabilisieren. Die im Vergleich zu AWE viel höhere Hochlaufrate von PEM macht sie zu einer gewünschten Ergänzung des Netzsystems, um die Stromerzeugung auszugleichen [6]. Dies setzt voraus, dass die Kosten für den Einsatz von PEM zum Ausgleich nicht höher sind als die Kosten für die Installation von Batterien oder anderen netzstabilisierenden Maßnahmen.
Prognose: Nachfrage vervielfacht sich kommenden Jahrzehnten
Auf der Nachfrageseite von Wasserstoff dominiert derzeit die Anwendung in industriellen Prozessen. Dazu zählt beispielweise die Herstellung von Düngemitteln, die Reduktion von Eisenerz und der Einsatz in Raffinerien. Beim Schmelzen von Sand zur Herstellung von Glas oder bei der Produktion von Klinker in der Zementindustrie kann Wasserstoff eine entscheidende Rolle spielen, um emissionsfrei zu werden. Der Grund dafür ist die Hochtemperaturwärme, die Wasserstoff dort liefern kann, wo eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist.
Schiffe und Flugzeuge kann man grundsätzlich mit reinem Wasserstoff antreiben. Allerdings wird dieser in großen Mengen benötigt und ist relativ schwer zu speichern. Deshalb forschen Wissenschaftler intensiv an synthetischen Kraftstoffen und suchen Lösungen, diese Kraftstoffe einfacher zu handhaben. Diese Kraftstoffe werden, sofern sie mit erneuerbaren Energien hergestellt werden, durch die Kombination von Wasserstoff und aus der Luft abgeschiedenem CO2 erzeugt. Dadurch gibt es geringe oder gar keine Emissionen im Lebenszyklus [7].
Die Fachleute gehen davon aus, dass Wasserstoff als Ausgangsstoff für synthetische Kraftstoffe einen entscheidenden Beitrag leisten kann, um Emissionen im Langstreckentransport, z. B. in der Luft- und Schifffahrt, zu verringern. Bereits für 2030 strebt die EU an, dass synthetische Kraftstoffe bis 2034 einen Anteil von 1,2 % in der Luftfahrt und 2 % in der Schifffahrt ausmachen [4]. Darüber hinaus wird Wasserstoffgas als bevorzugte Lösung für schwere Fahrzeuge wie Fernbusse und Lkw über 12 Tonnen angesehen. Der Verkehrssektor ist bestrebt, sein Netto-Null-Emissionsziel bis 2050 zu erreichen. Dies ist vor allem auf das enorme Gewicht und Volumen zurückzuführen, das Batterien mit sich bringen würden, um eine ausreichende elektrische Reichweite zu erzielen.
Außerdem wird Wasserstoffgas als Energiespeicher angesehen. In Zeiten mit höherem Bedarf und geringerer Produktion könnte es saisonal gespeichert werden, indem man die Elektrolyse in Zeiten mit Stromüberschuss betreibt und den Wasserstoff speichert, bis er gebraucht wird. Am wahrscheinlichsten ist dies durch die Produktion von Wasserstoff – während solarer Spitzenzeiten mit niedrigen Strompreisen und der Erzeugung von Strom im Winter, wenn die Nachfrage höher ist.
Allerdings ist das Verfahren noch nicht wirklich effektiv. Das liegt daran, dass mehr als die Hälfte der für die anfängliche Elektrolyse eingesetzten Energie verloren geht. Dies würde auch viele neue große Salzkavernen für die Speicherung erfordern. Leider sind Salzkavernenspeicher für Erdgas für Wasserstoffgas nicht geeignet.
Zusammengenommen wird davon ausgegangen, dass der Bedarf an grünem Wasserstoff in der EU im Jahr 2050 zwischen 1.350 und 1800 TWh liegen wird, verglichen mit 270 TWh im Jahr 2022 [8]. Diese Zahlen sind jedoch weitgehend unsicher. Vor allem, wenn die Antwort auf die folgende Frage nicht klar ist: Wird Europa synthetische Kraftstoffe und Ammoniak selbst herstellen oder importieren?
Transport und Logistik von Wasserstoff
Da Wasserstoff ein weit verbreiteter Energieträger ist, dürfte sich zwischen Angebot und Nachfrage ein erhebliches Ungleichgewicht ergeben. Daraus folgt, dass ein groß angelegter Wasserstofftransport erforderlich ist. Für größere Entfernungen von mehr als 1.500 Kilometern sehen Experten Schiffe als die beste Option an. Kürzere Strecken werden mit Pipelines, Zügen und Lastwagen zurückgelegt. Dabei werden Pipelines aufgrund ihrer größeren Kapazität bevorzugt. Wenn die Pipeline nicht genutzt wird, muss der Wasserstoff außerdem umgewandelt und verändert werden. Dies erhöht die Gesamtkosten und verringert die Menge des am Zielort ankommenden Wasserstoffs.
Das European Hydrogen Backbone ist eine Gruppe von Infrastrukturunternehmen der Energiewirtschaft. Ihre Aktivitäten zielen darauf ab, die Dekarbonisierung in der EU zu beschleunigen, indem sie “die kritische Rolle der Wasserstoffinfrastruktur definiert” [10]. Zu Beginn könnten die bestehenden europäischen Gaspipelines für den Transport einer Mischung aus Wasserstoff und Methan genutzt werden.
Später will die Initiative die bestehenden Pipelines umfunktionieren und neue Pipelines für Wasserstoff bauen. Bis 2032 sollen 11.600 km errichtet werden, die die Nachfragecluster im Süden mit den Produktionszentren im Norden verbinden [10]. Die Abbildung unten zeigt auch die Verbindungsleitungen zu wichtigen Importstandorten wie den Niederlanden, der Nordsee, Dänemark und anderen.
Ein Blick in die Zukunft
Wasserstoff wird in absehbarer Zukunft einer der begehrtesten Rohstoffe sein. Die Abkehr von den derzeitigen undurchsichtigen bilateralen Verträgen hin zu einem transparenten, gut funktionierenden multilateralen Markt mit Käufern und Verkäufern wird notwendig und selbstverständlich sein.
Die EEX hat im Mai 2023 den Hydrix-Index veröffentlicht, der wöchentlich auf der Grundlage bilateraler Verträge über grünen Wasserstoff aktualisiert wird. Ziel des Index ist es, die Transparenz zu erhöhen und weitere Schritte in Richtung Wasserstoff als börsengehandelte Ware zu erleichtern. Jedoch spiegelt der Hydrix-Index nur die historischen Preise wider, da die Preise einmal pro Woche durch gelieferte Verträge aktualisiert werden.
Die Wasserstoffpreise werden im europäischen Energiesystem eine immer größere Rolle spielen. Denn die Preisentwicklung bei Wasserstoffanlagen, -transport und -nutzung wird den Preis von Wasserstoffgas mit bestimmen. Mit der zunehmenden Nutzung von Wasserstoff wird er sich stärker auf die europäische Wirtschaft auswirken. Zudem wird der Preisunterschied zu Erdgas entscheidend sein, um die Sektoren zu dekarbonisieren, in denen Erdgas heute der bevorzugte Brennstoff ist. Um die Auswirkungen auf die Strom- und Energiepreise zu verstehen, ist es wichtig, einen Überblick über die aktuelle und zukünftige Preisentwicklung von Wasserstoffgas zu erhalten.
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Quellen
[1]: EU, Hydrogen, European Commission, https://energy.ec.europa.eu/topics/energy-systems-integration/hydrogen_en#:~:text=In%202022%2C%20hydrogen%20accounted%20for%20less%20than%202%25,gas%2C%20resulting%20in%20significant%20amounts%20of%20CO2%20emissions.
[2]: European Hydrogen Observatory (2023): EU Hydrogen Strategy under the EU Green Deal, European Commission, https://observatory.clean-hydrogen.europa.eu/eu-policy/eu-hydrogen-strategy-under-eu-green-deal#:~:text=The%20target%20is%2040%20GW%20of%20renewable%20hydrogen,balancing%3A%20daily%20and%20seasonal%20storage%2C%20backup%20and%20buffering
[3]: Hydrogen Europe (2023): Kickstarting the European Hydrogen Market, The European Hydrogen Bank, https://hydrogeneurope.eu/wp-content/uploads/2023/03/2023.03_Hydrogen-Bank_H2Europe_paper.pdf
[4]: Wang, T., Cao, X. & Jiao, L. (2022): PEM water electrolysis for hydrogen production: fundamentals, advances, and prospects, Shanghai Jiao Tong University https://doi.org/10.1007/s43979-022-00022-8
[5]: IEA (2023): The Role of E-Fuels in Decarbonizing Transport, IEA Publications, https://iea.blob.core.windows.net/assets/a24ed363-523f-421b-b34f-0df6a58b2e12/TheRoleofE-fuelsinDecarbonisingTransport.pdf
[6]: Meegahapola, L. (2023): Grid Integration of Hydrogen Electrolysers and Fuel-Cells: Opportunities, Challenges and Future Directions, IEEE https://smartgrid.ieee.org/bulletins/march-2023-1/grid-integration-of-hydrogen-electrolyzers-and-fuel-cells-opportunities-challenges-and-future-directions
[7]: IEA, (2023): Global Hydrogen Review 2023, IEA publications, https://iea.blob.core.windows.net/assets/ecdfc3bb-d212-4a4c-9ff7-6ce5b1e19cef/GlobalHydrogenReview2023.pdf
[8]: Peters, C. (2023): How much green hydrogen will Europe’s industry need in 2050? Fraunhofer ISI, https://www.isi.fraunhofer.de/en/blog/2023/europa-energiesystem-2050-wasserstoff-industrie.html
[9]: EHB, (2023): The European Hydrogen Landscape, https://observatory.clean-hydrogen.europa.eu/sites/default/files/2023-11/Report%2001%20-%20November%202023%20-%20The%20European%20hydrogen%20market%20landscape.pdf
[10]: European Hydrogen Backbone, (2023): EHB, Implementation Roadmap – Cross Border Projects and Costs Update, https://www.ehb.eu/files/downloads/EHB-2023-Implementation-Roadmap-Part-1.pdf
[11]: EHB, European Hydrogen Backbone Maps, https://www.ehb.eu/page/european-hydrogen-backbone-maps
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